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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Katholizismus im Staatsdienst

Teilnahme der deutschen Katholiken am wissenschaftlichen Leben, insbesondre
am Lehramt auf den deutschen Hochschulen. Dabei räumte er offen ein, daß
sich die deutschen Katholiken in wissenschaftlicher Beziehung von den Prote¬
stanten bedeutend hätten überflügeln lassen; er führte an, daß sogar in Baiern,
dessen Herrscherhaus katholisch ist, und dessen Bevölkerung zu fünf Siebenteln
dem katholischen Bekenntnis angehört, die Universitätsprofessoren (wenn man von
den theologischen Fakultäten absieht, bei denen das Bekenntnis ohne weiteres
gegeben ist) zu etwa zwei Dritteln Protestanten und nur zu einem Drittel Katho¬
liken sind. Sicherlich mit schwerem Herzen erwähnte Freiherr von Hertling
hierbei einen in der bairischen Reichsratskammer besprochnen Fall: eine bairische
Universitätsfakultät hatte einen Professor vorzuschlagen, dessen Besetzung mit
einem Katholiken wünschenswert ist (es handelte sich wahrscheinlich um die
Besetzung einer juristischen Professur für Kirchenrecht). Die Fakultät sah sich
überall nach einem passenden Vertreter um, mußte aber schließlich einen Pro¬
testanten vorschlagen, weil thatsächlich unter den Dozenten für das gedachte
Fach nicht ein einziger Katholik zu ermitteln war! Diese Thatsache, daß sich
die Katholiken in wissenschaftlicher Beziehung von den Protestanten haben über¬
flügeln lassen, versuchte Freiherr vo" Hertling sodann geschichtlich zu erklären:
der Grund liege fast hundert Jahre zurück und sei zu finden in der -- Auf¬
lösung des "heiligen römischen Reichs deutscher Nation." So lange dieser
vortreffliche Staatskörper bestanden habe, habe das deutsche Reich etwa hundert
Baterländer gehabt, von denen etwa die Hälfte katholische Staaten gewesen
seien, geistliche Kurfürstentümer, Bistümer, Ritterorden und sonstige Duodez-
fürsteutümer, deren Bevölkerung, Herrscherhäuser und Regierungen katholisch
gewesen seien. Seit der Auflösung des alten Reichs seien im deutschen Bunde
nnr noch zwei Staaten gewesen, deren Herrscherhäuser katholisch und deren
Bevölkerung vorwiegend katholisch gewesen sei, nämlich Österreich und Baiern.
Die Regierungen der übrigen deutschen Bundesstaaten seien ebenso wie die Be¬
völkerung ausschließlich oder doch ganz überwiegend protestantisch gewesen; da¬
durch seien die Protestanten im geistigen und besonders auch im wissenschaft¬
lichen Leben allmählich in eine herrschende Stellung gekommen, die Katholiken
aber seien zurückgedrängt worden, sodaß sie sich an dem geistigen Leben Deutsch¬
lands nicht mehr hätten bethätigen können; und dieses Mißverhältnis sei noch
gewachsen, als seit 1866 das katholische Österreich aus Deutschland gänzlich
verdrängt worden sei. Nach dieser Begründung sollte man annehmen, daß
im vorigen Jahrhundert, also zu Zeiten des "heiligen römischen Reichs" und
jedenfalls noch in den nächsten folgenden Jahrzehnten das geistige und be¬
sonders das wissenschaftliche Leben in Deutschland von den Katholiken oder
doch wenigstens von diesen und von den Protestanten in gleichem Maße aus¬
gegangen sei. Das kann aber doch im Ernst niemand behaupten: Kant und
Fichte, Klopstock, Herder, Lessing, Goethe und Schiller, Winckelmann, Schlosser


