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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

er sich von den drei Aufgaben, die das Statthalteramt vereinigt: als Ober¬
präsident, als Minister und als unmittelbarer Stellvertreter des Kaisers thätig
zu sein, je länger je mehr auf die letzte, die höchste und glänzendste Aufgabe
zurückgezogen. Er war zuletzt nur noch der regierende Herr. Er hat den
Herrn mit Maß und Geschmack vorgestellt, aber in der entscheidenden Frage
doch nur vorgestellt; die vitiöse Entwicklung ist weiter gegangen. Um sie zu
meistern hätte er sehr viel Initiative aufwenden, alle drei Aufgaben zu¬
sammenfassen und selbst verwalten müssen.

Das fünfundzwanzigjährige Ergebnis der Entwicklung besteht darin, daß
Deutschland um eine" Klein- oder Mittelstaat reicher geworden ist, dessen Be¬
völkerung mit Neigung, wenn auch ohne Sehnsucht, an der französischen Ver¬
gangenheit hängt, und dessen maßgebende Volksschichten die französische Tradition
in Sprache, Sitte und Lebensführung bewußt fortsetzen. Also politischer Parti¬
kularismus mit geistigem und sozialem Separatismus, ein gefährlicher Kleinstaat.
Das Feld- und Erkennungszeichen des Separatismus ist der Gebrauch der fran¬
zösischen Sprache. Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen. Aber während
die Alten die französische Zeit noch erlebt haben und ihre Liebe dafür zwar
inniger ist, aber durch die Erinnerung an manchen schon damals empfundnen
Gegensatz, durch Bedächtigkeit und Interesse in Schranken gehalten wird, ist in
der Neigung der Jugend zu französischem Wesen nichts naives, ihre Neigung ist
durchaus gemacht und aufgebauscht; als das Ergebnis geistiger Mißtlünge ist
sie selbst mißtönend, und sie wird durch den Trotz der Jugendjahre zum De-
monstriren gereizt. Auch dem seit der Einverleibung herangewachsenen Geschlecht
ist der Sinn für Erwerb und Machtverhältnisse eigen, aber während er bei
den Alten die Grundlage dessen ist, was man als Fügsamkeit und Ruhelicbe
preist und ausnutzt, artet er bei den Jungen leicht zu Hab- und Ehrsucht aus.
Ob sich diese Eigenschaften unsrer Staats- und Gesellschaftsordnung anpassen
oder die Zahl ihrer Gegner vermehren helfen, hängt von der Lebensstellung
ab, in die das äußere Geschick versetzt; innere Selbstbestimmung wirkt nicht
mit, und keinesfalls eignet sich eine von solchem Drang erfüllte, nicht strebende,
sondern streberische Jugend zur Stütze eines guten Regiments. Natürlich giebt
es Ausnahmen, und die Vielgestaltigkeit des Lebens hemmt zum Glück die
logische Zuspitzung einzelner Lebenserscheinungen; aber unerfreulich ist das
Bild unsrer Jugend noch jedem ernsten Beobachter erschienen, es zeigt land¬
schaftliche Verschärfungen der häßlichen Züge, die auch in den andern Teilen
Deutschlands wahrgenommen und beklagt werden.

Es ist ein fauler Friede, der in Elsaß-Lothringen herrscht. Es wird er¬
zählt, ein General, der in unserm Lande stand, habe auf die Frage des Kaisers
nach seiner Auffassung der Sachlage nach einigem Zögern geantwortet: Majestät,
wenn mobil gemacht wird, sind wir in Feindes Land. Dieses Urteil trifft den
Nagel auf den Kopf. Unsre Freunde werden sich verstecken, unsre Feinde Mut


Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande

er sich von den drei Aufgaben, die das Statthalteramt vereinigt: als Ober¬
präsident, als Minister und als unmittelbarer Stellvertreter des Kaisers thätig
zu sein, je länger je mehr auf die letzte, die höchste und glänzendste Aufgabe
zurückgezogen. Er war zuletzt nur noch der regierende Herr. Er hat den
Herrn mit Maß und Geschmack vorgestellt, aber in der entscheidenden Frage
doch nur vorgestellt; die vitiöse Entwicklung ist weiter gegangen. Um sie zu
meistern hätte er sehr viel Initiative aufwenden, alle drei Aufgaben zu¬
sammenfassen und selbst verwalten müssen.

