Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Neue Novellen die für einzelne Aufgaben möglich, wenn auch schwierig ist, handelt es sich bei Etwas, aber nicht viel höher stehen: Höhere Töchter, Humoresken aus Neue Novellen die für einzelne Aufgaben möglich, wenn auch schwierig ist, handelt es sich bei Etwas, aber nicht viel höher stehen: Höhere Töchter, Humoresken aus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0598" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224844"/> <fw type="header" place="top"> Neue Novellen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1791" prev="#ID_1790"> die für einzelne Aufgaben möglich, wenn auch schwierig ist, handelt es sich bei<lb/> den modernen „Kurzgeschichten" nicht. Ihre Wirkung beruht meist darauf, daß<lb/> sie von der poetischen Erfassung und Wiedergabe eines in seiner Art einzigen<lb/> Vorgangs völlig absehen, sie sind eben gar keine Novellen, sondern verkleidete<lb/> Feuilletonartikel, im günstigsten Falle Plaudereien und Humoresken, denen der<lb/> Anstrich einer Erzählung gegeben ist. Proben davon erhalten wir in dem<lb/> Bande Am Seelen telephon, neue Kurzgeschichten von Karl Pröll (Berlin.<lb/> Hugo Storm, 1896), sein Verdienst beschränkt sich auf eine Reihe hübscher<lb/> Einfälle und humoristischer Züge. Daß der Verfasser bisweilen den Ton trifft,<lb/> der in dieser Art von Capriceios wirksam ist, belegen seine Skizzen: „War Eva<lb/> schön?", „Der Mitternachtsnabob," „Die Entlobungspfeife," „Eine Berliner<lb/> Idylle," „Hellschlummer." Von poetischer Wirkung aber kann nicht die Rede<lb/> sein. Dennoch ziehen wir die leichte Zerstreuung und Erheiterung, die durch<lb/> dergleichen Plaudereien erweckt wird, der Wirkung sentimentaler, süßlicher<lb/> Fcuilletonskizzeu vor, wie sie Elise Pvlko in ihren Verwesten und frischen<lb/> Spuren. Geschichten und Bilder (Dresden, Leipzig, Wien, E. Piersons Verlag,<lb/> 1897) wieder einmal — der Himmel weiß, zum wievieltstenmale! — gesammelt<lb/> hat. Es ist vor allem eine Eigentümlichkeit, die diese Art von Lebensbildern<lb/> und Erinnerungen so fad und reizlos macht: die Paarung eines angeblichen<lb/> Idealismus mit der Bewunderung der üppigen Äußerlichkeit, des bloßen<lb/> Luxus — Weltschmerz auf Sammetpolstern, tiefes Leid zwischen persischen<lb/> Teppichen und orientalischen Vorhängen, gebrochne Herzen mit Spitzen besetzt.<lb/> Das ist in einem einzelnen Falle einmal zu ertragen, aber in unablässiger<lb/> Wiederholung wird es schlechthin ungenießbar.</p><lb/> <p xml:id="ID_1792"> Etwas, aber nicht viel höher stehen: Höhere Töchter, Humoresken aus<lb/> dem sehnlicher vou Ein Felsen (Breslau, Franz Geruch, 1896), Nach¬<lb/> ahmungen der bekannten Schulgeschichten vou Ernst Eckstein, von rüpelhaften<lb/> Tertianern und Sekundanern ans die selbstbewußt heranwachsenden Dämchen<lb/> einer „Selekta" übertragen. In fünf Geschichten, „Sein Jubiläum," „Die<lb/> Schule geschwänzt," „Ein Ausflug ins Vuschenthal," „Ein sonderbarer Für¬<lb/> sprecher" und „Im Klassenarrest," hat die Verfasserin hinlänglich Gelegenheit,<lb/> alle die Teufeleien zu schildern, deren eine Taubenschar fähig ist, und vor<lb/> allem die Selbstverrherlichungen und Selbsttäuschungen schulpflichtiger Back¬<lb/> fische in komisches Licht zu rücken. Die leichte Ironie, mit der die vermeinten<lb/> Leidenschaften, Neigungen und Abneigungen der höhern Töchter behandelt sind,<lb/> ist ganz hübsch, aber viel von dergleichen Erfindungen kann man nicht genießen.<lb/> Der Abstand solcher Milchsuppe von den überwürzten Gerichten der meisten<lb/> modernen Erzähler ist kaum noch meßbar, und wenn es wirklich ein Publikum<lb/> giebt, das ganz naiv beides auf sich wirken läßt, so darf mau dieses Publikum<lb/> um seinen Gaumen wie um seine Verdauung beneiden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0598]
Neue Novellen
die für einzelne Aufgaben möglich, wenn auch schwierig ist, handelt es sich bei
den modernen „Kurzgeschichten" nicht. Ihre Wirkung beruht meist darauf, daß
sie von der poetischen Erfassung und Wiedergabe eines in seiner Art einzigen
Vorgangs völlig absehen, sie sind eben gar keine Novellen, sondern verkleidete
Feuilletonartikel, im günstigsten Falle Plaudereien und Humoresken, denen der
Anstrich einer Erzählung gegeben ist. Proben davon erhalten wir in dem
Bande Am Seelen telephon, neue Kurzgeschichten von Karl Pröll (Berlin.
