Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Kaiser Wilhelm der Siegreiche endlich hat er seine, die historische, die verfassungsmäßige Auffassung des Und ein Sieger war er auch über die Herzen. Kein Staatsrechtslehrer, Kaiser Wilhelm der Siegreiche endlich hat er seine, die historische, die verfassungsmäßige Auffassung des Und ein Sieger war er auch über die Herzen. Kein Staatsrechtslehrer, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224768"/> <fw type="header" place="top"> Kaiser Wilhelm der Siegreiche</fw><lb/> <p xml:id="ID_1565" prev="#ID_1564"> endlich hat er seine, die historische, die verfassungsmäßige Auffassung des<lb/> Königtums verfochten gegen das im tiefsten Kern undeutsche und verfassungs¬<lb/> widrige Bestreben, das auf fremden Vorbildern beruhte, die Krone zu ent¬<lb/> würdigen zu einem Dekorationsstück eines parlamentarisch geordneten Staats.<lb/> Und nur weil er die echte Monarchie als den unerschütterliche» Grund seines<lb/> Staats behauptete, weil er das Heer geschaffen hatte, das seine siegreichen<lb/> Schlachten schlug, nur darum ist er geworden, was ihm selbst anfangs fehr<lb/> fern gelegen hat: der siegreiche Wiederhersteller und der erste Kaiser des<lb/> deutschen Reichs, der Begründer seiner Weltstellung und einer neuen wirtschaft¬<lb/> lich-sozialen Politik, die unmöglich gewesen wäre ohne jene, und die zum ersten¬<lb/> male den ernsten Versuch einer tiefgreifenden Sozialreform machte. Er selbst<lb/> würde den Gedanken, daß er das alles allein erdacht und geschaffen habe, weit<lb/> von sich gewiesen haben; niemals hat ein König die Verdienste der großen<lb/> Männer, die er mit „sast irrtumsloser Menschenkenntnis" aufwühlte und dann<lb/> mit zäher Treue gegen alle Anfeindungen hielt, Würmer, neidloser, bescheidner<lb/> anerkannt als er, und niemand würde dem Satze: „Ohne König Wilhelm kein<lb/> Fürst Bismarck, aber auch ohne den Fürsten Bismarck kein Kaiser Wilhelm"<lb/> rückhaltloser zugestimmt haben als er; aber sein ist das Verdienst, auch die<lb/> großen Gedanken, die in ihnen, nicht in ihm entstanden, wenn auch zuweilen<lb/> widerstrebend, sich angeeignet und seinen treuen Paladinen die Möglichkeit zu<lb/> ihrer Verwirklichung gegeben zu haben. Siegreich war er auch hier, denn er<lb/> überwand sich selbst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1566" next="#ID_1567"> Und ein Sieger war er auch über die Herzen. Kein Staatsrechtslehrer,<lb/> der nicht ernsthaft an der Lebensfähigkeit eines monarchischen deutschen Bundes¬<lb/> staats gezweifelt hätte, eines Bundesstaats, für den schlechterdings kein Beispiel<lb/> in der Geschichte vorlag, und der in keine staatsrechtliche Definition hineinpaßte,<lb/> ja der mit den Waffen in der Hand hatte begründet werden müssen. Wie sollten<lb/> es alle diese alten, mit ihren Ländern seit Jahrhunderten verwachsenen Fürsten¬<lb/> geschlechter jemals vergessen, daß sie einen Teil ihrer in langen Kämpfen er-<lb/> worbnen Rechte hatten opfern müssen für das Ganze, und daß einer aus ihrer<lb/> Mitte hoch über sie alle emporgestiegen war, dem die meisten von ihnen mit<lb/> den Waffen gegenübergestanden hatten? Und doch ist es geschehen, und doch<lb/> fügten sie sich alle diesem ehrwürdigen Haupte, und als nach dem Tode der<lb/> beiden ersten Hohenzvllernkaiscr der dritte den Thron bestiegen hatte, da Scharte<lb/> sich, als er seinen ersten Reichstag feierlich eröffnete, „Deutschlands ein¬<lb/> trächtiger Fürstenrat" um die Person des jungen Erben, um vor aller Welt<lb/> zu bezeugen, daß das deutsche Reich, der deutsche Bundesstaat unerschütterlich<lb/> feststehe. Auch das war ein Sieg des ersten Kaisers. Denn niemals wollte er<lb/> mehr sein als der erste unter seinesgleichen; alles, was das Selbstgefühl seiner<lb/> fürstlichen Genossen hätte kränken können, vermied er aufs sorgfältigste, nie¬<lb/> mals ging er auch nur eine Linie über die verfassungsmäßige Grenze seiner</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0522]
Kaiser Wilhelm der Siegreiche
endlich hat er seine, die historische, die verfassungsmäßige Auffassung des
Königtums verfochten gegen das im tiefsten Kern undeutsche und verfassungs¬
widrige Bestreben, das auf fremden Vorbildern beruhte, die Krone zu ent¬
würdigen zu einem Dekorationsstück eines parlamentarisch geordneten Staats.
