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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

bekommen, und ihnen wird sich die Menge der Lauer zuwenden. Der im Fall
der Mobilmachung eintretende Militärbefehl wird die nötigen Vorkehrungen
zu treffen wissen. Dazu gehört, daß manche, denen jetzt großer Einfluß ge¬
währt wird, sofort eingesteckt werden. Ich bin sicher, daß ich mit dieser
Meinung nicht vereinzelt stehe. Krieg und Frieden!

Damit ist nicht gesagt, daß nun im Frieden ein Vorspiel des Kriegs,
etwa mit Hilfe des Diktatnrparagraphen, aufgeführt werden sollte. Der Diktatur¬
paragraph mag wie bisher in der Schwebe bleiben, aber nach fünfundzwanzig
Jahren thut eine Scheidung von Freund und Feind not. Der Freund mag
sprechen und stimmen, wie er will, aber wenn er spricht und stimmt wie unser
Feind, dann ist ers auch. Das Gerede z. B. von deutscher Ungeduld und
deutschem Chauvinismus schlägt nicht nur der Wahrheit ins Gesicht, es ist
geradezu eine Liebedienerei bei unsern Feinden; wer sie treibt, hält es mit ihnen.
Unsre Feinde -- sie sind alle bekannt oben und unten -- mögen geduldet werden,
wenn sie sich ruhig verhalten und nicht Hetzen; fehlen sie in dem einen oder
andern, so müssen sie unsre Macht zu kosten bekommen. Auch bei legalstein
Verhalten haben wir Mittel dazu. Unsern Feinden gar noch Einfluß zu ge¬
währen oder zu lassen, wäre unverzeihliche Schwäche. Alles Gewelsche, in
Worten und Werken, muß aufhören, wir verstehen es nun einmal nicht, wir
wollen es uns nicht anquälen, um unsre Feinde zu mästen.

Aufhören wird damit allerdings auch die Beförderung der Unwahrheit,
daß hier im Lande alles zum besten stehe. Es ist nicht so. Wir haben in
dem fünfundzwanzigjährigen Zeitraum, der seit der Einverleibung verstrichen ist,
leine Erfolge aufzuweisen. Was besser geworden ist, verdanken wir nur der
Zeit, nicht unsrer Staatskunst oder wahrem Wohlwollen. Unser Wohlwollen
war Bequemlichkeit und Schwäche, bestenfalls von der Art, die die Thränen¬
drüse schont und bei Herzwundcn kalt bleibt. Unsre Staatskunst zumal hat
immer mit Unterbilanz gearbeitet. Man mag auf die verschiedenste Weise
regieren: konservativ oder liberal, mit dem Klerus oder gegen ihn, srmviwr
oder tortitör in moäo, mit Nachsicht gegen Leute, die wenig wert sind, oder
wie sonst: der Staatsmann kann bei Übernahme der Geschäfte die Menschen
und Verhältnisse nicht auf einen Schlag anders machen, als sie sind, und wen
man braucht, dem muß man geben. Genug in schlimmer Lage, wenn der
Staatsmann das Rechte will und sich selbst rein hält. Nur eine Art zu
regieren ist überall und zu alle" Zeiten verwerflich und wirkungslos, das ist
die, wobei man sich regelmäßig selbst zur Seite druckt, seinen Willen und seine
Bedürfnisse zurücksetzt, darauf verzichtet, Eindruck zu machen. Das ist die
Politik, die wir hier im Lande befolgt haben. Noch jetzt ist es so, als wenn
wir jeden Tag um Verzeihung bäten, daß wir Elsaß-Lothringen annektirt
haben. Noch immer klingt auch durch unsre Reden und unser ganzes Ver¬
halten durch, die Leute sollten doch vernünftig sein, wir meinten es gut, wir


Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

bekommen, und ihnen wird sich die Menge der Lauer zuwenden. Der im Fall
der Mobilmachung eintretende Militärbefehl wird die nötigen Vorkehrungen
zu treffen wissen. Dazu gehört, daß manche, denen jetzt großer Einfluß ge¬
währt wird, sofort eingesteckt werden. Ich bin sicher, daß ich mit dieser
Meinung nicht vereinzelt stehe. Krieg und Frieden!

Damit ist nicht gesagt, daß nun im Frieden ein Vorspiel des Kriegs,
etwa mit Hilfe des Diktatnrparagraphen, aufgeführt werden sollte. Der Diktatur¬
paragraph mag wie bisher in der Schwebe bleiben, aber nach fünfundzwanzig
Jahren thut eine Scheidung von Freund und Feind not. Der Freund mag
sprechen und stimmen, wie er will, aber wenn er spricht und stimmt wie unser
Feind, dann ist ers auch. Das Gerede z. B. von deutscher Ungeduld und
deutschem Chauvinismus schlägt nicht nur der Wahrheit ins Gesicht, es ist
geradezu eine Liebedienerei bei unsern Feinden; wer sie treibt, hält es mit ihnen.
Unsre Feinde — sie sind alle bekannt oben und unten — mögen geduldet werden,
wenn sie sich ruhig verhalten und nicht Hetzen; fehlen sie in dem einen oder
andern, so müssen sie unsre Macht zu kosten bekommen. Auch bei legalstein
Verhalten haben wir Mittel dazu. Unsern Feinden gar noch Einfluß zu ge¬
währen oder zu lassen, wäre unverzeihliche Schwäche. Alles Gewelsche, in
Worten und Werken, muß aufhören, wir verstehen es nun einmal nicht, wir
wollen es uns nicht anquälen, um unsre Feinde zu mästen.

