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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

vollzogen hat, und welche innern Stnlkturveränderuugeu ans dieser Anpassung
hervorgegangen sind. Im Nahmen eines Aufsatzes kann dabei nur von einer
Skizze die Rede sein.

Zu Beginn der geschichtlichen Überlieferung ist die deutsche Heeres- und
Staatsverfassung der nach Geschlechtern geordnete Heerbann. Noch ohne ein
eigentliches Vaterland besteht der Staat aus eiuer im wesentlichen militärischen
Gliederung des Volks. Nach dessen Seßhaftwerden auf bestimmter Scholle treten
wirtschaftliche Sorgen dringender in den Vordergrund, der allgemeine Heeres¬
dienst wird zu eiuer Plage, der man sich entzieht, wenn nicht eine besondre
Vergütung dafür genährt wird. Häufige innere Kriege zwischen Parteien, sowie
Kriege in größerer Entfernung von den Landesgrenzen veranlassen eine Ände¬
rung der Kriegsverfassung. Statt des sich langsam zersetzenden Heerbannes
übernehmen die Vasallen mit ihren Hintersassen und Dienstmannen die Last,
aber auch den Lohn des Kriegsdienstes, während der größte Teil des Volks
für die Befreiung von der Waffenpflicht und den gewährten Schutz Gegen-
leistungen andrer Art übernimmt. Hiermit vollzieht sich je länger je mehr
und je schärfer die verhängnisvolle Scheidung in die großen Gruppen der
waffentragenden Schützer und der waffenlosen Beschützten. Während jene sich
aufwärts bewegen, sinken diese von Stufe zu Stufe herab: aus den waffenlos
gewordnen Altfreien und Unfreien werden die Grundholden, im Laufe der Jahr¬
hunderte werden diese zu Hörigen und endlich zu Leibeignen. Mit der Waffen¬
pflicht hat die Masse des Volks auch ihre Bürgerrechte verloren, sie ist zum
Paria geworden; es ist nur natürlich, daß der Staat diesen Klassen, die seine"
Nutzen nicht unmittelbar fördern können, auch nur ein geringeres Interesse
entgegenbringt. Dieses Sinken der untern Volksschichten, insbesondre des
Bauernstandes, dauert genau so lauge, bis der Staat im eigensten Interesse
ihrer wieder bedarf. Es ist das die Zeit des dreißigjährigen Krieges. Die
furchtbare Not der Zeit, die völlige Verwilderung des Berufssölonertums und
endlich das Muster der schwedischen Armee, in der das altgermanische kriegerische
Bauerntum noch fortlebte, ließen den so natürlichen Gedanken der allgemeinen
Wehrpflicht wieder aufleben. Gern hätte der Staat die Aushebung eingeführt,
aber die Masse des Volks war vorläufig für ihn nicht zu haben, andre
Schichten mit erworbnen und angemaßten Rechten hatten sich dazwischengedrängt,
und es hat eines Kampfes von mehr als anderthalb Jahrhunderten bedurft,
bis der Staat zur Masse des Volks und diese zum Staate durchdringen konnte.
Deutlich aber bleibt der um 1640 liegende Wendepunkt erkennbar, wo die be¬
zeichnete Bewegung rückläufig zu werden beginnt, bis sie im neunzehnten Jahr¬
hundert wieder zu dem modernisirten alten Heerbann, zur Vollfreiheit und
Gleichberechtigung des alten Zustandes zurückkehrt. Das Sinken des Bauern¬
standes hatte aber auch den stärksten Einfluß auf seinen Charakter geübt: in
der Abhängigkeit und Rechtlosigkeit war er träge, roh und liederlich, stupide


Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik

vollzogen hat, und welche innern Stnlkturveränderuugeu ans dieser Anpassung
hervorgegangen sind. Im Nahmen eines Aufsatzes kann dabei nur von einer
Skizze die Rede sein.

