Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes Stunden! Denn man giebt sie um des leidigen Lohnes willen, und meistens Mancher wird nun glauben, daß, wenn die Sache selbst so verdrießlich Das ist der fast überall (seit zwanzig Jahren!) gebräuchliche Satz, der nur selten über¬
schritten wird: sehr niedrig im Vergleich zu dem, was ein guter Arzt oder Rechtsanwalt in der gleichen Zeit verdient. Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes Stunden! Denn man giebt sie um des leidigen Lohnes willen, und meistens Mancher wird nun glauben, daß, wenn die Sache selbst so verdrießlich Das ist der fast überall (seit zwanzig Jahren!) gebräuchliche Satz, der nur selten über¬
schritten wird: sehr niedrig im Vergleich zu dem, was ein guter Arzt oder Rechtsanwalt in der gleichen Zeit verdient. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224739"/> <fw type="header" place="top"> Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes</fw><lb/> <p xml:id="ID_1454" prev="#ID_1453"> Stunden! Denn man giebt sie um des leidigen Lohnes willen, und meistens<lb/> an Jungen, bei denen man voraussieht, daß es ihnen doch nichts nützt, und<lb/> die, sowie die lästige Osterprüfung vorbei ist, bereit sind, sofort in ihren alten<lb/> Fehler zu verfallen, nichts zu thun und das eben Gelernte so schnell als<lb/> möglich wieder zu vergessen. Dazu kommt aber nun, daß sich an die Erteilung<lb/> von Nachhilfeunterricht die gehässigsten, Nachreden knüpfen. Da heißt es, daß<lb/> der Ordinarius von Sekunda nur deshalb so aus die griechische Syntax drücke,<lb/> daß möglichst viele Schüler sie sich noch einmal privatim von ihm einpaukeu<lb/> lassen müßten. Oder vom Mathematiker, er haste in der Geometrie und habe<lb/> einen so undeutlichen Vortrag, nur um sein Studirzimmer möglichst voll mit<lb/> „Übenden" zu besetzen und so möglichst viel Geld herauszuschlagen. Es ist<lb/> eine Thatsache, daß gerade in den besser gestellten Kreisen solche Ansichten<lb/> gnug und gäbe sind. Die höhern Schulen sind ja, seitdem der Überbürdungs-<lb/> rnf erschollen ist, für viele Leute nur dazu da, mit Unmut von ihnen zu reden<lb/> und auf diese billige Weise die eignen Fehler vor andern und vor sich selbst<lb/> zu beschönigen. Um dem ärgsten Gerede vorzubeugen, besteht an vielen<lb/> Schulen die Bestimmung, daß kein Lehrer seinen eignen Schülern Privatunter¬<lb/> richt erteilen darf. Das läßt sich aber nur in großen Städten durchführen.<lb/> In kleineren Orten ist es unmöglich. Dort muß der Lehrer schou aus Mnugel<lb/> an geeigneten Persönlichkeiten oft seine eignen Schüler unterrichten. Glücklich<lb/> der, der soweit ist, das ganz ohne Entgelt thun zu können. Dank hat auch er<lb/> nicht zu erwarten, aber es bleibt ihm wenigstens die üble Nachrede erspart.<lb/> Am glücklichsten ist der zu preisen, der sich zu dem Entschlüsse durchgerungen<lb/> hat, gar keinen Privatunterricht zu erteilen und selbst der verlockendsten Ver-<lb/> suchung aus dem Wege zu gehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1455" next="#ID_1456"> Mancher wird nun glauben, daß, wenn die Sache selbst so verdrießlich<lb/> ist, der Verdienst dabei doch sehr gut sein müsse, weil sich immer noch so<lb/> viele finden, die ihn nicht verschmähen. Aber auch das wird gewöhnlich stark<lb/> überschätzt. Die meisten deutschen Staaten haben die höchste Zahl der Privat¬<lb/> stunden, die ein an höhern Lehranstalten angestellter Lehrer erteilen darf, fest¬<lb/> gesetzt, auf sechs in der Woche. Nun 6X52X3 Mark") giebt jährlich beinahe<lb/> tausend Mark. Leider ist das Exempel falsch. Die Ferien und mancherlei<lb/> Feiertage im Jahre fallen ohne weiteres weg, und wer das Privatstundenwesen<lb/> kennt, weiß, daß