Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.Jenseits der Mainlinie Tendenz, der einseitig gewordnen Kultur zu geben, was ihr fehlt. Wahre Und die Sonne Homers, siehe, sie lächelt auch uns! Jenseits der Mainlinie v Lark Ientsch on Wes knüpfe an meine in dem vergangnen Jahre hier veröffent¬ Jenseits der Mainlinie Tendenz, der einseitig gewordnen Kultur zu geben, was ihr fehlt. Wahre Und die Sonne Homers, siehe, sie lächelt auch uns! Jenseits der Mainlinie v Lark Ientsch on Wes knüpfe an meine in dem vergangnen Jahre hier veröffent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224489"/> <fw type="header" place="top"> Jenseits der Mainlinie</fw><lb/> <p xml:id="ID_640" prev="#ID_639"> Tendenz, der einseitig gewordnen Kultur zu geben, was ihr fehlt. Wahre<lb/> Kultur — hier steckt der Irrtum Mcicaulays und der Seinen — ist nicht<lb/> bloß Verstandeskultur, das Leben ist nicht auf Begriffe zu ziehen, wie der Wein<lb/> auf Flaschen, und ebenso wenig der Mensch. Darum wird zu allen Zeiten<lb/> der Dichter sagen:</p><lb/> <quote> Und die Sonne Homers, siehe, sie lächelt auch uns!</quote><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Jenseits der Mainlinie<lb/> v<note type="byline"> Lark Ientsch</note> on</head><lb/> <p xml:id="ID_641" next="#ID_642"> Wes knüpfe an meine in dem vergangnen Jahre hier veröffent¬<lb/> lichten und dann auch als Buch erschienenen „Wandlungen" an.<lb/> „Habe Sie sich schon recht gut «angewöhnt?" wurde ich in<lb/> Offenburg vier bis sechs Wochen lang gefragt oder vielmehr<lb/> angesungen. Die melodische Sprache war mir mit dem Dialekt<lb/> zusammen längere Zeit hindurch der interessanteste unter den neuen Eindrücken.<lb/> Die Dialektverschiedeuheit verschleierte anfangs meine Schwerhörigkeit; die<lb/> Leute wunderten sich nicht besonders, wenn ich sie nicht verstand, weil sie mich<lb/> ebenfalls manchmal nicht verstanden. Bei einem meiner Antrittsbesuche traf<lb/> ich die Frau allein, verstand ihr kein Wort, redete aber immer tapfer drauf<lb/> los und empfahl mich nach zehn Minuten. Am andern Tage begegnete ich<lb/> dem Manne, der sein Bedauern über seine gestrige Abwesenheit aussprach und<lb/> hinzufügte: Und denken Sie, was meiner Frau passirt ist! Die ist nämlich<lb/> eine echte Schwarzwcildcrin und hat Ihna kei Wort verstände! Nach einer<lb/> Predigt in einem Dorfe des obern Schwarzwaldes fragte ich die Gemeinde¬<lb/> vorsteher, ob mich die Leute wohl verstanden haben möchten? Die jüngern,<lb/> war die Antwort, die beim Militär gewesen sind, schon, die ältern meist gar<lb/> nicht. Das Singen nimmt sich bei Frauen und Kindern sehr lieblich aus.<lb/> „Mir singe doch ni—it?" sang eine Damengesellschaft im Chor, als ich das<lb/> einmal äußerte. Weniger gut gefiel es mir bei den Männern. Als ich bei<lb/> einer wichtigen Verhandlung einen hochangesehenen Kreisgerichtsrat seinen<lb/> Spruch herunterleiern hörte, berührte mich das ganz seltsam, und eine im<lb/> oberländischen Dialekt gesungne Predigt kam mir geradezu abscheulich vor.<lb/> Das gab mir nun zu mancherlei Erwägungen Anlaß. Zunächst fragte ich<lb/> mich: Ob wohl diese melodischen Menschen auch ein wenig Gift und Galle im</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0243]
Jenseits der Mainlinie
Tendenz, der einseitig gewordnen Kultur zu geben, was ihr fehlt. Wahre
Kultur — hier steckt der Irrtum Mcicaulays und der Seinen — ist nicht
bloß Verstandeskultur, das Leben ist nicht auf Begriffe zu ziehen, wie der Wein
auf Flaschen, und ebenso wenig der Mensch. Darum wird zu allen Zeiten
der Dichter sagen:
Und die Sonne Homers, siehe, sie lächelt auch uns!
Jenseits der Mainlinie
v Lark Ientsch on
Wes knüpfe an meine in dem vergangnen Jahre hier veröffent¬
lichten und dann auch als Buch erschienenen „Wandlungen" an.
„Habe Sie sich schon recht gut «angewöhnt?" wurde ich in
Offenburg vier bis sechs Wochen lang gefragt oder vielmehr
angesungen. Die melodische Sprache war mir mit dem Dialekt
zusammen längere Zeit hindurch der interessanteste unter den neuen Eindrücken.
Die Dialektverschiedeuheit verschleierte anfangs meine Schwerhörigkeit; die
Leute wunderten sich nicht besonders, wenn ich sie nicht verstand, weil sie mich
ebenfalls manchmal nicht verstanden. Bei einem meiner Antrittsbesuche traf
ich die Frau allein, verstand ihr kein Wort, redete aber immer tapfer drauf
los und empfahl mich nach zehn Minuten. Am andern Tage begegnete ich
dem Manne, der sein Bedauern über seine gestrige Abwesenheit aussprach und
hinzufügte: Und denken Sie, was meiner Frau passirt ist! Die ist nämlich
eine echte Schwarzwcildcrin und hat Ihna kei Wort verstände! Nach einer
Predigt in einem Dorfe des obern Schwarzwaldes fragte ich die Gemeinde¬
vorsteher, ob mich die Leute wohl verstanden haben möchten? Die jüngern,
war die Antwort, die beim Militär gewesen sind, schon, die ältern meist gar
nicht. Das Singen nimmt sich bei Frauen und Kindern sehr lieblich aus.
„Mir singe doch ni—it?" sang eine Damengesellschaft im Chor, als ich das
einmal äußerte. Weniger gut gefiel es mir bei den Männern. Als ich bei
einer wichtigen Verhandlung einen hochangesehenen Kreisgerichtsrat seinen
Spruch herunterleiern hörte, berührte mich das ganz seltsam, und eine im
oberländischen Dialekt gesungne Predigt kam mir geradezu abscheulich vor.
Das gab mir nun zu mancherlei Erwägungen Anlaß. Zunächst fragte ich
mich: Ob wohl diese melodischen Menschen auch ein wenig Gift und Galle im
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