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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zu der Frage des Mahlrechts

halten und durch unsre Arbeit befruchten, so bleiben wir auf der Bahn, die
uns Fürst Bismarck gewiesen hat, und machen manches wieder gut, was wir
vergessen und versäumt haben. Es wird dann nicht mehr den Anschein haben,
als ob der beinahe dreißigjährige Lehrkursus, den seine Ministerlaufbahn bildet,
ganz spurlos an uns vorübergegangen wäre.

Etwas ganz andres als die Festhaltung des allgemeinen, gleichen und
direkten Wahlrechts für die Reichszwecke ist seine Ausdehnung auf die Land¬
tage der Einzelstaaten, denn dafür trifft keiner der Empfehlungsgründe zu,
während alle Gründe, die aus dem Sonderleben der Staaten fließen, dagegen-
sprechen. Nirgends ist ein Bedürfnis nach Änderung der bestehenden Wahl¬
arten im "freiheitlichen" Sinne hervorgetreten, selbst die Dreiklassenwahl hat
sich in Preußen fest eingelebt. Soweit die Bundesstaaten Aufgaben des Reichs
auszuführen haben, sind sie mit Labend als Selbstverwaltungskörper anzusehen,
eine Bethätigung, die selbstverständlich Ruhe und Stetigkeit voraussetzt; aber
auch da, wo die Glieder des Reichs ihre Unabhängigkeit bewahrt haben, ist
"hohe" Politik vom Übel. Diese hat nur im Reich ihre Stätte, und da müssen
wir ja den von großer Bewegung unzertrennlichen Lärm hinnehmen, aber die
Zumutung, diesen Lärm noch in jedem Landtag aufzumuntern, ist g. liinins
abzuweisen. Die Umstünde ferner, die im Reich die Mängel des Neichstags-
wahlrechts ausgleichen und erträglich machen, wurden selbst in den größern
Staaten ihre Kraft versagen, geschweige denn in den kleinern oder mittlern,
wie zum Beispiel im Reichslande, wo es sich auch bei der erstrebten Übertragung
gar nicht um politische Freiheit, sondern darum handelt, den Sondergelüsten
eine noch wirksamere Grundlage zu verschaffen und vom Staate noch den
formellen Oberbefehl über die Schule zu erobern. Ebenso prägnant ist das
Beispiel der Hansestädte, namentlich Hamburgs: daß unsre größte Handelsstadt
im Reichstag durch drei Sozinldemokraten vertreten ist, ist schon ein schwer
zu rechtfertigendes Mißverhältnis, aber geradezu revolutionär ist die Forderung,
daß auch für die Zusammensetzung der Bürgerschaft, in weiterer Folge also
auch für die Bildung des Senats, nur die Zahl der Wähler entscheiden solle.
In ähnlicher Weise sind gefährliche Wünsche überall im Spiel, es muß also
auch überall ^rinelxlis obst!"! heißen. Thatkräftiger Widerstand wird durch
den Hinweis darauf erleichtert werden, daß der "Besitzstand" des Rcichstagswahl-
rechts etwas Unteilbares ist: die räumliche Seite läßt sich von der zeitlichen
nicht trennen, nur für das Reich ist das allgemeine, gleiche und direkte Wahl¬
recht anerkannt worden, wer seine Übertragung auf die Bundesstaaten betreibt,
gefährdet nicht weniger das Kompromiß, worauf das Ganze ruht, als wer an
seiner Abschaffung im Reiche arbeitet.




Zu der Frage des Mahlrechts

halten und durch unsre Arbeit befruchten, so bleiben wir auf der Bahn, die
uns Fürst Bismarck gewiesen hat, und machen manches wieder gut, was wir
vergessen und versäumt haben. Es wird dann nicht mehr den Anschein haben,
als ob der beinahe dreißigjährige Lehrkursus, den seine Ministerlaufbahn bildet,
ganz spurlos an uns vorübergegangen wäre.

Etwas ganz andres als die Festhaltung des allgemeinen, gleichen und
direkten Wahlrechts für die Reichszwecke ist seine Ausdehnung auf die Land¬
tage der Einzelstaaten, denn dafür trifft keiner der Empfehlungsgründe zu,
während alle Gründe, die aus dem Sonderleben der Staaten fließen, dagegen-
sprechen. Nirgends ist ein Bedürfnis nach Änderung der bestehenden Wahl¬
arten im „freiheitlichen" Sinne hervorgetreten, selbst die Dreiklassenwahl hat
sich in Preußen fest eingelebt. Soweit die Bundesstaaten Aufgaben des Reichs
auszuführen haben, sind sie mit Labend als Selbstverwaltungskörper anzusehen,
eine Bethätigung, die selbstverständlich Ruhe und Stetigkeit voraussetzt; aber
auch da, wo die Glieder des Reichs ihre Unabhängigkeit bewahrt haben, ist
„hohe" Politik vom Übel. Diese hat nur im Reich ihre Stätte, und da müssen
wir ja den von großer Bewegung unzertrennlichen Lärm hinnehmen, aber die
Zumutung, diesen Lärm noch in jedem Landtag aufzumuntern, ist g. liinins
abzuweisen. Die Umstünde ferner, die im Reich die Mängel des Neichstags-
wahlrechts ausgleichen und erträglich machen, wurden selbst in den größern
Staaten ihre Kraft versagen, geschweige denn in den kleinern oder mittlern,
wie zum Beispiel im Reichslande, wo es sich auch bei der erstrebten Übertragung
gar nicht um politische Freiheit, sondern darum handelt, den Sondergelüsten
eine noch wirksamere Grundlage zu verschaffen und vom Staate noch den
formellen Oberbefehl über die Schule zu erobern. Ebenso prägnant ist das
Beispiel der Hansestädte, namentlich Hamburgs: daß unsre größte Handelsstadt
im Reichstag durch drei Sozinldemokraten vertreten ist, ist schon ein schwer
zu rechtfertigendes Mißverhältnis, aber geradezu revolutionär ist die Forderung,
daß auch für die Zusammensetzung der Bürgerschaft, in weiterer Folge also
auch für die Bildung des Senats, nur die Zahl der Wähler entscheiden solle.
In ähnlicher Weise sind gefährliche Wünsche überall im Spiel, es muß also
auch überall ^rinelxlis obst!»! heißen. Thatkräftiger Widerstand wird durch
den Hinweis darauf erleichtert werden, daß der „Besitzstand" des Rcichstagswahl-
rechts etwas Unteilbares ist: die räumliche Seite läßt sich von der zeitlichen
nicht trennen, nur für das Reich ist das allgemeine, gleiche und direkte Wahl¬
recht anerkannt worden, wer seine Übertragung auf die Bundesstaaten betreibt,
gefährdet nicht weniger das Kompromiß, worauf das Ganze ruht, als wer an
seiner Abschaffung im Reiche arbeitet.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/583>, abgerufen am 29.09.2024.