Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Der Aunstgeniiß des Laie" nennen, der der Natur die überzeugenden Züge deS Lebens durch scheinbar über¬ Nur allmählich, schrittweise wird der Laie, der zu bewußtem Kunstgenuß Der Aunstgeniiß des Laie» nennen, der der Natur die überzeugenden Züge deS Lebens durch scheinbar über¬ Nur allmählich, schrittweise wird der Laie, der zu bewußtem Kunstgenuß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224652"/> <fw type="header" place="top"> Der Aunstgeniiß des Laie»</fw><lb/> <p xml:id="ID_1192" prev="#ID_1191"> nennen, der der Natur die überzeugenden Züge deS Lebens durch scheinbar über¬<lb/> natürliches Können abgelauscht und abgerungen hat, um die Laien mit ihrer<lb/> Wiedergabe zu verblüffen, so fassen wir die Erscheinung des von dem Geheimnis seiner<lb/> Heimat umwohnen Kunstwerks zunächst nur zaghaft auf; vielleicht stößt es uns<lb/> sogar zuerst durch seine herbe Art zurück. Als ob es widerwillig unter den<lb/> Menschen stunde, bemüht es sich nicht um ihre Gunst; und ganz leise, freilich<lb/> mit immer wachsender Macht, zieht es nur die an, die hohes, höchstes in ihm<lb/> ahnend, wie von etwas verwandtem zu ihm hingetrieben werden, so wie kraft<lb/> des Naturgesetzes der unabsichtlich wirkende Magnet das Eisen anzieht. Da¬<lb/> gegen ist mehr als wahrscheinlich, daß kühle, künstlerisch nicht gebildete lind<lb/> nur oberflächlich interessirte Laien, solange dieser Zustand in ihnen dauert,<lb/> das große Kunstwerk nicht würdigen können. Es verweigert ihnen die bequemen<lb/> Handhaben, mit denen es unter konventionelle Begriffe zu bringen wäre; es<lb/> verhüllt ihren stumpfen Sinnen die Reize, von denen die geschärften über¬<lb/> wältigt werden; ja es reizt sie so wenig und erscheint ihnen andrerseits so<lb/> absonderlich, daß es nicht als etwas wesentliches für sie vorhanden ist.<lb/> Man mag den Satz: Für Kinder ist das Beste eben noch gut genng, mit<lb/> manchen Gründen verteidigen: auf die Laien, die in dem Mangel an Ent¬<lb/> wicklung gewisser Fähigkeiten den Kindern gleichen, ist er nicht anzuwenden.<lb/> Das Kind kennt keine Vorurteile, und wenn es die Vorzüge an dem Besten,<lb/> das ihm dargeboten wird, nicht begreift, so gewöhnt es sich doch unbewußt<lb/> an deren Wirkung und gewinnt sie zu Grundlagen seiner Urteile. Der Laie,<lb/> der nicht mehr Kind und in kein näheres Verhältnis zu den Künsten getreten<lb/> ist, hat sich aber schon mit unzähligen Vorurteilen belastet, und mag er auch<lb/> vielleicht in seinen ausgesprochnen Urteilen bescheiden sein, er überlegt und<lb/> urteilt auf seine Weise schon viel zu selbständig und entschieden, als daß er<lb/> den Versuch vou sich verlangte, sich gründlich mit dem von andern als groß<lb/> bezeichneten Kunstwerke, das ihm gleichgiltig ist, abzufinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1193" next="#ID_1194"> Nur allmählich, schrittweise wird der Laie, der zu bewußtem Kunstgenuß<lb/> überhaupt befähigt ist, zum tiefern Verständnis gelangen. Hat er diese Be¬<lb/> fähigung, nämlich eine entzündliche Phantasie, lebhafte Empfindung und taug¬<lb/> liche Sinneswerkzeuge, so kann der gute Wille zur Kunst in ihm geweckt werden;<lb/> und ist dieser erst vorhanden, so wird bei anhaltendem Interesse die gesteigerte<lb/> Aufmerksamkeit auf Kunstwerke zur bewußte» Gewöhnung an sie, zur immer<lb/> eindringendem Beschäftigung mit ihnen und zuletzt zur durchdringenden Auf¬<lb/> fassung. Was den guten Willen des noch kühlen Laien weckt und die weitere<lb/> Entwicklung ein gutes Stück begleitet, ist aber nichts andres als der Reiz<lb/> unsrer Mittelmäßigkeiten. Das Faßliche an ihnen in Form und Inhalt bemächtigt<lb/> sich seiner zunächst banalen Phantasie und ergötzt ihm die noch uicht wählerischen<lb/> Sinne; und da das Faßliche nicht schlechthin gemein zu nennen ist, so wird<lb/> seine Wirkung keine frivole zu sein brauchen. Im Gegenteil. Die Sphäre des euch-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0406]
