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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Berliner Schillerxreisdramen

führung der "Versunknen Glocke." Wenn dem Dichter wirklich mehr an seinem
"Florian Geyer" als an dem dramatischen Märchen gelegen war, so konnte er
aufrichtig bedauern, daß sich die Versagung des Schillerpreises nicht etliche Monate
früher begeben hatte, der Erfolg des großen Stückes aus dem Bauernkriege
wäre dann, ganz abgesehen von seinem künstlerischen Wert oder Unwert, ein
völlig andrer gewesen. So ließ sich auf den Ritter unter dem Bundschnhbanner
nicht zurückkommen, und man mußte sich damit begnügen, den sensationellen Er¬
folg für Hauptmanns neuestes Stück in Szene zu setzen, das Roms, loeut-g. ost
aus Berlin und das Premierenpublikum des Deutschen Theaters zu übertragen,
anzudeuten, daß Berlin verständlich genug deu Schillerpreis an Hauptmann
erteilt habe, und der Welt zu erklären, daß am Abend der ersten Aufführung
der "Versunknen Glocke" das deutsche Volk die Empfindung gehabt habe, "an
der Wiege eines Genius zu stehen." Ziemlich gleichzeitig wurde dann auch
der zweite Teil der Wildeubruchschen Doppeltragödie "Kaiser Heinrich" auf¬
geführt, und da sich die Verehrer Wildenbruchs nicht werfen lassen wollten, und
die Devise "Viel hilft viel!" einmal an der Tagesordnung war, so fabelten
sie von dem "gewaltigsten Szcnenerschtttterer" und von "Shakespeares würdigen
Wirkungen."

Kurz und einfach, wie sich dieser Verlauf der Dinge ausnimmt, schließt
er doch für den Klarblickenden eine ungeheure Menge von Nebendingen mit
ein: widerwärtiges Parteigetriebe, Mitwirkung hundert außerhalb aller Litteratur
und Kunst vor sich gehender Vertrustungen und Verbrüderungen, unwägbare
Stimmungen, Einfluß der Klub- und Kneipenatmosphäre, Sensations- und
Konkurrenzneid der zahlreichen Berliner Theater und der zahllosen Berliner
Zeitungen, Neuigkeitshunger und Klatschsucht eines Weltstadtpublikums. Wenn
es auch leider unvermeidlich ist, daß all diese Imponderabilien bei der Teil¬
nahme für einen Dichter, bei der Bewunderung oder Verurteilung eines künst¬
lerischen Werkes mitwirken, so bleibt es doch die unabweisbare Pflicht der
Kritik, unbekümmert um sie, alles unberechtigte Dreinsprechen eines Publi¬
kums, das nicht als empfängliches und genießendes Publikum der Kunst, sondern
als politisch erregte, als gewerblich interessirte, als gesellig verknüpfte Masse
oder Rotte die letzten Entscheidungen über Fragen der Kunst und Litteratur
treffen will, scharf zurückzuweisen. Geradezu unerhört aber ist es, die völlig
unberechtigten und verwirrenden Stimmen gerade der Kreise, denen die
deutsche Litteratur und ihr Gedeihen oder ihr Verfall vollkommen gleichgiltig
ist, förmlich zur Entscheidung aufzurufen, die urteilslose Menge, die das glaubt,
was ihr in ihrer Zeitung hundertmal vorgesagt wird, das deutsche Volk zu
nennen, alle Maßstäbe zu zerbrechen, die an eine dichterische Schöpfung zu
legen sind, und darnach doch Urteile abzugeben, die in die Litteratur- und
Kunstgeschichte übergehen sollen. Oder auch nicht sollen, denn das Geschlecht
der Ästhetiker, die hier am Werke sind, ist so kurzatmig wie kurzlebig, es weiß


Die Berliner Schillerxreisdramen

führung der „Versunknen Glocke." Wenn dem Dichter wirklich mehr an seinem
„Florian Geyer" als an dem dramatischen Märchen gelegen war, so konnte er
aufrichtig bedauern, daß sich die Versagung des Schillerpreises nicht etliche Monate
früher begeben hatte, der Erfolg des großen Stückes aus dem Bauernkriege
wäre dann, ganz abgesehen von seinem künstlerischen Wert oder Unwert, ein
völlig andrer gewesen. So ließ sich auf den Ritter unter dem Bundschnhbanner
nicht zurückkommen, und man mußte sich damit begnügen, den sensationellen Er¬
folg für Hauptmanns neuestes Stück in Szene zu setzen, das Roms, loeut-g. ost
aus Berlin und das Premierenpublikum des Deutschen Theaters zu übertragen,
anzudeuten, daß Berlin verständlich genug deu Schillerpreis an Hauptmann
erteilt habe, und der Welt zu erklären, daß am Abend der ersten Aufführung
der „Versunknen Glocke" das deutsche Volk die Empfindung gehabt habe, „an
der Wiege eines Genius zu stehen." Ziemlich gleichzeitig wurde dann auch
der zweite Teil der Wildeubruchschen Doppeltragödie „Kaiser Heinrich" auf¬
geführt, und da sich die Verehrer Wildenbruchs nicht werfen lassen wollten, und
die Devise „Viel hilft viel!" einmal an der Tagesordnung war, so fabelten
sie von dem „gewaltigsten Szcnenerschtttterer" und von „Shakespeares würdigen
Wirkungen."