Der Katholizismus im Staatsdienst

Teilnahme der deutschen Katholiken am wissenschaftlichen Leben, insbesondre
am Lehramt auf den deutschen Hochschulen. Dabei räumte er offen ein, daß
sich die deutschen Katholiken in wissenschaftlicher Beziehung von den Prote¬
stanten bedeutend hätten überflügeln lassen; er führte an, daß sogar in Baiern,
dessen Herrscherhaus katholisch ist, und dessen Bevölkerung zu fünf Siebenteln
dem katholischen Bekenntnis angehört, die Universitätsprofessoren (wenn man von
den theologischen Fakultäten absieht, bei denen das Bekenntnis ohne weiteres
gegeben ist) zu etwa zwei Dritteln Protestanten und nur zu einem Drittel Katho¬
liken sind. Sicherlich mit schwerem Herzen erwähnte Freiherr von Hertling
hierbei einen in der bairischen Reichsratskammer besprochnen Fall: eine bairische
Universitätsfakultät hatte einen Professor vorzuschlagen, dessen Besetzung mit
einem Katholiken wünschenswert ist (es handelte sich wahrscheinlich um die
Besetzung einer juristischen Professur für Kirchenrecht). Die Fakultät sah sich
überall nach einem passenden Vertreter um, mußte aber schließlich einen Pro¬
testanten vorschlagen, weil thatsächlich unter den Dozenten für das gedachte
Fach nicht ein einziger Katholik zu ermitteln war! Diese Thatsache, daß sich
die Katholiken in wissenschaftlicher Beziehung von den Protestanten haben über¬
flügeln lassen, versuchte Freiherr vo» Hertling sodann geschichtlich zu erklären:
der Grund liege fast hundert Jahre zurück und sei zu finden in der — Auf¬
lösung des „heiligen römischen Reichs deutscher Nation." So lange dieser
vortreffliche Staatskörper bestanden habe, habe das deutsche Reich etwa hundert
Baterländer gehabt, von denen etwa die Hälfte katholische Staaten gewesen
seien, geistliche Kurfürstentümer, Bistümer, Ritterorden und sonstige Duodez-
fürsteutümer, deren Bevölkerung, Herrscherhäuser und Regierungen katholisch
gewesen seien. Seit der Auflösung des alten Reichs seien im deutschen Bunde
nnr noch zwei Staaten gewesen, deren Herrscherhäuser katholisch und deren
Bevölkerung vorwiegend katholisch gewesen sei, nämlich Österreich und Baiern.
Die Regierungen der übrigen deutschen Bundesstaaten seien ebenso wie die Be¬
völkerung ausschließlich oder doch ganz überwiegend protestantisch gewesen; da¬
durch seien die Protestanten im geistigen und besonders auch im wissenschaft¬
lichen Leben allmählich in eine herrschende Stellung gekommen, die Katholiken
aber seien zurückgedrängt worden, sodaß sie sich an dem geistigen Leben Deutsch¬
lands nicht mehr hätten bethätigen können; und dieses Mißverhältnis sei noch
gewachsen, als seit 1866 das katholische Österreich aus Deutschland gänzlich
verdrängt worden sei. Nach dieser Begründung sollte man annehmen, daß
im vorigen Jahrhundert, also zu Zeiten des „heiligen römischen Reichs" und
jedenfalls noch in den nächsten folgenden Jahrzehnten das geistige und be¬
sonders das wissenschaftliche Leben in Deutschland von den Katholiken oder
doch wenigstens von diesen und von den Protestanten in gleichem Maße aus¬
gegangen sei. Das kann aber doch im Ernst niemand behaupten: Kant und
Fichte, Klopstock, Herder, Lessing, Goethe und Schiller, Winckelmann, Schlosser


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[0627] Der Katholizismus im Staatsdienst Teilnahme der deutschen Katholiken am wissenschaftlichen Leben, insbesondre am Lehramt auf den deutschen Hochschulen. Dabei räumte er offen ein, daß sich die deutschen Katholiken in wissenschaftlicher Beziehung von den Prote¬ stanten bedeutend hätten überflügeln lassen; er führte an, daß sogar in Baiern, dessen Herrscherhaus katholisch ist, und dessen Bevölkerung zu fünf Siebenteln dem katholischen Bekenntnis angehört, die Universitätsprofessoren (wenn man von den theologischen Fakultäten absieht, bei denen das Bekenntnis ohne weiteres gegeben ist) zu etwa zwei Dritteln Protestanten und nur zu einem Drittel Katho¬ liken sind. Sicherlich mit schwerem Herzen erwähnte Freiherr von Hertling hierbei einen in der bairischen Reichsratskammer besprochnen Fall: eine bairische Universitätsfakultät hatte einen Professor vorzuschlagen, dessen Besetzung mit einem Katholiken wünschenswert ist (es handelte sich wahrscheinlich um die Besetzung einer juristischen Professur für Kirchenrecht). Die Fakultät sah sich überall nach einem passenden Vertreter um, mußte aber schließlich einen Pro¬ testanten vorschlagen, weil thatsächlich unter den Dozenten für das gedachte Fach nicht ein einziger Katholik zu ermitteln war! Diese Thatsache, daß sich die Katholiken in wissenschaftlicher Beziehung von den Protestanten haben über¬ flügeln lassen, versuchte Freiherr vo» Hertling sodann geschichtlich zu erklären: der Grund liege fast hundert Jahre zurück und sei zu finden in der — Auf¬ lösung des „heiligen römischen Reichs deutscher Nation." So lange dieser vortreffliche Staatskörper bestanden habe, habe das deutsche Reich etwa hundert Baterländer gehabt, von denen etwa die Hälfte katholische Staaten gewesen seien, geistliche Kurfürstentümer, Bistümer, Ritterorden und sonstige Duodez- fürsteutümer, deren Bevölkerung, Herrscherhäuser und Regierungen katholisch gewesen seien. Seit der Auflösung des alten Reichs seien im deutschen Bunde nnr noch zwei Staaten gewesen, deren Herrscherhäuser katholisch und deren Bevölkerung vorwiegend katholisch gewesen sei, nämlich Österreich und Baiern. Die Regierungen der übrigen deutschen Bundesstaaten seien ebenso wie die Be¬ völkerung ausschließlich oder doch ganz überwiegend protestantisch gewesen; da¬ durch seien die Protestanten im geistigen und besonders auch im wissenschaft¬ lichen Leben allmählich in eine herrschende Stellung gekommen, die Katholiken aber seien zurückgedrängt worden, sodaß sie sich an dem geistigen Leben Deutsch¬ lands nicht mehr hätten bethätigen können; und dieses Mißverhältnis sei noch gewachsen, als seit 1866 das katholische Österreich aus Deutschland gänzlich verdrängt worden sei. Nach dieser Begründung sollte man annehmen, daß im vorigen Jahrhundert, also zu Zeiten des „heiligen römischen Reichs" und jedenfalls noch in den nächsten folgenden Jahrzehnten das geistige und be¬ sonders das wissenschaftliche Leben in Deutschland von den Katholiken oder doch wenigstens von diesen und von den Protestanten in gleichem Maße aus¬ gegangen sei. Das kann aber doch im Ernst niemand behaupten: Kant und Fichte, Klopstock, Herder, Lessing, Goethe und Schiller, Winckelmann, Schlosser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/627>, abgerufen am 27.09.2024.