Der Aunstgeniiß des Laie»
nennen, der der Natur die überzeugenden Züge deS Lebens durch scheinbar über¬
natürliches Können abgelauscht und abgerungen hat, um die Laien mit ihrer
Wiedergabe zu verblüffen, so fassen wir die Erscheinung des von dem Geheimnis seiner
Heimat umwohnen Kunstwerks zunächst nur zaghaft auf; vielleicht stößt es uns
sogar zuerst durch seine herbe Art zurück. Als ob es widerwillig unter den
Menschen stunde, bemüht es sich nicht um ihre Gunst; und ganz leise, freilich
mit immer wachsender Macht, zieht es nur die an, die hohes, höchstes in ihm
ahnend, wie von etwas verwandtem zu ihm hingetrieben werden, so wie kraft
des Naturgesetzes der unabsichtlich wirkende Magnet das Eisen anzieht. Da¬
gegen ist mehr als wahrscheinlich, daß kühle, künstlerisch nicht gebildete lind
nur oberflächlich interessirte Laien, solange dieser Zustand in ihnen dauert,
das große Kunstwerk nicht würdigen können. Es verweigert ihnen die bequemen
Handhaben, mit denen es unter konventionelle Begriffe zu bringen wäre; es
verhüllt ihren stumpfen Sinnen die Reize, von denen die geschärften über¬
wältigt werden; ja es reizt sie so wenig und erscheint ihnen andrerseits so
absonderlich, daß es nicht als etwas wesentliches für sie vorhanden ist.
Man mag den Satz: Für Kinder ist das Beste eben noch gut genng, mit
manchen Gründen verteidigen: auf die Laien, die in dem Mangel an Ent¬
wicklung gewisser Fähigkeiten den Kindern gleichen, ist er nicht anzuwenden.
Das Kind kennt keine Vorurteile, und wenn es die Vorzüge an dem Besten,
das ihm dargeboten wird, nicht begreift, so gewöhnt es sich doch unbewußt
an deren Wirkung und gewinnt sie zu Grundlagen seiner Urteile. Der Laie,
der nicht mehr Kind und in kein näheres Verhältnis zu den Künsten getreten
ist, hat sich aber schon mit unzähligen Vorurteilen belastet, und mag er auch
vielleicht in seinen ausgesprochnen Urteilen bescheiden sein, er überlegt und
urteilt auf seine Weise schon viel zu selbständig und entschieden, als daß er
den Versuch vou sich verlangte, sich gründlich mit dem von andern als groß
bezeichneten Kunstwerke, das ihm gleichgiltig ist, abzufinden.
Nur allmählich, schrittweise wird der Laie, der zu bewußtem Kunstgenuß
überhaupt befähigt ist, zum tiefern Verständnis gelangen. Hat er diese Be¬
fähigung, nämlich eine entzündliche Phantasie, lebhafte Empfindung und taug¬
liche Sinneswerkzeuge, so kann der gute Wille zur Kunst in ihm geweckt werden;
und ist dieser erst vorhanden, so wird bei anhaltendem Interesse die gesteigerte
Aufmerksamkeit auf Kunstwerke zur bewußte» Gewöhnung an sie, zur immer
eindringendem Beschäftigung mit ihnen und zuletzt zur durchdringenden Auf¬
fassung. Was den guten Willen des noch kühlen Laien weckt und die weitere
Entwicklung ein gutes Stück begleitet, ist aber nichts andres als der Reiz
unsrer Mittelmäßigkeiten. Das Faßliche an ihnen in Form und Inhalt bemächtigt
sich seiner zunächst banalen Phantasie und ergötzt ihm die noch uicht wählerischen
Sinne; und da das Faßliche nicht schlechthin gemein zu nennen ist, so wird
seine Wirkung keine frivole zu sein brauchen. Im Gegenteil. Die Sphäre des euch-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |