Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Gottfried Keller und seine Novellen für mich waren es sehr feierliche und nachdenkliche Stunden, als ich anfing, mich Daß Keller ein starkes inneres Widerstreben gegen diesen Radikalismus Ob dieser Augenblick für Keller je gekommen ist, kann man nicht sagen. Baechtold hat vollkommen Recht. Überall tritt uns derselbe trockne Ton ") verweise. Grenzboten I 189762
Gottfried Keller und seine Novellen für mich waren es sehr feierliche und nachdenkliche Stunden, als ich anfing, mich Daß Keller ein starkes inneres Widerstreben gegen diesen Radikalismus Ob dieser Augenblick für Keller je gekommen ist, kann man nicht sagen. Baechtold hat vollkommen Recht. Überall tritt uns derselbe trockne Ton ") verweise. Grenzboten I 189762
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Gottfried Keller und seine Novellen
für mich waren es sehr feierliche und nachdenkliche Stunden, als ich anfing, mich
an den Gedanken des Todes zu gewöhnen. Ich kann dich versichern, daß man sich
zusammennimmt und nicht eben ein schlechterer Mensch wird.
Daß Keller ein starkes inneres Widerstreben gegen diesen Radikalismus
hatte, daß er empfand, es werde etwas Wesentliches von Idealismus zerstört,
wenn man die ganze Welt und das Menschenleben nur unter dem Lichte des
Diesseits betrachte, geht aus dein Briefe deutlich hervor und scheint mir auch
in den folgenden Worten zu liegen, mit denen er sein besseres Selbst beruhigt:
„Für mich ist die Hauptfrage die: wird die Welt, wird das Leben prosaischer
und gemeiner nach Feuerbach? Bis jetzt muß ich des bestimmteste,, antworten:
nein! im Gegenteil, es wird alles klarer, strenger, aber auch glühender und
sinnlicher. Das Weitere muß ich der Zukunft überlassen, denn ich werde nie
ein Fanatiker sein und die geheimnisvolle, schöne Welt zu allem möglichen
fähig halten, wenn es mir irgend plausibel wird."
Ob dieser Augenblick für Keller je gekommen ist, kann man nicht sagen.
Ich finde weder in seinen Briefen, noch in seinen Werken irgend einen positi¬
verer religiösen Gedanken. Möglich, daß sich seine Ansichten später etwas ge¬
mildert haben. Zu seinem ganzen verschlossenen, allein auf sich selbst gestellten
und bedachten Wesen passen sie durchaus. Daß sie nicht gerade dazu dienten,
sein Gemütsleben zu entfalten und das anzuregen, was wir mit Liebe und
„Selbstlosigkeit" bezeichnen und am Ende höher schätzen als die größten Geistes¬
gaben, ist nicht zu leugnen. Ich will es durch zwei Zeugnisse vorläufig be¬
weisen; zunächst eins von ihm selbst: „Als ich Gott und Unsterblichkeit ent¬
sagte — schreibt er an Ferdinand Freiligrath (4. April 1850) —, glaubte ich
zuerst, ich würde ein besserer und strengerer Mensch werden; ich bin aber
weder besser noch schlechter geworden, sondern ganz, im guten wie im schlimmen,
der Alte geblieben." Sein Biograph aber giebt zum Schluß ein Urteil über
ihn ab, das ihm gewiß nicht leicht geworden ist, das er aber ehrlicherweise
nicht zurückhalte,, konnte; er sagt: „Es mangelte ihm das tiefe Wohlwollen.
Dabei fügte er sich selbst mehr Leid zu als den andern. Nirgends in seinem
Leben eine dauernde Neigung (Junggeselle ist er zwar ohne seinen Willen, aber
nicht ohne seine Schuld gebliebe»), nirgends eine ganz innige Freundschaft.
Dem Menschen (Keller) fehlt die Milde und Gütigkeit der Seele, die auch etwa
das Geringere, das in der Welt vorhanden ist, neben sich duldet. Ich kann
dies scheinbar harte Wort ruhig vertreten. Es braucht sich niemand zu ent¬
rüsten, noch sich in die Brust zu werfen. Ich stelle gelassen auf Kellers eigue
Briefe ab."")
Baechtold hat vollkommen Recht. Überall tritt uns derselbe trockne Ton
entgegen, selbst in seinen Liebesbriefen nichts von Temperament, nirgends eine
") verweise.
Grenzboten I 189762
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