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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Griechenland und Kreta

Monate nach der Bestätigung dieser Zugeständnisse zusammentreten, 7. Die
Mächte versichern sich der Durchführung dieser Zugeständnisse.

Man hoffte nun ernstlich, daß sich die Ruhe in Kreta wieder einstellen
würde, namentlich da man auch mit der Wiedereinsetzung von Berowitsch
Pascha als Generalgouvemeur einverstanden war. Auch in Griechenland sprach
man sich in diesem Sinne aus. Die kretische Nationalversammlung nahm auch
am 4. September die Vorschlüge der Pforte hinsichtlich der zu gewährenden
Zugeständnisse an, und wenn auch noch immer einzelne revolutionäre Ver-
scimmmlunge" für eine Vereinigung Kretas mit Griechenland eintraten, so
waren das doch nur Ausnahmen, im allgemeinen durfte man die Ruhe als
wiederhergestellt ansehen. Aber schon nach wenigen Monaten, Ende Januar
dieses Jahres, begann es im Innern Kretas wieder zu gcihren. Mehrfach
wurden Christen und Muhammedaner handgemein, am 5. Februar brach in
dem christlichen Quartier Kaueas eine Feuersbrunst aus, die über zweihundert
Gebäude vernichtete. Im nahen Haleppa wurde am 8. Februar die griechische
Fahne gehißt und die Vereinigung Kretas mit Griechenland proklamirt, ein
Beispiel, dem bald andre zahlreiche Ortschaften folgten. Am 13. Februar
erfolgte der bekannte Angriff der Christen auf Kanea, und Berowitsch Pascha
verließ die Insel. Die weitern Vorgänge, die jetzt ihres endgiltigen Ausgangs
harren, gehören der neuesten Tagesgeschichte an.

Daß sich der König von Griechenland diesen Verhältnissen gegenüber in
einer sehr schwierigen Lage befand und noch befindet, liegt wohl auf der Hand.
Es ist wieder einmal einer der Fälle, wo man die Geister, die man erst rief,
nicht wieder loswerden kann. Der kretische Aufstand des vorigen Jahres
war nur die Fortsetzung der zahlreichen andern, die in den letzten fünfzig
Jahren, so namentlich 1866/67 und 1889 auf der Insel stattgefunden und alle
mehr oder weniger ihren Nährboden in Griechenland gehabt hatten. Die
Kandioten sind durch Abstammung, Religion, Sprache und Sitten deu Griechen
verwandter als den Türken, obgleich sie seit mehr als zweihundert Jahren mit
diesen politisch verbunden sind, und die Griechen möchten dieser Stammesver¬
wandtschaft gar zu gern Rechnung tragen durch die Annexion der schönen und
fruchtbaren Insel. In dieser Züchtung wurde von jeher ein starker Druck auf
die Negierung und persönlich auf den König ausgeübt, ein Druck, dem sich
dieser nun nicht mehr entziehen konnte, wenn er nicht seine Krone für sich
und seine Nachkommen aufs Spiel setzen wollte. Dadurch aber, daß er ohne
vorherige Kriegserklärung, durch Entsendung von Schiffen und Truppen nach
der türkischen Insel offen für die Aufständischen Partei nahm, setzte er sich
mit den ersten Grundsätzen des Völkerrechts in Widerspruch und damit ins
Unrecht. Eine gewisse Kühnheit, die stets Sympathie erweckt, war freilich mit
diesem Vorgehen verbunden, umso mehr, als die bewaffnete Macht Griechen¬
lands nur sehr bescheiden ist. Nach den neuesten Angaben verfügt Griechen-


Griechenland und Kreta

Monate nach der Bestätigung dieser Zugeständnisse zusammentreten, 7. Die
Mächte versichern sich der Durchführung dieser Zugeständnisse.

Man hoffte nun ernstlich, daß sich die Ruhe in Kreta wieder einstellen
würde, namentlich da man auch mit der Wiedereinsetzung von Berowitsch
Pascha als Generalgouvemeur einverstanden war. Auch in Griechenland sprach
man sich in diesem Sinne aus. Die kretische Nationalversammlung nahm auch
am 4. September die Vorschlüge der Pforte hinsichtlich der zu gewährenden
Zugeständnisse an, und wenn auch noch immer einzelne revolutionäre Ver-
scimmmlunge» für eine Vereinigung Kretas mit Griechenland eintraten, so
waren das doch nur Ausnahmen, im allgemeinen durfte man die Ruhe als
wiederhergestellt ansehen. Aber schon nach wenigen Monaten, Ende Januar
dieses Jahres, begann es im Innern Kretas wieder zu gcihren. Mehrfach
wurden Christen und Muhammedaner handgemein, am 5. Februar brach in
dem christlichen Quartier Kaueas eine Feuersbrunst aus, die über zweihundert
Gebäude vernichtete. Im nahen Haleppa wurde am 8. Februar die griechische
Fahne gehißt und die Vereinigung Kretas mit Griechenland proklamirt, ein
Beispiel, dem bald andre zahlreiche Ortschaften folgten. Am 13. Februar
erfolgte der bekannte Angriff der Christen auf Kanea, und Berowitsch Pascha
verließ die Insel. Die weitern Vorgänge, die jetzt ihres endgiltigen Ausgangs
harren, gehören der neuesten Tagesgeschichte an.

