Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.von der Schriftsteller"! zupassen suchen, sondern die Überzeugung vertreten, die sie sich durch reifliche Prüfung Aber haben denn die Zeitungschreiber überhaupt einen Beruf? Bismarck hat Was mich betrifft, so kann ich wohl sagen, daß, obgleich ich mich erst in von der Schriftsteller«! zupassen suchen, sondern die Überzeugung vertreten, die sie sich durch reifliche Prüfung Aber haben denn die Zeitungschreiber überhaupt einen Beruf? Bismarck hat Was mich betrifft, so kann ich wohl sagen, daß, obgleich ich mich erst in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224400"/> <fw type="header" place="top"> von der Schriftsteller«!</fw><lb/> <p xml:id="ID_426" prev="#ID_425"> zupassen suchen, sondern die Überzeugung vertreten, die sie sich durch reifliche Prüfung<lb/> der Verhältnisse gebildet haben. Sie allerdings, als Kinder ihrer Zeit, werden<lb/> beeinflußt sein von den Geistesströmuugeu der Gegenwart. Die Übereinstimmung<lb/> zwischen dem Zeitungschreiber und dem Publikum besteht darin oder sollte darin<lb/> bestehen, daß sich den Gleichgestimmten ähnliche Wahrnehmungen aufdrängen, und daß<lb/> der Wortführer der Menge aus eignem Empfinden heraus so redet, wie allen zu<lb/> Mute ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_427"> Aber haben denn die Zeitungschreiber überhaupt einen Beruf? Bismarck hat<lb/> sie als Leute, die ihren Beruf verfehlt haben, bezeichnet. Das mag insofern<lb/> richtig sein, als es wohl verhältnismäßig recht selten vorkommt oder bisher<lb/> wenigstens vorgekommen ist, daß sich jemand auf diesen Beruf von früher Jugend<lb/> an förmlich vorbereitet. An der Presse wirken viele mit, die einen andern Beruf<lb/> aufgegeben haben, und oft haben sie in ihrem frühern Beruf Schiffbruch gelitten.<lb/> Ich gebe zu, daß dadurch der Dilettantismus in der Tagespresse gefördert worden<lb/> ist. Die Presse aber hat sich auch erst in der Neuzeit zu ihrer heutigen Be¬<lb/> deutung emporgearbeitet und befindet sich gewissermaßen in einer Übergangszeit.<lb/> Aus dem Urteil Bismarcks spricht die herkömmliche Geringschätzung, die so oft von<lb/> den Praktikern, den Männern der That, den von Unkel Bräsig verächtlich als<lb/> „Drähnbartels" bezeichneten Männern des Worts bezeigt worden ist. Wie oft aber<lb/> war das Wort der Vorläufer der That! wie oft wurde die Saat zu geschichtliche»<lb/> Ereignissen von Männern der Feder ausgestreut! Der journalistische Stand hat,<lb/> wie jeder andre, seine unsaubern Bestandteile; er ist besonders in heutiger Zeit der<lb/> Versuchung ausgesetzt, seiner idealen Bestimmung untreu zu werden. Daß aber<lb/> ein Beruf, nach dessen Thätigkeit in der Gegenwart offenbar ein lebhaftes Bedürfnis<lb/> vorhanden ist, überflüssig sei, kann Bismarck unmöglich im Ernst gemeint haben;<lb/> weiß er doch selbst die Bedeutung des gesprochnen und geschriebnen Wortes wohl<lb/> zu schätzen, ist er doch selbst ein Meister der Rede und Schrift, und hat er doch<lb/> selbst von der Macht der Presse den ausgiebigsten Gebrauch gemacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_428"> Was mich betrifft, so kann ich wohl sagen, daß, obgleich ich mich erst in<lb/> spätern Jahren der schriftstellerischen Thätigkeit zugewendet habe, ich doch darin<lb/> erst meinen wirklichen Beruf gefunden habe, wenn der wahre Beruf des Menschen<lb/> der ist, zu dem er am meisten Anlage und Neigung in sich verspürt. Schulung<lb/> und Übung hat unendlich viel dazu gethan, daß ich mich in diesem Beruf uach<lb/> dem Verlassen eines andern erst wieder heimisch fand. Mein Denken und mein<lb/> Interesse hat sich andern Gegenständen zugewandt als früher. Daß ich mich<lb/> jemals zum politischen Tagesschriftsteller ausbilden könnte, hätte ich in frühern<lb/> Jahren nicht geglaubt, und ich würde jeden ausgelacht haben, der es mir prophezeit<lb/> hätte. Die Neigung zur Schriftstellerei hat sich erst im Laufe der Zeit bei mir<lb/> ausgebildet. Dennoch glaube ich bei einem Rückblick in die Vergangenheit in den<lb/> Beschäftigungen meiner Kindheit schon eine Anlage zu entdecken, die mich gewisser¬<lb/> maßen zu meinem jetzigen Beruf eben so sehr befähigte, wie sie mir die praktische<lb/> Thätigkeit erschwert hat, die Neigung zu träumerisch sinnender Betrachtung, zum<lb/> Ausspinnen von Gedankenreihen,</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0154]
von der Schriftsteller«!