Und nur weil er die echte Monarchie als den unerschütterliche» Grund seines
Staats behauptete, weil er das Heer geschaffen hatte, das seine siegreichen
Schlachten schlug, nur darum ist er geworden, was ihm selbst anfangs fehr
fern gelegen hat: der siegreiche Wiederhersteller und der erste Kaiser des
deutschen Reichs, der Begründer seiner Weltstellung und einer neuen wirtschaft¬
lich-sozialen Politik, die unmöglich gewesen wäre ohne jene, und die zum ersten¬
male den ernsten Versuch einer tiefgreifenden Sozialreform machte. Er selbst
würde den Gedanken, daß er das alles allein erdacht und geschaffen habe, weit
von sich gewiesen haben; niemals hat ein König die Verdienste der großen
Männer, die er mit „sast irrtumsloser Menschenkenntnis" aufwühlte und dann
mit zäher Treue gegen alle Anfeindungen hielt, Würmer, neidloser, bescheidner
anerkannt als er, und niemand würde dem Satze: „Ohne König Wilhelm kein
Fürst Bismarck, aber auch ohne den Fürsten Bismarck kein Kaiser Wilhelm"
rückhaltloser zugestimmt haben als er; aber sein ist das Verdienst, auch die
großen Gedanken, die in ihnen, nicht in ihm entstanden, wenn auch zuweilen
widerstrebend, sich angeeignet und seinen treuen Paladinen die Möglichkeit zu
ihrer Verwirklichung gegeben zu haben. Siegreich war er auch hier, denn er
überwand sich selbst.
Und ein Sieger war er auch über die Herzen. Kein Staatsrechtslehrer,
der nicht ernsthaft an der Lebensfähigkeit eines monarchischen deutschen Bundes¬
staats gezweifelt hätte, eines Bundesstaats, für den schlechterdings kein Beispiel
in der Geschichte vorlag, und der in keine staatsrechtliche Definition hineinpaßte,
ja der mit den Waffen in der Hand hatte begründet werden müssen. Wie sollten
es alle diese alten, mit ihren Ländern seit Jahrhunderten verwachsenen Fürsten¬
geschlechter jemals vergessen, daß sie einen Teil ihrer in langen Kämpfen er-
worbnen Rechte hatten opfern müssen für das Ganze, und daß einer aus ihrer
Mitte hoch über sie alle emporgestiegen war, dem die meisten von ihnen mit
den Waffen gegenübergestanden hatten? Und doch ist es geschehen, und doch
fügten sie sich alle diesem ehrwürdigen Haupte, und als nach dem Tode der
beiden ersten Hohenzvllernkaiscr der dritte den Thron bestiegen hatte, da Scharte
sich, als er seinen ersten Reichstag feierlich eröffnete, „Deutschlands ein¬
trächtiger Fürstenrat" um die Person des jungen Erben, um vor aller Welt
zu bezeugen, daß das deutsche Reich, der deutsche Bundesstaat unerschütterlich
feststehe. Auch das war ein Sieg des ersten Kaisers. Denn niemals wollte er
mehr sein als der erste unter seinesgleichen; alles, was das Selbstgefühl seiner
fürstlichen Genossen hätte kränken können, vermied er aufs sorgfältigste, nie¬
mals ging er auch nur eine Linie über die verfassungsmäßige Grenze seiner
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |