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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Jenseits der Mainlinie

Schwerts haben verzichten und sich zu den weiblichen Kampfmitteln der
Intrigue, des Jammerns und Klagens, des zähen Ausharrens und Abwartens
haben bequemen müssen, desto weibischer ist auch der Kurialstil geworden.
Das gilt von der Zeit bis auf Pius IX. Der gegenwärtige Papst hat es
dann mit dem Professorenhaften Kollegienstil versucht. Freilich sind auch jene
weiblichen Kampfmittel, ausgenommen das Gejammer, schon den alten Römern
keineswegs fremd gewesen, wie denn der vollkommne Mann überhaupt den
ganzen Menschen samt seiner weiblichen Hälfte in sich schließt; aber das Erbe
der im Nömertum vorherrschenden mannlichen Hülste ist weder auf die Italiener
noch auf die römische Kirche übergegangen, sondern von den Germanen über¬
nommen worden und hat sprachlich in dem Hochdeutsch Luthers und Lessings,
politisch und militärisch in dem harten, schneidigen Preußentum seine Auf¬
erstehung gefeiert.

Nun, weibische Italiener sind die Alemannen noch lange nicht, aber etwas
von einschmeichelnder italienischer Liebenswürdigkeit ist ihrem Charakter bei¬
gemischt. Die bekam ich nun auf die mannichfaltigste Weise zu kosten. Ich
wurde überall aufs freundlichste begrüßt, viel eingeladen und bei solchen
Gelegenheiten gut gefüttert; dieses nicht ohne Mitleidsregungen von wegen
meiner Vergangenheit. Schlesien? Ein armes Land! riefen die Leute, auch
Geographielehrer, wenn ich bekannte, wo ich her war. Na, wenn Sie die
Preußische Provinz, die die meisten Millionäre und die reichsten Bauern hat,
ein armes Land nennen wollen -- erwiderte ich manchmal. Heute wird wohl
der Nordosten unsers Vaterlandes dem Südwesten schon etwas besser bekannt sein,
sodaß Goethes "Fern von gebildeten Menschen" und der Hungertyphus, der
zweimal in einem kleinen Bezirk des vom links von der Oder gelegnen Schlesien
grnndverschiednen rechtsseitigen Teiles gewütet hat, nicht mehr die einzigen Be¬
standteile des Bildes sind, das man sich von der Kronenperle macht, um die
der große Friedrich mit der großen Kaiserin gerungen hat. So habe ich denn
dort in Familienkreisen und bei Festmahlen die angenehmsten Stunden verlebt,
öfter noch beim Abendschoppen und auf Spaziergängen in dein reizenden Ge¬
Hügel, das, unten mit Neben, höher hinauf mit Wald bedeckt, hinter Offenburg
aus der Ebene aufsteigend den Schwarzwald umsäumt. Meinen Nachmittags-
oder Abendspaziergang machte ich entweder mit dem vortrefflichen Gymnasial¬
direktor Jntlckofer, einem idealgestimmten, kenntnisreichen, für unsre Zeit über¬
mäßig bescheidnen und anspruchslosen Manne, oder mit dem Zahnarzt S., der
mich gleich am ersten Tage mit süddeutschem Sanguinismus in sein Herz ge¬
schlossen hatte. Aber trotz aller Liebenswürdigkeiten, die er mir erwiesen hat,
halte ich mich doch durch eine mit ihm gemachte Erfahrung für verpflichtet,
jedermann vor der Freundschaft mit Zahnärzten zu warnen. Er behauptete
nämlich, daß ich einiger Lücken wegen undeutlich spräche, wodurch die Wirkung
meiner Predigt beeinträchtigt würde, und verurteilte mich dazu, ein Gebiß von


Jenseits der Mainlinie

Schwerts haben verzichten und sich zu den weiblichen Kampfmitteln der
Intrigue, des Jammerns und Klagens, des zähen Ausharrens und Abwartens
haben bequemen müssen, desto weibischer ist auch der Kurialstil geworden.
Das gilt von der Zeit bis auf Pius IX. Der gegenwärtige Papst hat es
dann mit dem Professorenhaften Kollegienstil versucht. Freilich sind auch jene
weiblichen Kampfmittel, ausgenommen das Gejammer, schon den alten Römern
keineswegs fremd gewesen, wie denn der vollkommne Mann überhaupt den
ganzen Menschen samt seiner weiblichen Hälfte in sich schließt; aber das Erbe
der im Nömertum vorherrschenden mannlichen Hülste ist weder auf die Italiener
noch auf die römische Kirche übergegangen, sondern von den Germanen über¬
nommen worden und hat sprachlich in dem Hochdeutsch Luthers und Lessings,
politisch und militärisch in dem harten, schneidigen Preußentum seine Auf¬
erstehung gefeiert.