Hugo Storm, 1896), sein Verdienst beschränkt sich auf eine Reihe hübscher
Einfälle und humoristischer Züge. Daß der Verfasser bisweilen den Ton trifft,
der in dieser Art von Capriceios wirksam ist, belegen seine Skizzen: „War Eva
schön?", „Der Mitternachtsnabob," „Die Entlobungspfeife," „Eine Berliner
Idylle," „Hellschlummer." Von poetischer Wirkung aber kann nicht die Rede
sein. Dennoch ziehen wir die leichte Zerstreuung und Erheiterung, die durch
dergleichen Plaudereien erweckt wird, der Wirkung sentimentaler, süßlicher
Fcuilletonskizzeu vor, wie sie Elise Pvlko in ihren Verwesten und frischen
Spuren. Geschichten und Bilder (Dresden, Leipzig, Wien, E. Piersons Verlag,
1897) wieder einmal — der Himmel weiß, zum wievieltstenmale! — gesammelt
hat. Es ist vor allem eine Eigentümlichkeit, die diese Art von Lebensbildern
und Erinnerungen so fad und reizlos macht: die Paarung eines angeblichen
Idealismus mit der Bewunderung der üppigen Äußerlichkeit, des bloßen
Luxus — Weltschmerz auf Sammetpolstern, tiefes Leid zwischen persischen
Teppichen und orientalischen Vorhängen, gebrochne Herzen mit Spitzen besetzt.
Das ist in einem einzelnen Falle einmal zu ertragen, aber in unablässiger
Wiederholung wird es schlechthin ungenießbar.
Etwas, aber nicht viel höher stehen: Höhere Töchter, Humoresken aus
dem sehnlicher vou Ein Felsen (Breslau, Franz Geruch, 1896), Nach¬
ahmungen der bekannten Schulgeschichten vou Ernst Eckstein, von rüpelhaften
Tertianern und Sekundanern ans die selbstbewußt heranwachsenden Dämchen
einer „Selekta" übertragen. In fünf Geschichten, „Sein Jubiläum," „Die
Schule geschwänzt," „Ein Ausflug ins Vuschenthal," „Ein sonderbarer Für¬
sprecher" und „Im Klassenarrest," hat die Verfasserin hinlänglich Gelegenheit,
alle die Teufeleien zu schildern, deren eine Taubenschar fähig ist, und vor
allem die Selbstverrherlichungen und Selbsttäuschungen schulpflichtiger Back¬
fische in komisches Licht zu rücken. Die leichte Ironie, mit der die vermeinten
Leidenschaften, Neigungen und Abneigungen der höhern Töchter behandelt sind,
ist ganz hübsch, aber viel von dergleichen Erfindungen kann man nicht genießen.
Der Abstand solcher Milchsuppe von den überwürzten Gerichten der meisten
modernen Erzähler ist kaum noch meßbar, und wenn es wirklich ein Publikum
giebt, das ganz naiv beides auf sich wirken läßt, so darf mau dieses Publikum
um seinen Gaumen wie um seine Verdauung beneiden.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |