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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Katholizismus im Staatsdienst

in Ehesachen, von dem gesamten Unterrichtswesen, von der Vorbildung und
Anstellung der Geistlichen, dem Ordenswesen usw., lauter Gebieten, auf denen
der Streit zwischen Staat und Kirche bald mehr bald minder lebhaft hervor¬
tritt, auf denen der Katholizismus wohl zurückweicht, wo er deu thatsächlichen
Verhältnissen Rechnung trügt, aber dabei stets seinen grundsätzlichen Stand¬
punkt wahrt. Strenggläubige Katholiken, die sich in hohen und höchsten
Staatsämtern befinden, kommen hier nur allzu leicht in die Lage, in einen
Widerstreit zwischen ihren kirchlichen Anschauungen und ihren Pflichten als
Staatsbeamte zu geraten. Man vergegenwärtige sich den Vorgang bei Be¬
ratung des bürgerlichen Gesetzbuches in der Rcichstagskommission bei Regelung
des Eherechts. Die klerikalen Mitglieder der Kommission spähn und Genossen
verlangten Regelung des gesamten Eherechts nach den Grundsätzen der katho¬
lischen Kirche. Sie führten dabei aus: Nach der für die Katholiken maßgebenden
Lehre der Kirche stehe die gesetzgebende Gewalt über die Ehen unter Katholiken
einzig und allein der katholischen Kirche zu; diese habe die Eheschließungsfvrm,
die Voraussetzungen der Eheschließung, die Ehehindernisse festgestellt. Nach der
Auffassung der Kirche sei die staatlich abgeschlossene Ehe nicht als kirchlich
giltig anzusehen. Da die Katholiken Deutschlands an diesen Lehren und Grund¬
sätzen nichts ändern könnten, so habe man sie als gegeben anzunehmen und
uur darnach zu suchen, den Anschauungen der Katholiken gerecht zu werden;
der von der Reichsregierung vorgelegte Entwurf greife in das kirchliche Gebiet
ein, stelle sich dem katholischen Dogma entgegen, indem er das Recht des Reichs
zur alleinigen und ausschließlichen Ordnung und Regelung des gesamten Ehe¬
wesens festsetze, während dem Katholiken uur die kirchliche Ehe eine Ehe sei;
die staatliche Ehe sei ihm nur eine Formalität. Der klerikale Abgeordnete
or. Rintelcn äußerte sogar in der Neichstagssitznng vom Z. Februar 1896:
"Gelingt es nicht, diese Vorschriften (d. h. über das Eheschließungsrecht) aus
dem Gesetzbuch zu entfernen oder sie so umzugestalten, daß die Gewisfens-
bedenken der Katholiken beseitigt sind, so sind wir genötigt, nicht nur gegen
diese Vorschriften, sondern gegen den Entwurf im ganzen zu stimmen."

Da man seit Luther die Ehe als ein "rein weltlich Ding" auffaßt, und
die rein staatliche Regelung des Eherechts im Gesetzbuch für ebenso notwendig
ansieht, wie etwa die Regelung des Darlehnsvertrags, so wäre es interessant,
zu erfahren, wie sich die Klerikalen Männer von der kirchlichen Gesinnung der
Herren spähn und Rintelen als preußischen Justizminister und als Staats¬
sekretär im Reichsjnstizamt vorstellen, oder als Ministerialrüte, denen die
Ausarbeitung eines Gesetzbuchs obliegt, oder etwa als Oberlandesgerichts¬
präsidenten, denen der Entwurf vom Minister zur Begutachtung vorgelegt
wird! Strenggläubige Katholiken, die die Anschauungen ihrer Kirche teilen,
haben als Richter das Gesetz, so wie es einmal gegeben ist, anzuwenden; als
Justizverwaltungsbeamte würden sie in peinlichen Widerspruch zwischen ihren


Der Katholizismus im Staatsdienst

in Ehesachen, von dem gesamten Unterrichtswesen, von der Vorbildung und
Anstellung der Geistlichen, dem Ordenswesen usw., lauter Gebieten, auf denen
der Streit zwischen Staat und Kirche bald mehr bald minder lebhaft hervor¬
tritt, auf denen der Katholizismus wohl zurückweicht, wo er deu thatsächlichen
Verhältnissen Rechnung trügt, aber dabei stets seinen grundsätzlichen Stand¬
punkt wahrt. Strenggläubige Katholiken, die sich in hohen und höchsten
Staatsämtern befinden, kommen hier nur allzu leicht in die Lage, in einen
Widerstreit zwischen ihren kirchlichen Anschauungen und ihren Pflichten als
Staatsbeamte zu geraten. Man vergegenwärtige sich den Vorgang bei Be¬
ratung des bürgerlichen Gesetzbuches in der Rcichstagskommission bei Regelung
des Eherechts. Die klerikalen Mitglieder der Kommission spähn und Genossen
verlangten Regelung des gesamten Eherechts nach den Grundsätzen der katho¬
lischen Kirche. Sie führten dabei aus: Nach der für die Katholiken maßgebenden
Lehre der Kirche stehe die gesetzgebende Gewalt über die Ehen unter Katholiken
einzig und allein der katholischen Kirche zu; diese habe die Eheschließungsfvrm,
die Voraussetzungen der Eheschließung, die Ehehindernisse festgestellt. Nach der
Auffassung der Kirche sei die staatlich abgeschlossene Ehe nicht als kirchlich
giltig anzusehen. Da die Katholiken Deutschlands an diesen Lehren und Grund¬
sätzen nichts ändern könnten, so habe man sie als gegeben anzunehmen und
uur darnach zu suchen, den Anschauungen der Katholiken gerecht zu werden;
der von der Reichsregierung vorgelegte Entwurf greife in das kirchliche Gebiet
ein, stelle sich dem katholischen Dogma entgegen, indem er das Recht des Reichs
zur alleinigen und ausschließlichen Ordnung und Regelung des gesamten Ehe¬
wesens festsetze, während dem Katholiken uur die kirchliche Ehe eine Ehe sei;
die staatliche Ehe sei ihm nur eine Formalität. Der klerikale Abgeordnete
or. Rintelcn äußerte sogar in der Neichstagssitznng vom Z. Februar 1896:
„Gelingt es nicht, diese Vorschriften (d. h. über das Eheschließungsrecht) aus
dem Gesetzbuch zu entfernen oder sie so umzugestalten, daß die Gewisfens-
bedenken der Katholiken beseitigt sind, so sind wir genötigt, nicht nur gegen
diese Vorschriften, sondern gegen den Entwurf im ganzen zu stimmen."