Nun, weibische Italiener sind die Alemannen noch lange nicht, aber etwas
von einschmeichelnder italienischer Liebenswürdigkeit ist ihrem Charakter bei¬
gemischt. Die bekam ich nun auf die mannichfaltigste Weise zu kosten. Ich
wurde überall aufs freundlichste begrüßt, viel eingeladen und bei solchen
Gelegenheiten gut gefüttert; dieses nicht ohne Mitleidsregungen von wegen
meiner Vergangenheit. Schlesien? Ein armes Land! riefen die Leute, auch
Geographielehrer, wenn ich bekannte, wo ich her war. Na, wenn Sie die
Preußische Provinz, die die meisten Millionäre und die reichsten Bauern hat,
ein armes Land nennen wollen — erwiderte ich manchmal. Heute wird wohl
der Nordosten unsers Vaterlandes dem Südwesten schon etwas besser bekannt sein,
sodaß Goethes „Fern von gebildeten Menschen" und der Hungertyphus, der
zweimal in einem kleinen Bezirk des vom links von der Oder gelegnen Schlesien
grnndverschiednen rechtsseitigen Teiles gewütet hat, nicht mehr die einzigen Be¬
standteile des Bildes sind, das man sich von der Kronenperle macht, um die
der große Friedrich mit der großen Kaiserin gerungen hat. So habe ich denn
dort in Familienkreisen und bei Festmahlen die angenehmsten Stunden verlebt,
öfter noch beim Abendschoppen und auf Spaziergängen in dein reizenden Ge¬
Hügel, das, unten mit Neben, höher hinauf mit Wald bedeckt, hinter Offenburg
aus der Ebene aufsteigend den Schwarzwald umsäumt. Meinen Nachmittags-
oder Abendspaziergang machte ich entweder mit dem vortrefflichen Gymnasial¬
direktor Jntlckofer, einem idealgestimmten, kenntnisreichen, für unsre Zeit über¬
mäßig bescheidnen und anspruchslosen Manne, oder mit dem Zahnarzt S., der
mich gleich am ersten Tage mit süddeutschem Sanguinismus in sein Herz ge¬
schlossen hatte. Aber trotz aller Liebenswürdigkeiten, die er mir erwiesen hat,
halte ich mich doch durch eine mit ihm gemachte Erfahrung für verpflichtet,
jedermann vor der Freundschaft mit Zahnärzten zu warnen. Er behauptete
nämlich, daß ich einiger Lücken wegen undeutlich spräche, wodurch die Wirkung
meiner Predigt beeinträchtigt würde, und verurteilte mich dazu, ein Gebiß von


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[0245] Jenseits der Mainlinie Schwerts haben verzichten und sich zu den weiblichen Kampfmitteln der Intrigue, des Jammerns und Klagens, des zähen Ausharrens und Abwartens haben bequemen müssen, desto weibischer ist auch der Kurialstil geworden. Das gilt von der Zeit bis auf Pius IX. Der gegenwärtige Papst hat es dann mit dem Professorenhaften Kollegienstil versucht. Freilich sind auch jene weiblichen Kampfmittel, ausgenommen das Gejammer, schon den alten Römern keineswegs fremd gewesen, wie denn der vollkommne Mann überhaupt den ganzen Menschen samt seiner weiblichen Hälfte in sich schließt; aber das Erbe der im Nömertum vorherrschenden mannlichen Hülste ist weder auf die Italiener noch auf die römische Kirche übergegangen, sondern von den Germanen über¬ nommen worden und hat sprachlich in dem Hochdeutsch Luthers und Lessings, politisch und militärisch in dem harten, schneidigen Preußentum seine Auf¬ erstehung gefeiert. Nun, weibische Italiener sind die Alemannen noch lange nicht, aber etwas von einschmeichelnder italienischer Liebenswürdigkeit ist ihrem Charakter bei¬ gemischt. Die bekam ich nun auf die mannichfaltigste Weise zu kosten. Ich wurde überall aufs freundlichste begrüßt, viel eingeladen und bei solchen Gelegenheiten gut gefüttert; dieses nicht ohne Mitleidsregungen von wegen meiner Vergangenheit. Schlesien? Ein armes Land! riefen die Leute, auch Geographielehrer, wenn ich bekannte, wo ich her war. Na, wenn Sie die Preußische Provinz, die die meisten Millionäre und die reichsten Bauern hat, ein armes Land nennen wollen — erwiderte ich manchmal. Heute wird wohl der Nordosten unsers Vaterlandes dem Südwesten schon etwas besser bekannt sein, sodaß Goethes „Fern von gebildeten Menschen" und der Hungertyphus, der zweimal in einem kleinen Bezirk des vom links von der Oder gelegnen Schlesien grnndverschiednen rechtsseitigen Teiles gewütet hat, nicht mehr die einzigen Be¬ standteile des Bildes sind, das man sich von der Kronenperle macht, um die der große Friedrich mit der großen Kaiserin gerungen hat. So habe ich denn dort in Familienkreisen und bei Festmahlen die angenehmsten Stunden verlebt, öfter noch beim Abendschoppen und auf Spaziergängen in dein reizenden Ge¬ Hügel, das, unten mit Neben, höher hinauf mit Wald bedeckt, hinter Offenburg aus der Ebene aufsteigend den Schwarzwald umsäumt. Meinen Nachmittags- oder Abendspaziergang machte ich entweder mit dem vortrefflichen Gymnasial¬ direktor Jntlckofer, einem idealgestimmten, kenntnisreichen, für unsre Zeit über¬ mäßig bescheidnen und anspruchslosen Manne, oder mit dem Zahnarzt S., der mich gleich am ersten Tage mit süddeutschem Sanguinismus in sein Herz ge¬ schlossen hatte. Aber trotz aller Liebenswürdigkeiten, die er mir erwiesen hat, halte ich mich doch durch eine mit ihm gemachte Erfahrung für verpflichtet, jedermann vor der Freundschaft mit Zahnärzten zu warnen. Er behauptete nämlich, daß ich einiger Lücken wegen undeutlich spräche, wodurch die Wirkung meiner Predigt beeinträchtigt würde, und verurteilte mich dazu, ein Gebiß von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/245>, abgerufen am 27.09.2024.