Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen sehr unvollkommen gelang; und da außerdem die Anleihen weit über die Natürlich suchten sich die Geldleute durch hohe Zinsen, Wucherzinsen, Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen sehr unvollkommen gelang; und da außerdem die Anleihen weit über die Natürlich suchten sich die Geldleute durch hohe Zinsen, Wucherzinsen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224530"/> <fw type="header" place="top"> Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen</fw><lb/> <p xml:id="ID_776" prev="#ID_775"> sehr unvollkommen gelang; und da außerdem die Anleihen weit über die<lb/> Deckung hinausgingen, so reihte sich ein Staatsbankrott an den andern. Ganz<lb/> deutlich enthüllte sich dabei die Natur des Geldes. Erstens bildeten die<lb/> Silberflotten nur einen sehr kleinen Teil des Geldes, dessen man bedürfte; der<lb/> bei weitem größte Teil bestand in Kreditpapieren verschiedner Art. Zweitens<lb/> ging alles Gold und Silber durch den spanischen Volkskörper hindurch, nicht<lb/> wie nährende Speise, sondern wie ein verheerendes Gift. Die Güter laufen<lb/> eben nicht dem Gelde, sondern das Geld läuft den Gütern nach; die Güter<lb/> aber, aus denen das Einkommen besteht, werden durch Arbeit geschaffen.<lb/> Daher nutzt das Geld — lediglich als Tauschmittel und als Unterlage des<lb/> Kredits — nur denen, die selbst arbeiten oder andre für sich arbeiten lassen;<lb/> und bei denen stellt sich das Geld von selbst ein, anch wenn sie weder Gold-<lb/> noch Silbergruben haben. Die Spanier verrichteten wenig produktive Arbeit,<lb/> und von den Niederländern, die für sie arbeiteten, richteten sie die einen zu<lb/> Grunde und verwandelten sie die andern, von blindem Fanatismus getrieben,<lb/> aus Unterthanen in Todfeinde; so kam Spanien mit all seinen Silberflotten<lb/> auf die Kupferwührung herunter. Aber nicht allein sich selbst richteten die<lb/> Spanier — und auch die französischen Könige — zu Grunde, sondern auch<lb/> ihre Gläubiger. Was die großen Geldleute nicht beizeiten aus dem Geschüft<lb/> herausgezogen und in Grundbesitz angelegt hatten, das ging bis auf den letzten<lb/> Pfennig verloren. Selbstverständlich steckte in diesen Verlusten auch all das<lb/> fremde Kapital, das ihnen die wie immer blinde Gewinnsucht ihrer sparenden<lb/> Mitbürger anvertraut hatte; die Könige wunderten sich manchmal über das<lb/> dnrch keinen noch so räuberischen Bankrott zu verwüstende, wahrhaft rührende<lb/> Vertrauen der Geldleute, besonders der deutschen. In einer der Krisen, 1561,<lb/> schrieb einer von den klugem, Lienhard Tucher in Nürnberg, an seinen Vetter<lb/> Lazarus in Antwerpen: „Dieweil die schweren Kriege nun viele Jahre lang<lb/> gewährt, und die großen Potentaten große Summen Geldes auf hohe Inter¬<lb/> essen von allen Nationen aufgenommen haben, hat sich ein jeder mit den<lb/> großen Interessen bereichern wollen, sowohl die großen Hansen wie die Un-<lb/> vermöglichen; so hat denn ein jeder gegen Unterpfand oder auf Wechsel auf¬<lb/> genommen, was er hat bekommen können, und hat nicht bedacht, in welche<lb/> Schwierigkeiten er gelangen würde, wenn die Fürsten ihre Versprechungen nicht<lb/> hielten, wie denn jetzt schon vor Augen ist, daß bei den großen Potentaten<lb/> kein Glauben mehr will gehalten werden, und solches einer von dem andern<lb/> lernt." Und so haben die Deutschen und die Italiener aus blinder Gewinn¬<lb/> sucht mit ihrem sauer verdienten Gelde die spanischen und die französischen<lb/> Heere bezahlt, die Deutschland und Italien verwüsteten.</p><lb/> <p xml:id="ID_777" next="#ID_778"> Natürlich suchten sich die Geldleute durch hohe Zinsen, Wucherzinsen,<lb/> sicherzustellen, obgleich die ihnen auf die Dauer nichts genützt haben; Karl V.<lb/> mußte in Antwerpen einmal über dreißig Prozent zahlen, uno ein Teil des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0284]
Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen
sehr unvollkommen gelang; und da außerdem die Anleihen weit über die
Deckung hinausgingen, so reihte sich ein Staatsbankrott an den andern. Ganz
deutlich enthüllte sich dabei die Natur des Geldes. Erstens bildeten die
Silberflotten nur einen sehr kleinen Teil des Geldes, dessen man bedürfte; der
bei weitem größte Teil bestand in Kreditpapieren verschiedner Art. Zweitens
ging alles Gold und Silber durch den spanischen Volkskörper hindurch, nicht
wie nährende Speise, sondern wie ein verheerendes Gift. Die Güter laufen
eben nicht dem Gelde, sondern das Geld läuft den Gütern nach; die Güter
aber, aus denen das Einkommen besteht, werden durch Arbeit geschaffen.
Daher nutzt das Geld — lediglich als Tauschmittel und als Unterlage des
Kredits — nur denen, die selbst arbeiten oder andre für sich arbeiten lassen;
und bei denen stellt sich das Geld von selbst ein, anch wenn sie weder Gold-
noch Silbergruben haben. Die Spanier verrichteten wenig produktive Arbeit,
und von den Niederländern, die für sie arbeiteten, richteten sie die einen zu
Grunde und verwandelten sie die andern, von blindem Fanatismus getrieben,
aus Unterthanen in Todfeinde; so kam Spanien mit all seinen Silberflotten
auf die Kupferwührung herunter. Aber nicht allein sich selbst richteten die
Spanier — und auch die französischen Könige — zu Grunde, sondern auch
ihre Gläubiger. Was die großen Geldleute nicht beizeiten aus dem Geschüft
herausgezogen und in Grundbesitz angelegt hatten, das ging bis auf den letzten
Pfennig verloren. Selbstverständlich steckte in diesen Verlusten auch all das
fremde Kapital, das ihnen die wie immer blinde Gewinnsucht ihrer sparenden
Mitbürger anvertraut hatte; die Könige wunderten sich manchmal über das
dnrch keinen noch so räuberischen Bankrott zu verwüstende, wahrhaft rührende
Vertrauen der Geldleute, besonders der deutschen. In einer der Krisen, 1561,
schrieb einer von den klugem, Lienhard Tucher in Nürnberg, an seinen Vetter
Lazarus in Antwerpen: „Dieweil die schweren Kriege nun viele Jahre lang
gewährt, und die großen Potentaten große Summen Geldes auf hohe Inter¬
essen von allen Nationen aufgenommen haben, hat sich ein jeder mit den
großen Interessen bereichern wollen, sowohl die großen Hansen wie die Un-
vermöglichen; so hat denn ein jeder gegen Unterpfand oder auf Wechsel auf¬
genommen, was er hat bekommen können, und hat nicht bedacht, in welche
Schwierigkeiten er gelangen würde, wenn die Fürsten ihre Versprechungen nicht
hielten, wie denn jetzt schon vor Augen ist, daß bei den großen Potentaten
kein Glauben mehr will gehalten werden, und solches einer von dem andern
lernt." Und so haben die Deutschen und die Italiener aus blinder Gewinn¬
sucht mit ihrem sauer verdienten Gelde die spanischen und die französischen
Heere bezahlt, die Deutschland und Italien verwüsteten.
Natürlich suchten sich die Geldleute durch hohe Zinsen, Wucherzinsen,
sicherzustellen, obgleich die ihnen auf die Dauer nichts genützt haben; Karl V.
mußte in Antwerpen einmal über dreißig Prozent zahlen, uno ein Teil des
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