zupassen suchen, sondern die Überzeugung vertreten, die sie sich durch reifliche Prüfung
der Verhältnisse gebildet haben. Sie allerdings, als Kinder ihrer Zeit, werden
beeinflußt sein von den Geistesströmuugeu der Gegenwart. Die Übereinstimmung
zwischen dem Zeitungschreiber und dem Publikum besteht darin oder sollte darin
bestehen, daß sich den Gleichgestimmten ähnliche Wahrnehmungen aufdrängen, und daß
der Wortführer der Menge aus eignem Empfinden heraus so redet, wie allen zu
Mute ist.
Aber haben denn die Zeitungschreiber überhaupt einen Beruf? Bismarck hat
sie als Leute, die ihren Beruf verfehlt haben, bezeichnet. Das mag insofern
richtig sein, als es wohl verhältnismäßig recht selten vorkommt oder bisher
wenigstens vorgekommen ist, daß sich jemand auf diesen Beruf von früher Jugend
an förmlich vorbereitet. An der Presse wirken viele mit, die einen andern Beruf
aufgegeben haben, und oft haben sie in ihrem frühern Beruf Schiffbruch gelitten.
Ich gebe zu, daß dadurch der Dilettantismus in der Tagespresse gefördert worden
ist. Die Presse aber hat sich auch erst in der Neuzeit zu ihrer heutigen Be¬
deutung emporgearbeitet und befindet sich gewissermaßen in einer Übergangszeit.
Aus dem Urteil Bismarcks spricht die herkömmliche Geringschätzung, die so oft von
den Praktikern, den Männern der That, den von Unkel Bräsig verächtlich als
„Drähnbartels" bezeichneten Männern des Worts bezeigt worden ist. Wie oft aber
war das Wort der Vorläufer der That! wie oft wurde die Saat zu geschichtliche»
Ereignissen von Männern der Feder ausgestreut! Der journalistische Stand hat,
wie jeder andre, seine unsaubern Bestandteile; er ist besonders in heutiger Zeit der
Versuchung ausgesetzt, seiner idealen Bestimmung untreu zu werden. Daß aber
ein Beruf, nach dessen Thätigkeit in der Gegenwart offenbar ein lebhaftes Bedürfnis
vorhanden ist, überflüssig sei, kann Bismarck unmöglich im Ernst gemeint haben;
weiß er doch selbst die Bedeutung des gesprochnen und geschriebnen Wortes wohl
zu schätzen, ist er doch selbst ein Meister der Rede und Schrift, und hat er doch
selbst von der Macht der Presse den ausgiebigsten Gebrauch gemacht.
Was mich betrifft, so kann ich wohl sagen, daß, obgleich ich mich erst in
spätern Jahren der schriftstellerischen Thätigkeit zugewendet habe, ich doch darin
erst meinen wirklichen Beruf gefunden habe, wenn der wahre Beruf des Menschen
der ist, zu dem er am meisten Anlage und Neigung in sich verspürt. Schulung
und Übung hat unendlich viel dazu gethan, daß ich mich in diesem Beruf uach
dem Verlassen eines andern erst wieder heimisch fand. Mein Denken und mein
Interesse hat sich andern Gegenständen zugewandt als früher. Daß ich mich
jemals zum politischen Tagesschriftsteller ausbilden könnte, hätte ich in frühern
Jahren nicht geglaubt, und ich würde jeden ausgelacht haben, der es mir prophezeit
hätte. Die Neigung zur Schriftstellerei hat sich erst im Laufe der Zeit bei mir
ausgebildet. Dennoch glaube ich bei einem Rückblick in die Vergangenheit in den
Beschäftigungen meiner Kindheit schon eine Anlage zu entdecken, die mich gewisser¬
maßen zu meinem jetzigen Beruf eben so sehr befähigte, wie sie mir die praktische
Thätigkeit erschwert hat, die Neigung zu träumerisch sinnender Betrachtung, zum
Ausspinnen von Gedankenreihen,
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