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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Unser Vffizierersatz

das mit um so mehr Geringschätzung auf andre Menschen heruntersieht, je
weniger sein Inhaber eine Ahnung davon hat, welche Summe von Kenntnissen
und Tüchtigkeit heute in andern Berufen dazu gehört, es auch nur einiger¬
maßen vorwärts zu bringen?

Die heutige Heranbildung des Avantageurs bietet in dieser Hinsicht kaum
eine genügende Sicherheit. Nicht deshalb, weil ein Teil aus den sogenannten
"Pressen" hervorgeht. Diese Pressen sind zwar schon oft hart angegriffen
worden; thatsächlich läßt sich aber nicht nur eine ganze Reihe sehr tüchtiger
und gebildeter Offiziere nennen, die durch solche Pressen gegangen sind, und
die später nachgeholt haben, was sie in jüngern Jahren versäumt hatten,
sondern es lassen sich auch Anstalten namhaft machen, die, was Gewissenhaftigkeit
der Lehrer und persönliche Tüchtigkeit der Vorstände anlangt, mustergiltig sind.
Wo es in dieser Hinsicht fehlt, kann mit gründlichen Prüfungen derer, die aus
minderwertigen Pressen hervorgegangen sind, mit Leichtigkeit abgeholfen werden.
Wenn man will, hat man das in der Hand.

Der Übelstand liegt in unserm Avantageurwesen selbst, darin, daß der
Avantageur von dem Tage seines Eintritts ins Heer an erklärt: ich will Offi¬
zier werden. Dieser Embryo, der abgeschieden von Mannschaft und Einjährigen
zu außergewöhnlicher Zeit in irgend einer Ecke des Kasernenhofs seine Dressur
durchmacht, ist nicht nur eine bemitleidenswerte und mehr oder weniger
komische Figur, hier wie im Kasino, in das er von Anfang an zur Erweiterung
der Kluft zwischen ihm und der übrigen Mannschaft eintritt, die Sache hat
auch ihre sehr ernste Seite. Vom ersten Tage ab zum zukünftigen Offizier
gestempelt, wird er mit andern Augen angesehen und sieht selbst alles mit
andern Augen an, und darüber wird die ganze Mannschafts- und Untervffizier-
zeit, die er durchmacht, zu einer bloßen Spiegelfechterei; in Fleisch und Blut
geht ihm die Erfahrung dieser Zeit nicht über, weil sie nicht unbefangen ge¬
nossen wird, sondern von vornherein als das Übel einer Durchgangszeit -- und
zwar einer recht drückenden Durchgangszeit -- hingenommen wird und werden
muß. Daher kommt es, daß nachher der Offizier so oft nicht mit der Mann¬
schaft fühlt und empfindet, daß er ihr innerlich fremd, manchmal sogar mit
Geringschätzung gegenübersteht und häufig nur den Vorgesetzten hervorzukehren
weiß, aber nicht den erfahrnen und gereifter" ältern Kameraden; der wird
nur gelegentlich einmal bei einer Paradeansprache ausposaunt, während auf
dem Marsch, in der Hitze des Manövertags, im Biwak selten das freundliche,
warme Wort gefunden wird, das der Mannschaft zum Herzen spricht und ihr
die Überzeugung beibringt, daß sie nicht nur zum "Schläuchen" da sei, sondern
daß sie um eines höhern Zweckes willen ihre Pflicht zu erfüllen habe, unter
Vorgesetzten, die bei aller Strenge und Festigkeit ein Herz für sie haben und
sie verstehen. Hier fehlt es, im Avantageurwesen. Dies muß abgeschafft
werden!


Unser Vffizierersatz

das mit um so mehr Geringschätzung auf andre Menschen heruntersieht, je
weniger sein Inhaber eine Ahnung davon hat, welche Summe von Kenntnissen
und Tüchtigkeit heute in andern Berufen dazu gehört, es auch nur einiger¬
maßen vorwärts zu bringen?

Die heutige Heranbildung des Avantageurs bietet in dieser Hinsicht kaum
eine genügende Sicherheit. Nicht deshalb, weil ein Teil aus den sogenannten
„Pressen" hervorgeht. Diese Pressen sind zwar schon oft hart angegriffen
worden; thatsächlich läßt sich aber nicht nur eine ganze Reihe sehr tüchtiger
und gebildeter Offiziere nennen, die durch solche Pressen gegangen sind, und
die später nachgeholt haben, was sie in jüngern Jahren versäumt hatten,
sondern es lassen sich auch Anstalten namhaft machen, die, was Gewissenhaftigkeit
der Lehrer und persönliche Tüchtigkeit der Vorstände anlangt, mustergiltig sind.
Wo es in dieser Hinsicht fehlt, kann mit gründlichen Prüfungen derer, die aus
minderwertigen Pressen hervorgegangen sind, mit Leichtigkeit abgeholfen werden.
Wenn man will, hat man das in der Hand.

Der Übelstand liegt in unserm Avantageurwesen selbst, darin, daß der
Avantageur von dem Tage seines Eintritts ins Heer an erklärt: ich will Offi¬
zier werden. Dieser Embryo, der abgeschieden von Mannschaft und Einjährigen
zu außergewöhnlicher Zeit in irgend einer Ecke des Kasernenhofs seine Dressur
durchmacht, ist nicht nur eine bemitleidenswerte und mehr oder weniger
komische Figur, hier wie im Kasino, in das er von Anfang an zur Erweiterung
der Kluft zwischen ihm und der übrigen Mannschaft eintritt, die Sache hat
auch ihre sehr ernste Seite. Vom ersten Tage ab zum zukünftigen Offizier
gestempelt, wird er mit andern Augen angesehen und sieht selbst alles mit
andern Augen an, und darüber wird die ganze Mannschafts- und Untervffizier-
zeit, die er durchmacht, zu einer bloßen Spiegelfechterei; in Fleisch und Blut
geht ihm die Erfahrung dieser Zeit nicht über, weil sie nicht unbefangen ge¬
nossen wird, sondern von vornherein als das Übel einer Durchgangszeit — und
zwar einer recht drückenden Durchgangszeit — hingenommen wird und werden
muß. Daher kommt es, daß nachher der Offizier so oft nicht mit der Mann¬
schaft fühlt und empfindet, daß er ihr innerlich fremd, manchmal sogar mit
Geringschätzung gegenübersteht und häufig nur den Vorgesetzten hervorzukehren
weiß, aber nicht den erfahrnen und gereifter» ältern Kameraden; der wird
nur gelegentlich einmal bei einer Paradeansprache ausposaunt, während auf
dem Marsch, in der Hitze des Manövertags, im Biwak selten das freundliche,
warme Wort gefunden wird, das der Mannschaft zum Herzen spricht und ihr
die Überzeugung beibringt, daß sie nicht nur zum „Schläuchen" da sei, sondern
daß sie um eines höhern Zweckes willen ihre Pflicht zu erfüllen habe, unter
Vorgesetzten, die bei aller Strenge und Festigkeit ein Herz für sie haben und
sie verstehen. Hier fehlt es, im Avantageurwesen. Dies muß abgeschafft
werden!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/162>, abgerufen am 27.09.2024.