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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Jenseits der Mainlinie

war, das wurde mir bald klar. Mein Freund S. rief einmal, nach dem Rhein
hinweisend: Herrgott, wenn die Kerls 1870 herübergekommen wären und mein
hübsches neues Häusle zusammeugeschosse hätte! So haben wohl alle ver¬
mögenden Grenzbewohner damals gedacht und gefühlt und seitdem Bismarck
und Preußen als ihre Retter verehrt. Dann aber waren die ältern unter
ihnen sämtlich Achtundvierziger, d. h. alte Revolutionäre -- bei einem
halben Dutzend, mit dem ich einmal zusammensaß, fand es sich, daß keiner
darunter war, der nicht gesessen oder eine Zeit lang als Flüchtling in
Amerika gelebt hätte -- und Aufgeklärte im Sinne eines Pfaffenfresserischen
Kulturkampfes. Da man nun damals in allem Ernste glaubte, Bismarck habe
sich aufrichtig zu dieser Art Liberalismus bekehrt, so bestand zwischen ihrer
Negierungsfrenndlichkeit und ihrem Liberalismus kein Widerspruch; sie glaubten,
Bismarck habe die Revolution gemacht, mit der sie vor zwanzig und etlichen
Jahren verunglückt waren. Dieser Glaube erlitt 1876 den ersten Stoß,
als die Regierung bei der Beratung der Strafprozeßordnung einige Bestim¬
mungen durchsetzte, die namentlich von den Süddeutschen für reaktionäre Ver¬
schlechterungen gehalten wurden. Damals lernten die Nationalliberalen, sich
aufs Umfallen einzurichten, und Geigers Stammgäste fielen nach heftigem Ge-
schimpf auf die Herren Preußen mit um. Geiger aber blieb standhaft auf dem
streng liberalen oder vielmehr demokratischen Standpunkte stehen und sagte
seinen Stammgästen die ärgsten Grobheiten. Da beschlossen diese, tief gekränkt,
einen großartigen Exodus, und Jntlekofer und ich blieben eine Woche oder
zwei ziemlich allem. Da aber Geigers Bier nun einmal besser war als das
im Kalten Loch, so bequemten sich die Herren zu einem zweiten, politisch ganz
ungefährlichen Unfall nach links und fanden sich einer nach dem andern
wieder ein.

Weit weniger als die lebhaften, heitern und liebenswürdigen Städter ge¬
fielen mir die Landleute. Schon körperlich machen sie an vielen Orten einen
schlechtem Eindruck: die Männer imponiren weder durch Größe*) noch durch
Stärke (wenigstens in der Rheinebne, auf dem Schwarzwald findet man mehr
starke Leute), die Frauen sind häßlich und in der Ebne auch häßlich gekleidet
(die Trachten der Schwarzwälderinnen sind zwar malerisch, aber meist nicht
sehr praktisch), und schon die größern Kinder sind nicht mehr hübsch. Natür¬
lich giebt es Ausnahmen; die Vlumenwirtin in Nammersweyer z. B., bei
der ich im Sommer oft Abends mein Schwarzbrot und meinen Schoppen
einnahm, war eine schöne und stattliche, dabei gute und gescheite Frau. Dann
bemerkte ich bald, was ich später bei nicht gelesen habe, daß die Bauern der Rhein-
ebene keine echten Bauern, sondern ganz verstädtert sind. Sie holen sich ihre



") Das mus; ganz lokal sein. Das nahegelegne Humaner Lnndle bei Kehl hat auffallend
D, Red, großgewachsene Leute.
Jenseits der Mainlinie

war, das wurde mir bald klar. Mein Freund S. rief einmal, nach dem Rhein
hinweisend: Herrgott, wenn die Kerls 1870 herübergekommen wären und mein
hübsches neues Häusle zusammeugeschosse hätte! So haben wohl alle ver¬
mögenden Grenzbewohner damals gedacht und gefühlt und seitdem Bismarck
und Preußen als ihre Retter verehrt. Dann aber waren die ältern unter
ihnen sämtlich Achtundvierziger, d. h. alte Revolutionäre — bei einem
halben Dutzend, mit dem ich einmal zusammensaß, fand es sich, daß keiner
darunter war, der nicht gesessen oder eine Zeit lang als Flüchtling in
Amerika gelebt hätte — und Aufgeklärte im Sinne eines Pfaffenfresserischen
Kulturkampfes. Da man nun damals in allem Ernste glaubte, Bismarck habe
sich aufrichtig zu dieser Art Liberalismus bekehrt, so bestand zwischen ihrer
Negierungsfrenndlichkeit und ihrem Liberalismus kein Widerspruch; sie glaubten,
Bismarck habe die Revolution gemacht, mit der sie vor zwanzig und etlichen
Jahren verunglückt waren. Dieser Glaube erlitt 1876 den ersten Stoß,
als die Regierung bei der Beratung der Strafprozeßordnung einige Bestim¬
mungen durchsetzte, die namentlich von den Süddeutschen für reaktionäre Ver¬
schlechterungen gehalten wurden. Damals lernten die Nationalliberalen, sich
aufs Umfallen einzurichten, und Geigers Stammgäste fielen nach heftigem Ge-
schimpf auf die Herren Preußen mit um. Geiger aber blieb standhaft auf dem
streng liberalen oder vielmehr demokratischen Standpunkte stehen und sagte
seinen Stammgästen die ärgsten Grobheiten. Da beschlossen diese, tief gekränkt,
einen großartigen Exodus, und Jntlekofer und ich blieben eine Woche oder
zwei ziemlich allem. Da aber Geigers Bier nun einmal besser war als das
im Kalten Loch, so bequemten sich die Herren zu einem zweiten, politisch ganz
ungefährlichen Unfall nach links und fanden sich einer nach dem andern
wieder ein.