Das fünfundzwanzigjährige Ergebnis der Entwicklung besteht darin, daß
Deutschland um eine» Klein- oder Mittelstaat reicher geworden ist, dessen Be¬
völkerung mit Neigung, wenn auch ohne Sehnsucht, an der französischen Ver¬
gangenheit hängt, und dessen maßgebende Volksschichten die französische Tradition
in Sprache, Sitte und Lebensführung bewußt fortsetzen. Also politischer Parti¬
kularismus mit geistigem und sozialem Separatismus, ein gefährlicher Kleinstaat.
Das Feld- und Erkennungszeichen des Separatismus ist der Gebrauch der fran¬
zösischen Sprache. Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen. Aber während
die Alten die französische Zeit noch erlebt haben und ihre Liebe dafür zwar
inniger ist, aber durch die Erinnerung an manchen schon damals empfundnen
Gegensatz, durch Bedächtigkeit und Interesse in Schranken gehalten wird, ist in
der Neigung der Jugend zu französischem Wesen nichts naives, ihre Neigung ist
durchaus gemacht und aufgebauscht; als das Ergebnis geistiger Mißtlünge ist
sie selbst mißtönend, und sie wird durch den Trotz der Jugendjahre zum De-
monstriren gereizt. Auch dem seit der Einverleibung herangewachsenen Geschlecht
ist der Sinn für Erwerb und Machtverhältnisse eigen, aber während er bei
den Alten die Grundlage dessen ist, was man als Fügsamkeit und Ruhelicbe
preist und ausnutzt, artet er bei den Jungen leicht zu Hab- und Ehrsucht aus.
Ob sich diese Eigenschaften unsrer Staats- und Gesellschaftsordnung anpassen
oder die Zahl ihrer Gegner vermehren helfen, hängt von der Lebensstellung
ab, in die das äußere Geschick versetzt; innere Selbstbestimmung wirkt nicht
mit, und keinesfalls eignet sich eine von solchem Drang erfüllte, nicht strebende,
sondern streberische Jugend zur Stütze eines guten Regiments. Natürlich giebt
es Ausnahmen, und die Vielgestaltigkeit des Lebens hemmt zum Glück die
logische Zuspitzung einzelner Lebenserscheinungen; aber unerfreulich ist das
Bild unsrer Jugend noch jedem ernsten Beobachter erschienen, es zeigt land¬
schaftliche Verschärfungen der häßlichen Züge, die auch in den andern Teilen
Deutschlands wahrgenommen und beklagt werden.

Es ist ein fauler Friede, der in Elsaß-Lothringen herrscht. Es wird er¬
zählt, ein General, der in unserm Lande stand, habe auf die Frage des Kaisers
nach seiner Auffassung der Sachlage nach einigem Zögern geantwortet: Majestät,
wenn mobil gemacht wird, sind wir in Feindes Land. Dieses Urteil trifft den
Nagel auf den Kopf. Unsre Freunde werden sich verstecken, unsre Feinde Mut


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[0220] Kleinstaaterei und Sondergeist im Reichslande er sich von den drei Aufgaben, die das Statthalteramt vereinigt: als Ober¬ präsident, als Minister und als unmittelbarer Stellvertreter des Kaisers thätig zu sein, je länger je mehr auf die letzte, die höchste und glänzendste Aufgabe zurückgezogen. Er war zuletzt nur noch der regierende Herr. Er hat den Herrn mit Maß und Geschmack vorgestellt, aber in der entscheidenden Frage doch nur vorgestellt; die vitiöse Entwicklung ist weiter gegangen. Um sie zu meistern hätte er sehr viel Initiative aufwenden, alle drei Aufgaben zu¬ sammenfassen und selbst verwalten müssen. Das fünfundzwanzigjährige Ergebnis der Entwicklung besteht darin, daß Deutschland um eine» Klein- oder Mittelstaat reicher geworden ist, dessen Be¬ völkerung mit Neigung, wenn auch ohne Sehnsucht, an der französischen Ver¬ gangenheit hängt, und dessen maßgebende Volksschichten die französische Tradition in Sprache, Sitte und Lebensführung bewußt fortsetzen. Also politischer Parti¬ kularismus mit geistigem und sozialem Separatismus, ein gefährlicher Kleinstaat. Das Feld- und Erkennungszeichen des Separatismus ist der Gebrauch der fran¬ zösischen Sprache. Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen. Aber während die Alten die französische Zeit noch erlebt haben und ihre Liebe dafür zwar inniger ist, aber durch die Erinnerung an manchen schon damals empfundnen Gegensatz, durch Bedächtigkeit und Interesse in Schranken gehalten wird, ist in der Neigung der Jugend zu französischem Wesen nichts naives, ihre Neigung ist durchaus gemacht und aufgebauscht; als das Ergebnis geistiger Mißtlünge ist sie selbst mißtönend, und sie wird durch den Trotz der Jugendjahre zum De- monstriren gereizt. Auch dem seit der Einverleibung herangewachsenen Geschlecht ist der Sinn für Erwerb und Machtverhältnisse eigen, aber während er bei den Alten die Grundlage dessen ist, was man als Fügsamkeit und Ruhelicbe preist und ausnutzt, artet er bei den Jungen leicht zu Hab- und Ehrsucht aus. Ob sich diese Eigenschaften unsrer Staats- und Gesellschaftsordnung anpassen oder die Zahl ihrer Gegner vermehren helfen, hängt von der Lebensstellung ab, in die das äußere Geschick versetzt; innere Selbstbestimmung wirkt nicht mit, und keinesfalls eignet sich eine von solchem Drang erfüllte, nicht strebende, sondern streberische Jugend zur Stütze eines guten Regiments. Natürlich giebt es Ausnahmen, und die Vielgestaltigkeit des Lebens hemmt zum Glück die logische Zuspitzung einzelner Lebenserscheinungen; aber unerfreulich ist das Bild unsrer Jugend noch jedem ernsten Beobachter erschienen, es zeigt land¬ schaftliche Verschärfungen der häßlichen Züge, die auch in den andern Teilen Deutschlands wahrgenommen und beklagt werden. Es ist ein fauler Friede, der in Elsaß-Lothringen herrscht. Es wird er¬ zählt, ein General, der in unserm Lande stand, habe auf die Frage des Kaisers nach seiner Auffassung der Sachlage nach einigem Zögern geantwortet: Majestät, wenn mobil gemacht wird, sind wir in Feindes Land. Dieses Urteil trifft den Nagel auf den Kopf. Unsre Freunde werden sich verstecken, unsre Feinde Mut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/220>, abgerufen am 27.09.2024.