Da man seit Luther die Ehe als ein „rein weltlich Ding" auffaßt, und
die rein staatliche Regelung des Eherechts im Gesetzbuch für ebenso notwendig
ansieht, wie etwa die Regelung des Darlehnsvertrags, so wäre es interessant,
zu erfahren, wie sich die Klerikalen Männer von der kirchlichen Gesinnung der
Herren spähn und Rintelen als preußischen Justizminister und als Staats¬
sekretär im Reichsjnstizamt vorstellen, oder als Ministerialrüte, denen die
Ausarbeitung eines Gesetzbuchs obliegt, oder etwa als Oberlandesgerichts¬
präsidenten, denen der Entwurf vom Minister zur Begutachtung vorgelegt
wird! Strenggläubige Katholiken, die die Anschauungen ihrer Kirche teilen,
haben als Richter das Gesetz, so wie es einmal gegeben ist, anzuwenden; als
Justizverwaltungsbeamte würden sie in peinlichen Widerspruch zwischen ihren


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[0629] Der Katholizismus im Staatsdienst in Ehesachen, von dem gesamten Unterrichtswesen, von der Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, dem Ordenswesen usw., lauter Gebieten, auf denen der Streit zwischen Staat und Kirche bald mehr bald minder lebhaft hervor¬ tritt, auf denen der Katholizismus wohl zurückweicht, wo er deu thatsächlichen Verhältnissen Rechnung trügt, aber dabei stets seinen grundsätzlichen Stand¬ punkt wahrt. Strenggläubige Katholiken, die sich in hohen und höchsten Staatsämtern befinden, kommen hier nur allzu leicht in die Lage, in einen Widerstreit zwischen ihren kirchlichen Anschauungen und ihren Pflichten als Staatsbeamte zu geraten. Man vergegenwärtige sich den Vorgang bei Be¬ ratung des bürgerlichen Gesetzbuches in der Rcichstagskommission bei Regelung des Eherechts. Die klerikalen Mitglieder der Kommission spähn und Genossen verlangten Regelung des gesamten Eherechts nach den Grundsätzen der katho¬ lischen Kirche. Sie führten dabei aus: Nach der für die Katholiken maßgebenden Lehre der Kirche stehe die gesetzgebende Gewalt über die Ehen unter Katholiken einzig und allein der katholischen Kirche zu; diese habe die Eheschließungsfvrm, die Voraussetzungen der Eheschließung, die Ehehindernisse festgestellt. Nach der Auffassung der Kirche sei die staatlich abgeschlossene Ehe nicht als kirchlich giltig anzusehen. Da die Katholiken Deutschlands an diesen Lehren und Grund¬ sätzen nichts ändern könnten, so habe man sie als gegeben anzunehmen und uur darnach zu suchen, den Anschauungen der Katholiken gerecht zu werden; der von der Reichsregierung vorgelegte Entwurf greife in das kirchliche Gebiet ein, stelle sich dem katholischen Dogma entgegen, indem er das Recht des Reichs zur alleinigen und ausschließlichen Ordnung und Regelung des gesamten Ehe¬ wesens festsetze, während dem Katholiken uur die kirchliche Ehe eine Ehe sei; die staatliche Ehe sei ihm nur eine Formalität. Der klerikale Abgeordnete or. Rintelcn äußerte sogar in der Neichstagssitznng vom Z. Februar 1896: „Gelingt es nicht, diese Vorschriften (d. h. über das Eheschließungsrecht) aus dem Gesetzbuch zu entfernen oder sie so umzugestalten, daß die Gewisfens- bedenken der Katholiken beseitigt sind, so sind wir genötigt, nicht nur gegen diese Vorschriften, sondern gegen den Entwurf im ganzen zu stimmen." Da man seit Luther die Ehe als ein „rein weltlich Ding" auffaßt, und die rein staatliche Regelung des Eherechts im Gesetzbuch für ebenso notwendig ansieht, wie etwa die Regelung des Darlehnsvertrags, so wäre es interessant, zu erfahren, wie sich die Klerikalen Männer von der kirchlichen Gesinnung der Herren spähn und Rintelen als preußischen Justizminister und als Staats¬ sekretär im Reichsjnstizamt vorstellen, oder als Ministerialrüte, denen die Ausarbeitung eines Gesetzbuchs obliegt, oder etwa als Oberlandesgerichts¬ präsidenten, denen der Entwurf vom Minister zur Begutachtung vorgelegt wird! Strenggläubige Katholiken, die die Anschauungen ihrer Kirche teilen, haben als Richter das Gesetz, so wie es einmal gegeben ist, anzuwenden; als Justizverwaltungsbeamte würden sie in peinlichen Widerspruch zwischen ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/629>, abgerufen am 27.09.2024.