Weit weniger als die lebhaften, heitern und liebenswürdigen Städter ge¬
fielen mir die Landleute. Schon körperlich machen sie an vielen Orten einen
schlechtem Eindruck: die Männer imponiren weder durch Größe*) noch durch
Stärke (wenigstens in der Rheinebne, auf dem Schwarzwald findet man mehr
starke Leute), die Frauen sind häßlich und in der Ebne auch häßlich gekleidet
(die Trachten der Schwarzwälderinnen sind zwar malerisch, aber meist nicht
sehr praktisch), und schon die größern Kinder sind nicht mehr hübsch. Natür¬
lich giebt es Ausnahmen; die Vlumenwirtin in Nammersweyer z. B., bei
der ich im Sommer oft Abends mein Schwarzbrot und meinen Schoppen
einnahm, war eine schöne und stattliche, dabei gute und gescheite Frau. Dann
bemerkte ich bald, was ich später bei nicht gelesen habe, daß die Bauern der Rhein-
ebene keine echten Bauern, sondern ganz verstädtert sind. Sie holen sich ihre



") Das mus; ganz lokal sein. Das nahegelegne Humaner Lnndle bei Kehl hat auffallend
D, Red, großgewachsene Leute.
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[0247] Jenseits der Mainlinie war, das wurde mir bald klar. Mein Freund S. rief einmal, nach dem Rhein hinweisend: Herrgott, wenn die Kerls 1870 herübergekommen wären und mein hübsches neues Häusle zusammeugeschosse hätte! So haben wohl alle ver¬ mögenden Grenzbewohner damals gedacht und gefühlt und seitdem Bismarck und Preußen als ihre Retter verehrt. Dann aber waren die ältern unter ihnen sämtlich Achtundvierziger, d. h. alte Revolutionäre — bei einem halben Dutzend, mit dem ich einmal zusammensaß, fand es sich, daß keiner darunter war, der nicht gesessen oder eine Zeit lang als Flüchtling in Amerika gelebt hätte — und Aufgeklärte im Sinne eines Pfaffenfresserischen Kulturkampfes. Da man nun damals in allem Ernste glaubte, Bismarck habe sich aufrichtig zu dieser Art Liberalismus bekehrt, so bestand zwischen ihrer Negierungsfrenndlichkeit und ihrem Liberalismus kein Widerspruch; sie glaubten, Bismarck habe die Revolution gemacht, mit der sie vor zwanzig und etlichen Jahren verunglückt waren. Dieser Glaube erlitt 1876 den ersten Stoß, als die Regierung bei der Beratung der Strafprozeßordnung einige Bestim¬ mungen durchsetzte, die namentlich von den Süddeutschen für reaktionäre Ver¬ schlechterungen gehalten wurden. Damals lernten die Nationalliberalen, sich aufs Umfallen einzurichten, und Geigers Stammgäste fielen nach heftigem Ge- schimpf auf die Herren Preußen mit um. Geiger aber blieb standhaft auf dem streng liberalen oder vielmehr demokratischen Standpunkte stehen und sagte seinen Stammgästen die ärgsten Grobheiten. Da beschlossen diese, tief gekränkt, einen großartigen Exodus, und Jntlekofer und ich blieben eine Woche oder zwei ziemlich allem. Da aber Geigers Bier nun einmal besser war als das im Kalten Loch, so bequemten sich die Herren zu einem zweiten, politisch ganz ungefährlichen Unfall nach links und fanden sich einer nach dem andern wieder ein. Weit weniger als die lebhaften, heitern und liebenswürdigen Städter ge¬ fielen mir die Landleute. Schon körperlich machen sie an vielen Orten einen schlechtem Eindruck: die Männer imponiren weder durch Größe*) noch durch Stärke (wenigstens in der Rheinebne, auf dem Schwarzwald findet man mehr starke Leute), die Frauen sind häßlich und in der Ebne auch häßlich gekleidet (die Trachten der Schwarzwälderinnen sind zwar malerisch, aber meist nicht sehr praktisch), und schon die größern Kinder sind nicht mehr hübsch. Natür¬ lich giebt es Ausnahmen; die Vlumenwirtin in Nammersweyer z. B., bei der ich im Sommer oft Abends mein Schwarzbrot und meinen Schoppen einnahm, war eine schöne und stattliche, dabei gute und gescheite Frau. Dann bemerkte ich bald, was ich später bei nicht gelesen habe, daß die Bauern der Rhein- ebene keine echten Bauern, sondern ganz verstädtert sind. Sie holen sich ihre ") Das mus; ganz lokal sein. Das nahegelegne Humaner Lnndle bei Kehl hat auffallend D, Red, großgewachsene Leute.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/247>, abgerufen am 27.09.2024.