Aufhören wird damit allerdings auch die Beförderung der Unwahrheit,
daß hier im Lande alles zum besten stehe. Es ist nicht so. Wir haben in
dem fünfundzwanzigjährigen Zeitraum, der seit der Einverleibung verstrichen ist,
leine Erfolge aufzuweisen. Was besser geworden ist, verdanken wir nur der
Zeit, nicht unsrer Staatskunst oder wahrem Wohlwollen. Unser Wohlwollen
war Bequemlichkeit und Schwäche, bestenfalls von der Art, die die Thränen¬
drüse schont und bei Herzwundcn kalt bleibt. Unsre Staatskunst zumal hat
immer mit Unterbilanz gearbeitet. Man mag auf die verschiedenste Weise
regieren: konservativ oder liberal, mit dem Klerus oder gegen ihn, srmviwr
oder tortitör in moäo, mit Nachsicht gegen Leute, die wenig wert sind, oder
wie sonst: der Staatsmann kann bei Übernahme der Geschäfte die Menschen
und Verhältnisse nicht auf einen Schlag anders machen, als sie sind, und wen
man braucht, dem muß man geben. Genug in schlimmer Lage, wenn der
Staatsmann das Rechte will und sich selbst rein hält. Nur eine Art zu
regieren ist überall und zu alle» Zeiten verwerflich und wirkungslos, das ist
die, wobei man sich regelmäßig selbst zur Seite druckt, seinen Willen und seine
Bedürfnisse zurücksetzt, darauf verzichtet, Eindruck zu machen. Das ist die
Politik, die wir hier im Lande befolgt haben. Noch jetzt ist es so, als wenn
wir jeden Tag um Verzeihung bäten, daß wir Elsaß-Lothringen annektirt
haben. Noch immer klingt auch durch unsre Reden und unser ganzes Ver¬
halten durch, die Leute sollten doch vernünftig sein, wir meinten es gut, wir


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[0221] Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande bekommen, und ihnen wird sich die Menge der Lauer zuwenden. Der im Fall der Mobilmachung eintretende Militärbefehl wird die nötigen Vorkehrungen zu treffen wissen. Dazu gehört, daß manche, denen jetzt großer Einfluß ge¬ währt wird, sofort eingesteckt werden. Ich bin sicher, daß ich mit dieser Meinung nicht vereinzelt stehe. Krieg und Frieden! Damit ist nicht gesagt, daß nun im Frieden ein Vorspiel des Kriegs, etwa mit Hilfe des Diktatnrparagraphen, aufgeführt werden sollte. Der Diktatur¬ paragraph mag wie bisher in der Schwebe bleiben, aber nach fünfundzwanzig Jahren thut eine Scheidung von Freund und Feind not. Der Freund mag sprechen und stimmen, wie er will, aber wenn er spricht und stimmt wie unser Feind, dann ist ers auch. Das Gerede z. B. von deutscher Ungeduld und deutschem Chauvinismus schlägt nicht nur der Wahrheit ins Gesicht, es ist geradezu eine Liebedienerei bei unsern Feinden; wer sie treibt, hält es mit ihnen. Unsre Feinde — sie sind alle bekannt oben und unten — mögen geduldet werden, wenn sie sich ruhig verhalten und nicht Hetzen; fehlen sie in dem einen oder andern, so müssen sie unsre Macht zu kosten bekommen. Auch bei legalstein Verhalten haben wir Mittel dazu. Unsern Feinden gar noch Einfluß zu ge¬ währen oder zu lassen, wäre unverzeihliche Schwäche. Alles Gewelsche, in Worten und Werken, muß aufhören, wir verstehen es nun einmal nicht, wir wollen es uns nicht anquälen, um unsre Feinde zu mästen. Aufhören wird damit allerdings auch die Beförderung der Unwahrheit, daß hier im Lande alles zum besten stehe. Es ist nicht so. Wir haben in dem fünfundzwanzigjährigen Zeitraum, der seit der Einverleibung verstrichen ist, leine Erfolge aufzuweisen. Was besser geworden ist, verdanken wir nur der Zeit, nicht unsrer Staatskunst oder wahrem Wohlwollen. Unser Wohlwollen war Bequemlichkeit und Schwäche, bestenfalls von der Art, die die Thränen¬ drüse schont und bei Herzwundcn kalt bleibt. Unsre Staatskunst zumal hat immer mit Unterbilanz gearbeitet. Man mag auf die verschiedenste Weise regieren: konservativ oder liberal, mit dem Klerus oder gegen ihn, srmviwr oder tortitör in moäo, mit Nachsicht gegen Leute, die wenig wert sind, oder wie sonst: der Staatsmann kann bei Übernahme der Geschäfte die Menschen und Verhältnisse nicht auf einen Schlag anders machen, als sie sind, und wen man braucht, dem muß man geben. Genug in schlimmer Lage, wenn der Staatsmann das Rechte will und sich selbst rein hält. Nur eine Art zu regieren ist überall und zu alle» Zeiten verwerflich und wirkungslos, das ist die, wobei man sich regelmäßig selbst zur Seite druckt, seinen Willen und seine Bedürfnisse zurücksetzt, darauf verzichtet, Eindruck zu machen. Das ist die Politik, die wir hier im Lande befolgt haben. Noch jetzt ist es so, als wenn wir jeden Tag um Verzeihung bäten, daß wir Elsaß-Lothringen annektirt haben. Noch immer klingt auch durch unsre Reden und unser ganzes Ver¬ halten durch, die Leute sollten doch vernünftig sein, wir meinten es gut, wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/221>, abgerufen am 27.09.2024.