Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches der Zeit gehalten. (München, C, H. Becksche Verlagsbuchhandlung.) Der Vortrag Brentano sagt, sür den Beobachter auf wirtschaftlichem Gebiete sei das Wir haben seit langer Zeit von einem staatswissenschaftlicher Professor nichts Die Erscheinung, "daß selbst Jünger der Wissenschaft der Svphisiik von Inter¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches der Zeit gehalten. (München, C, H. Becksche Verlagsbuchhandlung.) Der Vortrag Brentano sagt, sür den Beobachter auf wirtschaftlichem Gebiete sei das Wir haben seit langer Zeit von einem staatswissenschaftlicher Professor nichts Die Erscheinung, „daß selbst Jünger der Wissenschaft der Svphisiik von Inter¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224758"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1533" prev="#ID_1532"> der Zeit gehalten. (München, C, H. Becksche Verlagsbuchhandlung.) Der Vortrag<lb/> verdient die Beachtung weiterer Kreise, denn er enthält Perlen der Belehrung über<lb/> die sozialpolitische Forschung überhaupt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1534"> Brentano sagt, sür den Beobachter auf wirtschaftlichem Gebiete sei das<lb/> Zeugnis der „Interessenten" gleichzeitig das wertvollste und das gefährlichste. Das<lb/> wertvollste, denn der Interessent könne allein vollen Aufschluß geben über das, was<lb/> beobachtet werden solle; das gefährlichste, denn eben weil er Interessent sei, sei es<lb/> sehr zweifelhaft, daß er überall da Aufschluß geben wolle, wo die Kenntnis der<lb/> Dinge, wie sie wirklich seien, sein Interesse schädigen könnte, und selbst da, wo er<lb/> nicht bewußt Falsches sage, sei das Interesse, das er an einer ihm günstigen Auf¬<lb/> fassung habe, so groß, daß er selbst oft unbewußt die Erscheinungen in gefärbtem<lb/> Lichte erblicke. Daher entstehe für den „Studirenden" die Gefahr, einer einseitigen<lb/> Parteinahme und damit der „Unwissenschaftlichkeit" zu verfallen. Und angesichts<lb/> der Energie, mit der die verschiednen Interessengruppen heute bestrebt seien, ihre<lb/> Sonderinteressen zur Herrschaft zu bringen, sei diese Gefahr besonders groß.<lb/> Während man früher in der Politik davon ausgegangen sei, daß das Sonder¬<lb/> interesse dem allgemeinen Interesse unterzuordnen sei, erscheine jetzt der Staat als<lb/> das „Ausbentnngsvbjekt," dessen Machtfülle in den Dienst der Svnderiuteressen<lb/> gestellt werden müsse, und jede Partei gehe darauf aus, vom Staate Maßregeln<lb/> zu erlangen, die ihre Sonderinteressen auf Kosten der Gesamtheit zu fordern ge¬<lb/> eignet scheinen. Ju diesem Hintansetzen des Gesamtinteresses hinter das wirtschaft¬<lb/> liche Sonderinteresse einer Klasse habe der Hauptvorwurf gelegen, den man gegen<lb/> die „Männer von Manchester" erhoben habe. Wie wenig die „Negation der Staats¬<lb/> einmischung," wie sehr vielmehr die „Verfolgung vou Souderinteressen an Stelle<lb/> des Gesamtinteresses" das Ausschlaggebende am Manchestertnm sei, gehe daraus<lb/> hervor, daß heute dieselbe Handelskammer von Manchester aufs lebhafteste für<lb/> Staatseinmischung eintrete, wo es wieder gelte, ihr Sonderinteresse ans Kosten des<lb/> Gesamtinteresses zu fördern, so wenn sie lebhaft für künstliche Wiedererhöhuug des<lb/> Silberpreises durch staatliche Maßnahmen eintrete oder staatliche Maßnahmen ver¬<lb/> lange zur Erschwerung der Konkurrenz der indischen Baumwollenspinnerei und Weberei<lb/> mit der von Lanenshire.</p><lb/> <p xml:id="ID_1535"> Wir haben seit langer Zeit von einem staatswissenschaftlicher Professor nichts<lb/> gelesen, was uns so gefallen hätte. Und wenn sich Brentano vollends zu dem Zu-<lb/> geständnis veranlaßt sieht, daß man „sogar versucht sein könnte, die Arbeiter selbst<lb/> Manchesterlente zu nennen, wenn sie heute auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens<lb/> die Verstaatlichung der Produktionsmittel verlangen ohne Rücksicht ans die Schädigung,<lb/> die daraus den Interessenten der Gesamtheit erwachsen würde," und daß dieser<lb/> Bezeichnung der Umstand nicht im Wege stehe, „daß das alte Manchestertnm sein<lb/> Sonderinteresse gerade durch Negation der Staatseinmischnng verfolgt habe," so<lb/> möchte man beinahe hoffen, daß es den in die einseitige sozialdemokratische oder<lb/> nationalsoziale Arbeiterfreuudschaft verrannten gelehrten Herren doch noch einmal<lb/> klar werden könnte, wie wenig diese Parteibewegnngen auf den Namen „sozial"<lb/> ein Recht habe», weil sie in der That auf-nichts andres hinauslaufen als auf das<lb/> extremste Manchestertnm der arbeitenden .Nasse. .</p><lb/> <p xml:id="ID_1536" next="#ID_1537"> Die Erscheinung, „daß selbst Jünger der Wissenschaft der Svphisiik von Inter¬<lb/> essenten erliegen," heißt es weiter, sei ein sprechender Beleg für die Gefahr, der<lb/> die Studenten der Staatswissenschaften, ausgesetzt seien. Die Notwendigkeit, statt<lb/> die Gesetze des Wirtschaftslebens ans aprivristischen Annahmen abzuleiten, von der<lb/> Beobachtung der Einzelerscheinungen auszugehen, führe dazu, „den Interessenten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0512]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
der Zeit gehalten. (München, C, H. Becksche Verlagsbuchhandlung.) Der Vortrag
verdient die Beachtung weiterer Kreise, denn er enthält Perlen der Belehrung über
die sozialpolitische Forschung überhaupt.