Kurz und einfach, wie sich dieser Verlauf der Dinge ausnimmt, schließt
er doch für den Klarblickenden eine ungeheure Menge von Nebendingen mit
ein: widerwärtiges Parteigetriebe, Mitwirkung hundert außerhalb aller Litteratur
und Kunst vor sich gehender Vertrustungen und Verbrüderungen, unwägbare
Stimmungen, Einfluß der Klub- und Kneipenatmosphäre, Sensations- und
Konkurrenzneid der zahlreichen Berliner Theater und der zahllosen Berliner
Zeitungen, Neuigkeitshunger und Klatschsucht eines Weltstadtpublikums. Wenn
es auch leider unvermeidlich ist, daß all diese Imponderabilien bei der Teil¬
nahme für einen Dichter, bei der Bewunderung oder Verurteilung eines künst¬
lerischen Werkes mitwirken, so bleibt es doch die unabweisbare Pflicht der
Kritik, unbekümmert um sie, alles unberechtigte Dreinsprechen eines Publi¬
kums, das nicht als empfängliches und genießendes Publikum der Kunst, sondern
als politisch erregte, als gewerblich interessirte, als gesellig verknüpfte Masse
oder Rotte die letzten Entscheidungen über Fragen der Kunst und Litteratur
treffen will, scharf zurückzuweisen. Geradezu unerhört aber ist es, die völlig
unberechtigten und verwirrenden Stimmen gerade der Kreise, denen die
deutsche Litteratur und ihr Gedeihen oder ihr Verfall vollkommen gleichgiltig
ist, förmlich zur Entscheidung aufzurufen, die urteilslose Menge, die das glaubt,
was ihr in ihrer Zeitung hundertmal vorgesagt wird, das deutsche Volk zu
nennen, alle Maßstäbe zu zerbrechen, die an eine dichterische Schöpfung zu
legen sind, und darnach doch Urteile abzugeben, die in die Litteratur- und
Kunstgeschichte übergehen sollen. Oder auch nicht sollen, denn das Geschlecht
der Ästhetiker, die hier am Werke sind, ist so kurzatmig wie kurzlebig, es weiß


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[0034] Die Berliner Schillerxreisdramen führung der „Versunknen Glocke." Wenn dem Dichter wirklich mehr an seinem „Florian Geyer" als an dem dramatischen Märchen gelegen war, so konnte er aufrichtig bedauern, daß sich die Versagung des Schillerpreises nicht etliche Monate früher begeben hatte, der Erfolg des großen Stückes aus dem Bauernkriege wäre dann, ganz abgesehen von seinem künstlerischen Wert oder Unwert, ein völlig andrer gewesen. So ließ sich auf den Ritter unter dem Bundschnhbanner nicht zurückkommen, und man mußte sich damit begnügen, den sensationellen Er¬ folg für Hauptmanns neuestes Stück in Szene zu setzen, das Roms, loeut-g. ost aus Berlin und das Premierenpublikum des Deutschen Theaters zu übertragen, anzudeuten, daß Berlin verständlich genug deu Schillerpreis an Hauptmann erteilt habe, und der Welt zu erklären, daß am Abend der ersten Aufführung der „Versunknen Glocke" das deutsche Volk die Empfindung gehabt habe, „an der Wiege eines Genius zu stehen." Ziemlich gleichzeitig wurde dann auch der zweite Teil der Wildeubruchschen Doppeltragödie „Kaiser Heinrich" auf¬ geführt, und da sich die Verehrer Wildenbruchs nicht werfen lassen wollten, und die Devise „Viel hilft viel!" einmal an der Tagesordnung war, so fabelten sie von dem „gewaltigsten Szcnenerschtttterer" und von „Shakespeares würdigen Wirkungen." Kurz und einfach, wie sich dieser Verlauf der Dinge ausnimmt, schließt er doch für den Klarblickenden eine ungeheure Menge von Nebendingen mit ein: widerwärtiges Parteigetriebe, Mitwirkung hundert außerhalb aller Litteratur und Kunst vor sich gehender Vertrustungen und Verbrüderungen, unwägbare Stimmungen, Einfluß der Klub- und Kneipenatmosphäre, Sensations- und Konkurrenzneid der zahlreichen Berliner Theater und der zahllosen Berliner Zeitungen, Neuigkeitshunger und Klatschsucht eines Weltstadtpublikums. Wenn es auch leider unvermeidlich ist, daß all diese Imponderabilien bei der Teil¬ nahme für einen Dichter, bei der Bewunderung oder Verurteilung eines künst¬ lerischen Werkes mitwirken, so bleibt es doch die unabweisbare Pflicht der Kritik, unbekümmert um sie, alles unberechtigte Dreinsprechen eines Publi¬ kums, das nicht als empfängliches und genießendes Publikum der Kunst, sondern als politisch erregte, als gewerblich interessirte, als gesellig verknüpfte Masse oder Rotte die letzten Entscheidungen über Fragen der Kunst und Litteratur treffen will, scharf zurückzuweisen. Geradezu unerhört aber ist es, die völlig unberechtigten und verwirrenden Stimmen gerade der Kreise, denen die deutsche Litteratur und ihr Gedeihen oder ihr Verfall vollkommen gleichgiltig ist, förmlich zur Entscheidung aufzurufen, die urteilslose Menge, die das glaubt, was ihr in ihrer Zeitung hundertmal vorgesagt wird, das deutsche Volk zu nennen, alle Maßstäbe zu zerbrechen, die an eine dichterische Schöpfung zu legen sind, und darnach doch Urteile abzugeben, die in die Litteratur- und Kunstgeschichte übergehen sollen. Oder auch nicht sollen, denn das Geschlecht der Ästhetiker, die hier am Werke sind, ist so kurzatmig wie kurzlebig, es weiß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/34>, abgerufen am 27.09.2024.