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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der juristische Zopf

etwa von der Art, wie sie in der Regel von dem Sekretär einer größern
Handelskammer erfordert wird.

Was soeben über die unberechtigte Bevorzugung der Juristen im Eisen¬
bahndienst gesagt worden ist, gilt mit sinngemäßer Abänderungen noch von
einer ganzen Reihe andrer Ressorts im Staatsdienste. Eine ganze Reihe von
Dienstzweigen leidet unter dem Vorurteil, daß der -- mit der Materie selbst
meist nicht genügend bekannte -- Jurist sich eben durch seine von dieser Fach¬
färbung freigebliebne juristische Ausbildung den weitern Blick bewahrt habe,
der zur gehörigen Ausfüllung der leitenden Stellungen erforderlich sei. Man
kann sagen: es ist nur die PostVerwaltung, die sich von diesem Eindringen
der Juristen freigehalten hat; geschadet hat das der Entwicklung unsers Post¬
Wesens sicherlich nicht.

Von den mannichfachen Beispielen, die man für die Herrschaft dieses Vor¬
urteils noch anführen könnte, wollen wir als eines der bezeichnendsten nur
noch das Gebiet der Unterrichtsverwaltung anführen, in dem nicht nur der
Minister, der Unterstaatssekretär und die Direktoren der beiden Schulabteilungen
Juristen sind, sondern auch unter den zweiundzwanzig vortragenden Räten
beider Abteilungen sich nur sechs von nichtjuristischer Bildung befinden.
Entsprechend sind die Provinzialschulkollegien zusammengesetzt, wo auf vier
juristisch vorgebildete Mitglieder (Oberpräsident, Regierungspräsident, Justitiar
und Verwaltungsrat) zwei bis drei schulmünnisch vorgebildete Provinzialschul-
rüte kommen. Daß bei solcher Zusammensetzung der Schulbehörden, bei der
die eigentlichen Sachverständigen nach ihrer Zahl und dem ihnen eingeräumten
Range durchaus im Hintertreffen stehen, die ganze Behandlung der Schul¬
verhältnisse einen viel zu bureaukratisch äußerlichen Charakter tragen muß,
liegt auf der Hand. Wieviel dabei teils an unzweckmäßigen, teils an voll¬
kommen überflüssigen, im wirklichen sehnlicher einfach unbeachtet bleibenden
Verfügungen zu stände kommt, davon kann man von Lehrern der höhern
Schulen, wenn sie einmal ihrem Herzen Luft machen, die ergötzlichsten Dinge
erzählen hören. Soweit auch die Ansichten dieser Lehrer hinsichtlich der Schul-
organiscitionsfragen auseinandergehen, in einem Punkte herrscht zwischen den
ausgeprägten Anhängern des alten Ghmnasialunterrichts und den lebhaftesten
Verfechtern der Schulreform eine auffallende Übereinstimmung, nämlich in dem
Urteil über die Weisheit der Schulbehörden.

Es giebt kaum ein Gebiet unsers öffentlichen Lebens, auf dem ein so
starkes Verlangen nach zeitgemäßen Reformen vorhanden wäre, wie das des
Schulwesens. Diesem Verlangen gegenüber eine entschiedn? Stellung ein¬
zunehmen, den berechtigten Forderungen der Neuerer rechtzeitig entgegen¬
zukommen, um zu verhindern, daß durch eine überstürzte Reform auch das
Bewahrenswerte in den bisherigen Verhältnissen mit weggeschwemmt werde,
das wäre eine Aufgabe, würdig des Chefs der Unterrichtsverwaltung in einem


Der juristische Zopf

etwa von der Art, wie sie in der Regel von dem Sekretär einer größern
Handelskammer erfordert wird.

Was soeben über die unberechtigte Bevorzugung der Juristen im Eisen¬
bahndienst gesagt worden ist, gilt mit sinngemäßer Abänderungen noch von
einer ganzen Reihe andrer Ressorts im Staatsdienste. Eine ganze Reihe von
Dienstzweigen leidet unter dem Vorurteil, daß der — mit der Materie selbst
meist nicht genügend bekannte — Jurist sich eben durch seine von dieser Fach¬
färbung freigebliebne juristische Ausbildung den weitern Blick bewahrt habe,
der zur gehörigen Ausfüllung der leitenden Stellungen erforderlich sei. Man
kann sagen: es ist nur die PostVerwaltung, die sich von diesem Eindringen
der Juristen freigehalten hat; geschadet hat das der Entwicklung unsers Post¬
Wesens sicherlich nicht.

