Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches so unerschöpflich ist, daß es sie stets befriedigen kann; viele andre werden Maßgebliches und Unmaßgebliches Europa und Asien. Europa ist eine lahme Gans, und da sich vor einer Maßgebliches und Unmaßgebliches so unerschöpflich ist, daß es sie stets befriedigen kann; viele andre werden Maßgebliches und Unmaßgebliches Europa und Asien. Europa ist eine lahme Gans, und da sich vor einer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224656"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1201" prev="#ID_1200"> so unerschöpflich ist, daß es sie stets befriedigen kann; viele andre werden<lb/> finden, daß ihr Genuß und Urteil an Frische oder Originalität nichts verliere,<lb/> wenn das betreffende Kunstwerk, mag es zu den großen oder zu den mittel¬<lb/> mäßigen gehören, bei seiner Aufnahme zur vollen Wirkung und Geltung, kurzum:<lb/> zu seinem Rechte gekommen ist. Denn Bildung, Reife und hingebendes Ver¬<lb/> ständnis hindern niemand, sich um der Schönheit zu begeistern, und Venus<lb/> Urania erscheint uus nur um so herrlicher, je demütiger wir sie begreifen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Europa und Asien.</head> <p xml:id="ID_1202" next="#ID_1203"> Europa ist eine lahme Gans, und da sich vor einer<lb/> lahmen Gans nicht einmal ein kleiner Junge zu fürchten braucht, so thun die<lb/> Griechen recht daran, Europa als Luft zu behandeln. Die europäischen Diplomaten<lb/> sind allesamt hochgebildete und gescheite Männer, manche von ihnen mögen Weise<lb/> sein, und in seinen eignen Angelegenheiten bewährt wahrscheinlich jeder von ihnen<lb/> Thatkraft genug; aber da sie eine Kollektivpersou bilden sollen, was bei dem Inter¬<lb/> essengegensatz ihrer Auftraggeber nicht möglich ist, und da sie niemals sagen dürfen,<lb/> was sie denke» und wollen, so sehen sie sich zur Ohnmacht und Uuthntigkcit ver¬<lb/> urteilt, und nieder ihre Versuche zu beendet» uoch ihre Worte können den Eindruck<lb/> großer Gescheitheit machen. Am dümmsten ist wieder das Gesicht Europas, das<lb/> aus den großen Zeitungen herausschaue; über deu schweren Bruch des Völkerrechts<lb/> jammern sie, ans die Frechheit, mit der sich Griechenland dem Willen Europas wider¬<lb/> setze und die Souveränität des Sultans antaste, schimpfen sie; wenn die Franzosen<lb/> mitten im Frieden in die Rheinprovinz einfielen, die Entrüstung könnte nicht größer<lb/> sein. Schade, daß es keinem Giciur gestattet ist, moslemische Heiligtümer zu be¬<lb/> rühren! Dieses Europa würde, wenn nnr ein Kursgewinn winkte, an der<lb/> Ramcisaufahrt des Sultaus teilnehmen und auf den Knieen rutschend den Zipfel des<lb/> Prophetcnmantels küssen. „Dieselben Parteien und dieselben Blätter, so spottet<lb/> eine Zeutrumskorrespondeuz, die deu räuberischen Einfall der Garibaldianer in das<lb/> Königreich Neapel und in den Kirchenstaat aufs lebhafteste billigten und als<lb/> Heldenthat priesen, können sich jetzt nicht genug über den griechischen Treubruch<lb/> entrüsten. Dieselben Blätter, die in ihrem eignen Hanse als unumstößliches Dogma<lb/> verkünden, daß die Stärkung des Nationalgefühls und die Vereinigung aller Volks¬<lb/> genossen zu einem Staate heiligste Pflicht sei, spreche» vou griechische» Schwarm¬<lb/> geistern und nationalen: Schwindel. Was dem italienischen Freibeuter und dem<lb/> damals bankrotten Königreich Sardinien als eine wahre Großthat angerechnet wurde,<lb/> das gereicht i» den A»ge» derselbe» Herren den Griechen zur unauslöschliche»<lb/> Schande; uicht laut genug können sie nach der Einmischung der europäischen Mächte<lb/> schreien," nachdem bei der Einigung der Italiener der Grundsatz der Nichtmter-<lb/> veutio» zur Grundlage des Völkerrechts gemacht worde» ist. Nach diesem Gru»d-<lb/> satze liegt die Sache ungeheuer einfach; die Griechen a»f Kreta »»d in Griechen¬<lb/> land wollen sich zu einem Staate vereinigen, und das geht keine andre Macht</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0410]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
so unerschöpflich ist, daß es sie stets befriedigen kann; viele andre werden
finden, daß ihr Genuß und Urteil an Frische oder Originalität nichts verliere,
wenn das betreffende Kunstwerk, mag es zu den großen oder zu den mittel¬
mäßigen gehören, bei seiner Aufnahme zur vollen Wirkung und Geltung, kurzum:
zu seinem Rechte gekommen ist. Denn Bildung, Reife und hingebendes Ver¬
ständnis hindern niemand, sich um der Schönheit zu begeistern, und Venus
Urania erscheint uus nur um so herrlicher, je demütiger wir sie begreifen.