Zu Beginn der geschichtlichen Überlieferung ist die deutsche Heeres- und
Staatsverfassung der nach Geschlechtern geordnete Heerbann. Noch ohne ein
eigentliches Vaterland besteht der Staat aus eiuer im wesentlichen militärischen
Gliederung des Volks. Nach dessen Seßhaftwerden auf bestimmter Scholle treten
wirtschaftliche Sorgen dringender in den Vordergrund, der allgemeine Heeres¬
dienst wird zu eiuer Plage, der man sich entzieht, wenn nicht eine besondre
Vergütung dafür genährt wird. Häufige innere Kriege zwischen Parteien, sowie
Kriege in größerer Entfernung von den Landesgrenzen veranlassen eine Ände¬
rung der Kriegsverfassung. Statt des sich langsam zersetzenden Heerbannes
übernehmen die Vasallen mit ihren Hintersassen und Dienstmannen die Last,
aber auch den Lohn des Kriegsdienstes, während der größte Teil des Volks
für die Befreiung von der Waffenpflicht und den gewährten Schutz Gegen-
leistungen andrer Art übernimmt. Hiermit vollzieht sich je länger je mehr
und je schärfer die verhängnisvolle Scheidung in die großen Gruppen der
waffentragenden Schützer und der waffenlosen Beschützten. Während jene sich
aufwärts bewegen, sinken diese von Stufe zu Stufe herab: aus den waffenlos
gewordnen Altfreien und Unfreien werden die Grundholden, im Laufe der Jahr¬
hunderte werden diese zu Hörigen und endlich zu Leibeignen. Mit der Waffen¬
pflicht hat die Masse des Volks auch ihre Bürgerrechte verloren, sie ist zum
Paria geworden; es ist nur natürlich, daß der Staat diesen Klassen, die seine»
Nutzen nicht unmittelbar fördern können, auch nur ein geringeres Interesse
entgegenbringt. Dieses Sinken der untern Volksschichten, insbesondre des
Bauernstandes, dauert genau so lauge, bis der Staat im eigensten Interesse
ihrer wieder bedarf. Es ist das die Zeit des dreißigjährigen Krieges. Die
furchtbare Not der Zeit, die völlige Verwilderung des Berufssölonertums und
endlich das Muster der schwedischen Armee, in der das altgermanische kriegerische
Bauerntum noch fortlebte, ließen den so natürlichen Gedanken der allgemeinen
Wehrpflicht wieder aufleben. Gern hätte der Staat die Aushebung eingeführt,
aber die Masse des Volks war vorläufig für ihn nicht zu haben, andre
Schichten mit erworbnen und angemaßten Rechten hatten sich dazwischengedrängt,
und es hat eines Kampfes von mehr als anderthalb Jahrhunderten bedurft,
bis der Staat zur Masse des Volks und diese zum Staate durchdringen konnte.
Deutlich aber bleibt der um 1640 liegende Wendepunkt erkennbar, wo die be¬
zeichnete Bewegung rückläufig zu werden beginnt, bis sie im neunzehnten Jahr¬
hundert wieder zu dem modernisirten alten Heerbann, zur Vollfreiheit und
Gleichberechtigung des alten Zustandes zurückkehrt. Das Sinken des Bauern¬
standes hatte aber auch den stärksten Einfluß auf seinen Charakter geübt: in
der Abhängigkeit und Rechtlosigkeit war er träge, roh und liederlich, stupide


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[0572] Der Zusammenhang von äußerer und innerer Politik vollzogen hat, und welche innern Stnlkturveränderuugeu ans dieser Anpassung hervorgegangen sind. Im Nahmen eines Aufsatzes kann dabei nur von einer Skizze die Rede sein. Zu Beginn der geschichtlichen Überlieferung ist die deutsche Heeres- und Staatsverfassung der nach Geschlechtern geordnete Heerbann. Noch ohne ein eigentliches Vaterland besteht der Staat aus eiuer im wesentlichen militärischen Gliederung des Volks. Nach dessen Seßhaftwerden auf bestimmter Scholle treten wirtschaftliche Sorgen dringender in den Vordergrund, der allgemeine Heeres¬ dienst wird zu eiuer Plage, der man sich entzieht, wenn nicht eine besondre Vergütung dafür genährt wird. Häufige innere Kriege zwischen Parteien, sowie Kriege in größerer Entfernung von den Landesgrenzen veranlassen eine Ände¬ rung der Kriegsverfassung. Statt des sich langsam zersetzenden Heerbannes übernehmen die Vasallen mit ihren Hintersassen und Dienstmannen die Last, aber auch den Lohn des Kriegsdienstes, während der größte Teil des Volks für die Befreiung von der Waffenpflicht und den gewährten Schutz Gegen- leistungen andrer Art übernimmt. Hiermit vollzieht sich je länger je mehr und je schärfer die verhängnisvolle Scheidung in die großen Gruppen der waffentragenden Schützer und der waffenlosen Beschützten. Während jene sich aufwärts bewegen, sinken diese von Stufe zu Stufe herab: aus den waffenlos gewordnen Altfreien und Unfreien werden die Grundholden, im Laufe der Jahr¬ hunderte werden diese zu Hörigen und endlich zu Leibeignen. Mit der Waffen¬ pflicht hat die Masse des Volks auch ihre Bürgerrechte verloren, sie ist zum Paria geworden; es ist nur natürlich, daß der Staat diesen Klassen, die seine» Nutzen nicht unmittelbar fördern können, auch nur ein geringeres Interesse entgegenbringt. Dieses Sinken der untern Volksschichten, insbesondre des Bauernstandes, dauert genau so lauge, bis der Staat im eigensten Interesse ihrer wieder bedarf. Es ist das die Zeit des dreißigjährigen Krieges. Die furchtbare Not der Zeit, die völlige Verwilderung des Berufssölonertums und endlich das Muster der schwedischen Armee, in der das altgermanische kriegerische Bauerntum noch fortlebte, ließen den so natürlichen Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht wieder aufleben. Gern hätte der Staat die Aushebung eingeführt, aber die Masse des Volks war vorläufig für ihn nicht zu haben, andre Schichten mit erworbnen und angemaßten Rechten hatten sich dazwischengedrängt, und es hat eines Kampfes von mehr als anderthalb Jahrhunderten bedurft, bis der Staat zur Masse des Volks und diese zum Staate durchdringen konnte. Deutlich aber bleibt der um 1640 liegende Wendepunkt erkennbar, wo die be¬ zeichnete Bewegung rückläufig zu werden beginnt, bis sie im neunzehnten Jahr¬ hundert wieder zu dem modernisirten alten Heerbann, zur Vollfreiheit und Gleichberechtigung des alten Zustandes zurückkehrt. Das Sinken des Bauern¬ standes hatte aber auch den stärksten Einfluß auf seinen Charakter geübt: in der Abhängigkeit und Rechtlosigkeit war er träge, roh und liederlich, stupide

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/572>, abgerufen am 29.09.2024.