Von den mannichfachen Beispielen, die man für die Herrschaft dieses Vor¬
urteils noch anführen könnte, wollen wir als eines der bezeichnendsten nur
noch das Gebiet der Unterrichtsverwaltung anführen, in dem nicht nur der
Minister, der Unterstaatssekretär und die Direktoren der beiden Schulabteilungen
Juristen sind, sondern auch unter den zweiundzwanzig vortragenden Räten
beider Abteilungen sich nur sechs von nichtjuristischer Bildung befinden.
Entsprechend sind die Provinzialschulkollegien zusammengesetzt, wo auf vier
juristisch vorgebildete Mitglieder (Oberpräsident, Regierungspräsident, Justitiar
und Verwaltungsrat) zwei bis drei schulmünnisch vorgebildete Provinzialschul-
rüte kommen. Daß bei solcher Zusammensetzung der Schulbehörden, bei der
die eigentlichen Sachverständigen nach ihrer Zahl und dem ihnen eingeräumten
Range durchaus im Hintertreffen stehen, die ganze Behandlung der Schul¬
verhältnisse einen viel zu bureaukratisch äußerlichen Charakter tragen muß,
liegt auf der Hand. Wieviel dabei teils an unzweckmäßigen, teils an voll¬
kommen überflüssigen, im wirklichen sehnlicher einfach unbeachtet bleibenden
Verfügungen zu stände kommt, davon kann man von Lehrern der höhern
Schulen, wenn sie einmal ihrem Herzen Luft machen, die ergötzlichsten Dinge
erzählen hören. Soweit auch die Ansichten dieser Lehrer hinsichtlich der Schul-
organiscitionsfragen auseinandergehen, in einem Punkte herrscht zwischen den
ausgeprägten Anhängern des alten Ghmnasialunterrichts und den lebhaftesten
Verfechtern der Schulreform eine auffallende Übereinstimmung, nämlich in dem
Urteil über die Weisheit der Schulbehörden.

Es giebt kaum ein Gebiet unsers öffentlichen Lebens, auf dem ein so
starkes Verlangen nach zeitgemäßen Reformen vorhanden wäre, wie das des
Schulwesens. Diesem Verlangen gegenüber eine entschiedn? Stellung ein¬
zunehmen, den berechtigten Forderungen der Neuerer rechtzeitig entgegen¬
zukommen, um zu verhindern, daß durch eine überstürzte Reform auch das
Bewahrenswerte in den bisherigen Verhältnissen mit weggeschwemmt werde,
das wäre eine Aufgabe, würdig des Chefs der Unterrichtsverwaltung in einem


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[0024] Der juristische Zopf etwa von der Art, wie sie in der Regel von dem Sekretär einer größern Handelskammer erfordert wird. Was soeben über die unberechtigte Bevorzugung der Juristen im Eisen¬ bahndienst gesagt worden ist, gilt mit sinngemäßer Abänderungen noch von einer ganzen Reihe andrer Ressorts im Staatsdienste. Eine ganze Reihe von Dienstzweigen leidet unter dem Vorurteil, daß der — mit der Materie selbst meist nicht genügend bekannte — Jurist sich eben durch seine von dieser Fach¬ färbung freigebliebne juristische Ausbildung den weitern Blick bewahrt habe, der zur gehörigen Ausfüllung der leitenden Stellungen erforderlich sei. Man kann sagen: es ist nur die PostVerwaltung, die sich von diesem Eindringen der Juristen freigehalten hat; geschadet hat das der Entwicklung unsers Post¬ Wesens sicherlich nicht. Von den mannichfachen Beispielen, die man für die Herrschaft dieses Vor¬ urteils noch anführen könnte, wollen wir als eines der bezeichnendsten nur noch das Gebiet der Unterrichtsverwaltung anführen, in dem nicht nur der Minister, der Unterstaatssekretär und die Direktoren der beiden Schulabteilungen Juristen sind, sondern auch unter den zweiundzwanzig vortragenden Räten beider Abteilungen sich nur sechs von nichtjuristischer Bildung befinden. Entsprechend sind die Provinzialschulkollegien zusammengesetzt, wo auf vier juristisch vorgebildete Mitglieder (Oberpräsident, Regierungspräsident, Justitiar und Verwaltungsrat) zwei bis drei schulmünnisch vorgebildete Provinzialschul- rüte kommen. Daß bei solcher Zusammensetzung der Schulbehörden, bei der die eigentlichen Sachverständigen nach ihrer Zahl und dem ihnen eingeräumten Range durchaus im Hintertreffen stehen, die ganze Behandlung der Schul¬ verhältnisse einen viel zu bureaukratisch äußerlichen Charakter tragen muß, liegt auf der Hand. Wieviel dabei teils an unzweckmäßigen, teils an voll¬ kommen überflüssigen, im wirklichen sehnlicher einfach unbeachtet bleibenden Verfügungen zu stände kommt, davon kann man von Lehrern der höhern Schulen, wenn sie einmal ihrem Herzen Luft machen, die ergötzlichsten Dinge erzählen hören. Soweit auch die Ansichten dieser Lehrer hinsichtlich der Schul- organiscitionsfragen auseinandergehen, in einem Punkte herrscht zwischen den ausgeprägten Anhängern des alten Ghmnasialunterrichts und den lebhaftesten Verfechtern der Schulreform eine auffallende Übereinstimmung, nämlich in dem Urteil über die Weisheit der Schulbehörden. Es giebt kaum ein Gebiet unsers öffentlichen Lebens, auf dem ein so starkes Verlangen nach zeitgemäßen Reformen vorhanden wäre, wie das des Schulwesens. Diesem Verlangen gegenüber eine entschiedn? Stellung ein¬ zunehmen, den berechtigten Forderungen der Neuerer rechtzeitig entgegen¬ zukommen, um zu verhindern, daß durch eine überstürzte Reform auch das Bewahrenswerte in den bisherigen Verhältnissen mit weggeschwemmt werde, das wäre eine Aufgabe, würdig des Chefs der Unterrichtsverwaltung in einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/24>, abgerufen am 27.09.2024.