Brentano sagt, sür den Beobachter auf wirtschaftlichem Gebiete sei das
Zeugnis der „Interessenten" gleichzeitig das wertvollste und das gefährlichste. Das
wertvollste, denn der Interessent könne allein vollen Aufschluß geben über das, was
beobachtet werden solle; das gefährlichste, denn eben weil er Interessent sei, sei es
sehr zweifelhaft, daß er überall da Aufschluß geben wolle, wo die Kenntnis der
Dinge, wie sie wirklich seien, sein Interesse schädigen könnte, und selbst da, wo er
nicht bewußt Falsches sage, sei das Interesse, das er an einer ihm günstigen Auf¬
fassung habe, so groß, daß er selbst oft unbewußt die Erscheinungen in gefärbtem
Lichte erblicke. Daher entstehe für den „Studirenden" die Gefahr, einer einseitigen
Parteinahme und damit der „Unwissenschaftlichkeit" zu verfallen. Und angesichts
der Energie, mit der die verschiednen Interessengruppen heute bestrebt seien, ihre
Sonderinteressen zur Herrschaft zu bringen, sei diese Gefahr besonders groß.
Während man früher in der Politik davon ausgegangen sei, daß das Sonder¬
interesse dem allgemeinen Interesse unterzuordnen sei, erscheine jetzt der Staat als
das „Ausbentnngsvbjekt," dessen Machtfülle in den Dienst der Svnderiuteressen
gestellt werden müsse, und jede Partei gehe darauf aus, vom Staate Maßregeln
zu erlangen, die ihre Sonderinteressen auf Kosten der Gesamtheit zu fordern ge¬
eignet scheinen. Ju diesem Hintansetzen des Gesamtinteresses hinter das wirtschaft¬
liche Sonderinteresse einer Klasse habe der Hauptvorwurf gelegen, den man gegen
die „Männer von Manchester" erhoben habe. Wie wenig die „Negation der Staats¬
einmischung," wie sehr vielmehr die „Verfolgung vou Souderinteressen an Stelle
des Gesamtinteresses" das Ausschlaggebende am Manchestertnm sei, gehe daraus
hervor, daß heute dieselbe Handelskammer von Manchester aufs lebhafteste für
Staatseinmischung eintrete, wo es wieder gelte, ihr Sonderinteresse ans Kosten des
Gesamtinteresses zu fördern, so wenn sie lebhaft für künstliche Wiedererhöhuug des
Silberpreises durch staatliche Maßnahmen eintrete oder staatliche Maßnahmen ver¬
lange zur Erschwerung der Konkurrenz der indischen Baumwollenspinnerei und Weberei
mit der von Lanenshire.
Wir haben seit langer Zeit von einem staatswissenschaftlicher Professor nichts
gelesen, was uns so gefallen hätte. Und wenn sich Brentano vollends zu dem Zu-
geständnis veranlaßt sieht, daß man „sogar versucht sein könnte, die Arbeiter selbst
Manchesterlente zu nennen, wenn sie heute auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens
die Verstaatlichung der Produktionsmittel verlangen ohne Rücksicht ans die Schädigung,
die daraus den Interessenten der Gesamtheit erwachsen würde," und daß dieser
Bezeichnung der Umstand nicht im Wege stehe, „daß das alte Manchestertnm sein
Sonderinteresse gerade durch Negation der Staatseinmischnng verfolgt habe," so
möchte man beinahe hoffen, daß es den in die einseitige sozialdemokratische oder
nationalsoziale Arbeiterfreuudschaft verrannten gelehrten Herren doch noch einmal
klar werden könnte, wie wenig diese Parteibewegnngen auf den Namen „sozial"
ein Recht habe», weil sie in der That auf-nichts andres hinauslaufen als auf das
extremste Manchestertnm der arbeitenden .Nasse. .
Die Erscheinung, „daß selbst Jünger der Wissenschaft der Svphisiik von Inter¬
essenten erliegen," heißt es weiter, sei ein sprechender Beleg für die Gefahr, der
die Studenten der Staatswissenschaften, ausgesetzt seien. Die Notwendigkeit, statt
die Gesetze des Wirtschaftslebens ans aprivristischen Annahmen abzuleiten, von der
Beobachtung der Einzelerscheinungen auszugehen, führe dazu, „den Interessenten
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |