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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Gottfried Aelter und seine Novellen

Wald heraustritt an die Sonne des Vaterlandstages, um gleich wieder zurück¬
zutreten und mit zu rauschen und zu brausen mit den tausend andern Kronen
in der heimeligen Waldesrande des Volkes, wo nur wenige sich kennen und
nennen können und doch alle vertraut und bekannt sind." Und ebenso die
Anreden der beiden Alten an Karl -- die reine Popularphilosophie aus dem
Munde der Handwerker!

Ebenso wenig passend ist es, wenn er Pankraz dem Schmoller seine An¬
sichten über Shakespeare in den Mund legt. Goethe hat das zwar im Wilhelm
Meister auch gethan, aber dort ist alles an seiner Stelle. Dagegen lese man
die Auslassung, die dem Seldwyler in den Mund gelegt wird: "Er schildert
die Welt nach allen Seiten hin durchaus einzig und wahr, wie sie ist, aber
nur wie sie es in den ganzen Menschen ist, welche im Guten und im Schlechten
das Metier ihres Daseins und ihrer Neigungen vollständig und charakteristisch
betreiben, und dabei durchsichtig wie Krystall, jeder vom reinsten Wasser in
seiner Art, so daß, wenn schlechte Skribenten die Welt der Mittelmäßigkeit
und farblosen Halbheit beherrschen und malen und dadurch Schwachköpfe in
die Irre führen und mit tausend unbedeutenden Täuschungen anfüllen, dieser
hingegen eben die Welt des Ganzen und Gelungnen in seiner Art, d. h. wie
es sein soll, beherrscht und dadurch gute Köpfe in die Irre führt, wenn sie
in der Welt dies wesentliche Leben zu sehen und wiederzufinden glauben" usw.

An andern Stellen fällt aber der Dichter sogar selbst in einen lehrhaften
Ton, und nicht immer sind es Früchte vom grünen Baum des Lebens, die er
uns da vorsetzt. Kinder hat er ja nie erzogen, daher erscheint uns seine Er¬
ziehungstheorie, die langatmig die Schilderung der werktüchtigen Regel Amrain
unterbricht, etwas grau, und seine politische Auseinandersetzung ebenda minde¬
stens etwas einseitig, wenn er sagt: "Wer freisinnig ist, traut sich in der Welt
etwas Gutes zu und weiß mannhaft von nichts anderm, als daß man hiefür
einzustehen vermöge, während der Unfreistnn oder der Konservatismus auf
Zaghaftigkeit und Beschränktheit begründet ist. Diese lassen sich aber schwer
mit wahrer Männlichkeit vereinigen. . . . Sei einer so tapfer und resolut, als
er wolle, wenn er nicht vermag freisinnig zu sein, so ist er kein ganzer
Mann."

Man mag solche Auswüchse,") die sich gerade im ersten Bande der Seld¬
wyler Geschichten besonders oft finden, seiner Jugend zu gute halten. Aber
charakteristisch sind sie für ihn immerhin. Denn diese verstündige Trockenheit
tritt uns auch noch später oft genug störend entgegen. Der Ausgang von
Regimens Geschichte, die im "Sinngedicht" der junge Reinhard seiner liebens¬
würdigen Wirtin, der reizenden Lucie erzählt, ist doch wahrhaft ergreifend.



*) Dahin gehört much dus Mornlisiren, dus zuweilen die Erzählung störend unterbricht
und weder immer zutreffend, noch leicht verständlich ist.
Gottfried Aelter und seine Novellen

Wald heraustritt an die Sonne des Vaterlandstages, um gleich wieder zurück¬
zutreten und mit zu rauschen und zu brausen mit den tausend andern Kronen
in der heimeligen Waldesrande des Volkes, wo nur wenige sich kennen und
nennen können und doch alle vertraut und bekannt sind." Und ebenso die
Anreden der beiden Alten an Karl — die reine Popularphilosophie aus dem
Munde der Handwerker!

Ebenso wenig passend ist es, wenn er Pankraz dem Schmoller seine An¬
sichten über Shakespeare in den Mund legt. Goethe hat das zwar im Wilhelm
Meister auch gethan, aber dort ist alles an seiner Stelle. Dagegen lese man
die Auslassung, die dem Seldwyler in den Mund gelegt wird: „Er schildert
die Welt nach allen Seiten hin durchaus einzig und wahr, wie sie ist, aber
nur wie sie es in den ganzen Menschen ist, welche im Guten und im Schlechten
das Metier ihres Daseins und ihrer Neigungen vollständig und charakteristisch
betreiben, und dabei durchsichtig wie Krystall, jeder vom reinsten Wasser in
seiner Art, so daß, wenn schlechte Skribenten die Welt der Mittelmäßigkeit
und farblosen Halbheit beherrschen und malen und dadurch Schwachköpfe in
die Irre führen und mit tausend unbedeutenden Täuschungen anfüllen, dieser
hingegen eben die Welt des Ganzen und Gelungnen in seiner Art, d. h. wie
es sein soll, beherrscht und dadurch gute Köpfe in die Irre führt, wenn sie
in der Welt dies wesentliche Leben zu sehen und wiederzufinden glauben" usw.