in der Regel nur das Vierteljahr vou Weihnachten bis Ostern<lb/> in Betracht kommt. Denn die meisten Schüler und Eltern raffen sich erst<lb/> dann zu einem Entschluß auf, wenn man ihnen zu Weihnachten förmlich und<lb/> feierlich eröffnet hat, daß es mit den Versetzungsanssichten zu Ostern schlimm</p><lb/> <note xml:id="FID_45" place="foot"> Das ist der fast überall (seit zwanzig Jahren!) gebräuchliche Satz, der nur selten über¬<lb/> schritten wird: sehr niedrig im Vergleich zu dem, was ein guter Arzt oder Rechtsanwalt in der<lb/> gleichen Zeit verdient.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0493]
Der Nebenverdienst des höhern Lehrerstandes
Stunden! Denn man giebt sie um des leidigen Lohnes willen, und meistens
an Jungen, bei denen man voraussieht, daß es ihnen doch nichts nützt, und
die, sowie die lästige Osterprüfung vorbei ist, bereit sind, sofort in ihren alten
Fehler zu verfallen, nichts zu thun und das eben Gelernte so schnell als
möglich wieder zu vergessen. Dazu kommt aber nun, daß sich an die Erteilung
von Nachhilfeunterricht die gehässigsten, Nachreden knüpfen. Da heißt es, daß
der Ordinarius von Sekunda nur deshalb so aus die griechische Syntax drücke,
daß möglichst viele Schüler sie sich noch einmal privatim von ihm einpaukeu
lassen müßten. Oder vom Mathematiker, er haste in der Geometrie und habe
einen so undeutlichen Vortrag, nur um sein Studirzimmer möglichst voll mit
„Übenden" zu besetzen und so möglichst viel Geld herauszuschlagen. Es ist
eine Thatsache, daß gerade in den besser gestellten Kreisen solche Ansichten
gnug und gäbe sind. Die höhern Schulen sind ja, seitdem der Überbürdungs-
rnf erschollen ist, für viele Leute nur dazu da, mit Unmut von ihnen zu reden
und auf diese billige Weise die eignen Fehler vor andern und vor sich selbst
zu beschönigen. Um dem ärgsten Gerede vorzubeugen, besteht an vielen
Schulen die Bestimmung, daß kein Lehrer seinen eignen Schülern Privatunter¬
richt erteilen darf. Das läßt sich aber nur in großen Städten durchführen.
In kleineren Orten ist es unmöglich. Dort muß der Lehrer schou aus Mnugel
an geeigneten Persönlichkeiten oft seine eignen Schüler unterrichten. Glücklich
der, der soweit ist, das ganz ohne Entgelt thun zu können. Dank hat auch er
nicht zu erwarten, aber es bleibt ihm wenigstens die üble Nachrede erspart.
Am glücklichsten ist der zu preisen, der sich zu dem Entschlüsse durchgerungen
hat, gar keinen Privatunterricht zu erteilen und selbst der verlockendsten Ver-
suchung aus dem Wege zu gehn.
Mancher wird nun glauben, daß, wenn die Sache selbst so verdrießlich
ist, der Verdienst dabei doch sehr gut sein müsse, weil sich immer noch so
viele finden, die ihn nicht verschmähen. Aber auch das wird gewöhnlich stark
überschätzt. Die meisten deutschen Staaten haben die höchste Zahl der Privat¬
stunden, die ein an höhern Lehranstalten angestellter Lehrer erteilen darf, fest¬
gesetzt, auf sechs in der Woche. Nun 6X52X3 Mark") giebt jährlich beinahe
tausend Mark. Leider ist das Exempel falsch. Die Ferien und mancherlei
Feiertage im Jahre fallen ohne weiteres weg, und wer das Privatstundenwesen
kennt, weiß, daß in der Regel nur das Vierteljahr vou Weihnachten bis Ostern
in Betracht kommt. Denn die meisten Schüler und Eltern raffen sich erst
dann zu einem Entschluß auf, wenn man ihnen zu Weihnachten förmlich und
feierlich eröffnet hat, daß es mit den Versetzungsanssichten zu Ostern schlimm
Das ist der fast überall (seit zwanzig Jahren!) gebräuchliche Satz, der nur selten über¬
schritten wird: sehr niedrig im Vergleich zu dem, was ein guter Arzt oder Rechtsanwalt in der
gleichen Zeit verdient.
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