Daß sich der König von Griechenland diesen Verhältnissen gegenüber in
einer sehr schwierigen Lage befand und noch befindet, liegt wohl auf der Hand.
Es ist wieder einmal einer der Fälle, wo man die Geister, die man erst rief,
nicht wieder loswerden kann. Der kretische Aufstand des vorigen Jahres
war nur die Fortsetzung der zahlreichen andern, die in den letzten fünfzig
Jahren, so namentlich 1866/67 und 1889 auf der Insel stattgefunden und alle
mehr oder weniger ihren Nährboden in Griechenland gehabt hatten. Die
Kandioten sind durch Abstammung, Religion, Sprache und Sitten deu Griechen
verwandter als den Türken, obgleich sie seit mehr als zweihundert Jahren mit
diesen politisch verbunden sind, und die Griechen möchten dieser Stammesver¬
wandtschaft gar zu gern Rechnung tragen durch die Annexion der schönen und
fruchtbaren Insel. In dieser Züchtung wurde von jeher ein starker Druck auf
die Negierung und persönlich auf den König ausgeübt, ein Druck, dem sich
dieser nun nicht mehr entziehen konnte, wenn er nicht seine Krone für sich
und seine Nachkommen aufs Spiel setzen wollte. Dadurch aber, daß er ohne
vorherige Kriegserklärung, durch Entsendung von Schiffen und Truppen nach
der türkischen Insel offen für die Aufständischen Partei nahm, setzte er sich
mit den ersten Grundsätzen des Völkerrechts in Widerspruch und damit ins
Unrecht. Eine gewisse Kühnheit, die stets Sympathie erweckt, war freilich mit
diesem Vorgehen verbunden, umso mehr, als die bewaffnete Macht Griechen¬
lands nur sehr bescheiden ist. Nach den neuesten Angaben verfügt Griechen-


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[0476] Griechenland und Kreta Monate nach der Bestätigung dieser Zugeständnisse zusammentreten, 7. Die Mächte versichern sich der Durchführung dieser Zugeständnisse. Man hoffte nun ernstlich, daß sich die Ruhe in Kreta wieder einstellen würde, namentlich da man auch mit der Wiedereinsetzung von Berowitsch Pascha als Generalgouvemeur einverstanden war. Auch in Griechenland sprach man sich in diesem Sinne aus. Die kretische Nationalversammlung nahm auch am 4. September die Vorschlüge der Pforte hinsichtlich der zu gewährenden Zugeständnisse an, und wenn auch noch immer einzelne revolutionäre Ver- scimmmlunge» für eine Vereinigung Kretas mit Griechenland eintraten, so waren das doch nur Ausnahmen, im allgemeinen durfte man die Ruhe als wiederhergestellt ansehen. Aber schon nach wenigen Monaten, Ende Januar dieses Jahres, begann es im Innern Kretas wieder zu gcihren. Mehrfach wurden Christen und Muhammedaner handgemein, am 5. Februar brach in dem christlichen Quartier Kaueas eine Feuersbrunst aus, die über zweihundert Gebäude vernichtete. Im nahen Haleppa wurde am 8. Februar die griechische Fahne gehißt und die Vereinigung Kretas mit Griechenland proklamirt, ein Beispiel, dem bald andre zahlreiche Ortschaften folgten. Am 13. Februar erfolgte der bekannte Angriff der Christen auf Kanea, und Berowitsch Pascha verließ die Insel. Die weitern Vorgänge, die jetzt ihres endgiltigen Ausgangs harren, gehören der neuesten Tagesgeschichte an. Daß sich der König von Griechenland diesen Verhältnissen gegenüber in einer sehr schwierigen Lage befand und noch befindet, liegt wohl auf der Hand. Es ist wieder einmal einer der Fälle, wo man die Geister, die man erst rief, nicht wieder loswerden kann. Der kretische Aufstand des vorigen Jahres war nur die Fortsetzung der zahlreichen andern, die in den letzten fünfzig Jahren, so namentlich 1866/67 und 1889 auf der Insel stattgefunden und alle mehr oder weniger ihren Nährboden in Griechenland gehabt hatten. Die Kandioten sind durch Abstammung, Religion, Sprache und Sitten deu Griechen verwandter als den Türken, obgleich sie seit mehr als zweihundert Jahren mit diesen politisch verbunden sind, und die Griechen möchten dieser Stammesver¬ wandtschaft gar zu gern Rechnung tragen durch die Annexion der schönen und fruchtbaren Insel. In dieser Züchtung wurde von jeher ein starker Druck auf die Negierung und persönlich auf den König ausgeübt, ein Druck, dem sich dieser nun nicht mehr entziehen konnte, wenn er nicht seine Krone für sich und seine Nachkommen aufs Spiel setzen wollte. Dadurch aber, daß er ohne vorherige Kriegserklärung, durch Entsendung von Schiffen und Truppen nach der türkischen Insel offen für die Aufständischen Partei nahm, setzte er sich mit den ersten Grundsätzen des Völkerrechts in Widerspruch und damit ins Unrecht. Eine gewisse Kühnheit, die stets Sympathie erweckt, war freilich mit diesem Vorgehen verbunden, umso mehr, als die bewaffnete Macht Griechen¬ lands nur sehr bescheiden ist. Nach den neuesten Angaben verfügt Griechen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/476>, abgerufen am 27.09.2024.