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Europa und Asien. Europa ist eine lahme Gans, und da sich vor einer
lahmen Gans nicht einmal ein kleiner Junge zu fürchten braucht, so thun die
Griechen recht daran, Europa als Luft zu behandeln. Die europäischen Diplomaten
sind allesamt hochgebildete und gescheite Männer, manche von ihnen mögen Weise
sein, und in seinen eignen Angelegenheiten bewährt wahrscheinlich jeder von ihnen
Thatkraft genug; aber da sie eine Kollektivpersou bilden sollen, was bei dem Inter¬
essengegensatz ihrer Auftraggeber nicht möglich ist, und da sie niemals sagen dürfen,
was sie denke» und wollen, so sehen sie sich zur Ohnmacht und Uuthntigkcit ver¬
urteilt, und nieder ihre Versuche zu beendet» uoch ihre Worte können den Eindruck
großer Gescheitheit machen. Am dümmsten ist wieder das Gesicht Europas, das
aus den großen Zeitungen herausschaue; über deu schweren Bruch des Völkerrechts
jammern sie, ans die Frechheit, mit der sich Griechenland dem Willen Europas wider¬
setze und die Souveränität des Sultans antaste, schimpfen sie; wenn die Franzosen
mitten im Frieden in die Rheinprovinz einfielen, die Entrüstung könnte nicht größer
sein. Schade, daß es keinem Giciur gestattet ist, moslemische Heiligtümer zu be¬
rühren! Dieses Europa würde, wenn nnr ein Kursgewinn winkte, an der
Ramcisaufahrt des Sultaus teilnehmen und auf den Knieen rutschend den Zipfel des
Prophetcnmantels küssen. „Dieselben Parteien und dieselben Blätter, so spottet
eine Zeutrumskorrespondeuz, die deu räuberischen Einfall der Garibaldianer in das
Königreich Neapel und in den Kirchenstaat aufs lebhafteste billigten und als
Heldenthat priesen, können sich jetzt nicht genug über den griechischen Treubruch
entrüsten. Dieselben Blätter, die in ihrem eignen Hanse als unumstößliches Dogma
verkünden, daß die Stärkung des Nationalgefühls und die Vereinigung aller Volks¬
genossen zu einem Staate heiligste Pflicht sei, spreche» vou griechische» Schwarm¬
geistern und nationalen: Schwindel. Was dem italienischen Freibeuter und dem
damals bankrotten Königreich Sardinien als eine wahre Großthat angerechnet wurde,
das gereicht i» den A»ge» derselbe» Herren den Griechen zur unauslöschliche»
Schande; uicht laut genug können sie nach der Einmischung der europäischen Mächte
schreien," nachdem bei der Einigung der Italiener der Grundsatz der Nichtmter-
veutio» zur Grundlage des Völkerrechts gemacht worde» ist. Nach diesem Gru»d-
satze liegt die Sache ungeheuer einfach; die Griechen a»f Kreta »»d in Griechen¬
land wollen sich zu einem Staate vereinigen, und das geht keine andre Macht
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