An andern Stellen fällt aber der Dichter sogar selbst in einen lehrhaften
Ton, und nicht immer sind es Früchte vom grünen Baum des Lebens, die er
uns da vorsetzt. Kinder hat er ja nie erzogen, daher erscheint uns seine Er¬
ziehungstheorie, die langatmig die Schilderung der werktüchtigen Regel Amrain
unterbricht, etwas grau, und seine politische Auseinandersetzung ebenda minde¬
stens etwas einseitig, wenn er sagt: „Wer freisinnig ist, traut sich in der Welt
etwas Gutes zu und weiß mannhaft von nichts anderm, als daß man hiefür
einzustehen vermöge, während der Unfreistnn oder der Konservatismus auf
Zaghaftigkeit und Beschränktheit begründet ist. Diese lassen sich aber schwer
mit wahrer Männlichkeit vereinigen. . . . Sei einer so tapfer und resolut, als
er wolle, wenn er nicht vermag freisinnig zu sein, so ist er kein ganzer
Mann."

Man mag solche Auswüchse,") die sich gerade im ersten Bande der Seld¬
wyler Geschichten besonders oft finden, seiner Jugend zu gute halten. Aber
charakteristisch sind sie für ihn immerhin. Denn diese verstündige Trockenheit
tritt uns auch noch später oft genug störend entgegen. Der Ausgang von
Regimens Geschichte, die im „Sinngedicht" der junge Reinhard seiner liebens¬
würdigen Wirtin, der reizenden Lucie erzählt, ist doch wahrhaft ergreifend.



*) Dahin gehört much dus Mornlisiren, dus zuweilen die Erzählung störend unterbricht
und weder immer zutreffend, noch leicht verständlich ist.
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[0546] Gottfried Aelter und seine Novellen Wald heraustritt an die Sonne des Vaterlandstages, um gleich wieder zurück¬ zutreten und mit zu rauschen und zu brausen mit den tausend andern Kronen in der heimeligen Waldesrande des Volkes, wo nur wenige sich kennen und nennen können und doch alle vertraut und bekannt sind." Und ebenso die Anreden der beiden Alten an Karl — die reine Popularphilosophie aus dem Munde der Handwerker! Ebenso wenig passend ist es, wenn er Pankraz dem Schmoller seine An¬ sichten über Shakespeare in den Mund legt. Goethe hat das zwar im Wilhelm Meister auch gethan, aber dort ist alles an seiner Stelle. Dagegen lese man die Auslassung, die dem Seldwyler in den Mund gelegt wird: „Er schildert die Welt nach allen Seiten hin durchaus einzig und wahr, wie sie ist, aber nur wie sie es in den ganzen Menschen ist, welche im Guten und im Schlechten das Metier ihres Daseins und ihrer Neigungen vollständig und charakteristisch betreiben, und dabei durchsichtig wie Krystall, jeder vom reinsten Wasser in seiner Art, so daß, wenn schlechte Skribenten die Welt der Mittelmäßigkeit und farblosen Halbheit beherrschen und malen und dadurch Schwachköpfe in die Irre führen und mit tausend unbedeutenden Täuschungen anfüllen, dieser hingegen eben die Welt des Ganzen und Gelungnen in seiner Art, d. h. wie es sein soll, beherrscht und dadurch gute Köpfe in die Irre führt, wenn sie in der Welt dies wesentliche Leben zu sehen und wiederzufinden glauben" usw. An andern Stellen fällt aber der Dichter sogar selbst in einen lehrhaften Ton, und nicht immer sind es Früchte vom grünen Baum des Lebens, die er uns da vorsetzt. Kinder hat er ja nie erzogen, daher erscheint uns seine Er¬ ziehungstheorie, die langatmig die Schilderung der werktüchtigen Regel Amrain unterbricht, etwas grau, und seine politische Auseinandersetzung ebenda minde¬ stens etwas einseitig, wenn er sagt: „Wer freisinnig ist, traut sich in der Welt etwas Gutes zu und weiß mannhaft von nichts anderm, als daß man hiefür einzustehen vermöge, während der Unfreistnn oder der Konservatismus auf Zaghaftigkeit und Beschränktheit begründet ist. Diese lassen sich aber schwer mit wahrer Männlichkeit vereinigen. . . . Sei einer so tapfer und resolut, als er wolle, wenn er nicht vermag freisinnig zu sein, so ist er kein ganzer Mann." Man mag solche Auswüchse,") die sich gerade im ersten Bande der Seld¬ wyler Geschichten besonders oft finden, seiner Jugend zu gute halten. Aber charakteristisch sind sie für ihn immerhin. Denn diese verstündige Trockenheit tritt uns auch noch später oft genug störend entgegen. Der Ausgang von Regimens Geschichte, die im „Sinngedicht" der junge Reinhard seiner liebens¬ würdigen Wirtin, der reizenden Lucie erzählt, ist doch wahrhaft ergreifend. *) Dahin gehört much dus Mornlisiren, dus zuweilen die Erzählung störend unterbricht und weder immer zutreffend, noch leicht verständlich ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/546>, abgerufen am 29.09.2024.