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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

des Massenmordes und dergleichen vermag oft viel mehr Unheil anzurichten,
als eine ganze Reihe einzelner auf die schwersten Verbrechen gerichtete Hand¬
lungen. Hiernach kann aus einer einzigen That ebensogut wie aus einer Reihe
von Thaten eine Anzahl von Vergehungen, sei es gegen dasselbe Strafgesetz
oder gegen verschiedne Strafgesetze hervorgehen. Unser Strafgesetzbuch unter¬
scheidet jedoch in den HZ 73 und 74 bei mehrfachen Vergehungen, ob sie auf
einundderselben Handlung oder auf mehreren selbständigen Handlungen be¬
ruhen. Bei mehreren selbständigen Handlungen werden die Einzelstrafen für
jede That ausgeworfen, und es wird dann durch Erhöhung der verwirkten
schwersten Strafe auf eine Gesamtstrafe erkannt. Wenn andrerseits nur eine
einzige Handlung vorliegt, muß die Strafe lediglich dem Strafgesetzparagraphen
entnommen werden, der für die That die schwerste Strafe androht, sodaß also
auf keine Gesamtstrafe, sondern überhaupt nur auf eine einzige Strafe zu er¬
kennen ist. Hat z. V. jemand einen andern durch dessen Kleider in die Seite
gestochen, somit thatsächlich eine Sachbeschädigung und eine Körperverletzung
begangen, so kommt das Strafgesetz für die Sachbeschädigung nicht in An¬
wendung, sondern das für die Körperverletzung, denn die Sachbeschädigung
wird höchstens mit zwei Jahren Gefängnis bestraft, während das höchste
Strafmaß für die gefährliche Körperverletzung nach Z 223 a des Strafgesetzbuchs
fünf Jahre Gefängnis beträgt. Hiernach steht sich der Verbrecher, der mehrfach
gegen das Strafgesetz verstoßen hat, besser, wenn die Verstöße auf einer einzigen
Handlung und nicht auf mehreren selbständigen Handlungen beruhen. Es mag
dahingestellt bleiben, ob das vom gesetzgeberischen Standpunkt immer zu billigen
ist, jedenfalls sollten Begriffe wie einunddieselbe Handlung oder mehrere
selbständige Handlungen niemals anders aufgefaßt und gedeutet werden, als
wie man sie im gewöhnlichen Leben gebraucht.

Zu dem Sachverhalt, der auf Grund der mündlichen Verhandlung fest¬
zustellen ist, gehören auch Thcitfrageu, die keiner rechtlichen Beurteilung und
keiner Nechtsbelehrung bedürfen. Die angeführten Begriffe müßten unter die
einfachen, vielleicht unter die einfachsten Thatfragen gerechnet werden, bei denen
jeder Rechtsirrtum und deshalb jede Nachprüfung des Revisionsgerichts aus¬
geschlossen ist. Das Reichsgericht ist aber andrer Ansicht und kommt dabei
zu wunderlichen Ergebnissen. Nehmen wir an, daß ein Räuberhauptmann
seiner Horde den Befehl zu einem Raubangriff erteilt, der auch ausgeführt
wird, oder daß ein Mann eine Anzahl von Personen um sich versammelt und
diesen erfolgreich Geschenke für einen von ihnen zu leistenden Meineid ver¬
spricht, dann hat nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts der Räuber-
hauptmann nicht nur eine That begangen, sondern es fallen ihm fo viel selb¬
ständige Handlungen der Anstiftung zur Last, als seine Horde Personen zählt;
ebenso ist die Anzahl der geleistete" Meineide maßgebend sür die Zahl der
selbständigen Handlungen ihrer Anstiftung. Diese Theorie steht mit dem


Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg

des Massenmordes und dergleichen vermag oft viel mehr Unheil anzurichten,
als eine ganze Reihe einzelner auf die schwersten Verbrechen gerichtete Hand¬
lungen. Hiernach kann aus einer einzigen That ebensogut wie aus einer Reihe
von Thaten eine Anzahl von Vergehungen, sei es gegen dasselbe Strafgesetz
oder gegen verschiedne Strafgesetze hervorgehen. Unser Strafgesetzbuch unter¬
scheidet jedoch in den HZ 73 und 74 bei mehrfachen Vergehungen, ob sie auf
einundderselben Handlung oder auf mehreren selbständigen Handlungen be¬
ruhen. Bei mehreren selbständigen Handlungen werden die Einzelstrafen für
jede That ausgeworfen, und es wird dann durch Erhöhung der verwirkten
schwersten Strafe auf eine Gesamtstrafe erkannt. Wenn andrerseits nur eine
einzige Handlung vorliegt, muß die Strafe lediglich dem Strafgesetzparagraphen
entnommen werden, der für die That die schwerste Strafe androht, sodaß also
auf keine Gesamtstrafe, sondern überhaupt nur auf eine einzige Strafe zu er¬
kennen ist. Hat z. V. jemand einen andern durch dessen Kleider in die Seite
gestochen, somit thatsächlich eine Sachbeschädigung und eine Körperverletzung
begangen, so kommt das Strafgesetz für die Sachbeschädigung nicht in An¬
wendung, sondern das für die Körperverletzung, denn die Sachbeschädigung
wird höchstens mit zwei Jahren Gefängnis bestraft, während das höchste
Strafmaß für die gefährliche Körperverletzung nach Z 223 a des Strafgesetzbuchs
fünf Jahre Gefängnis beträgt. Hiernach steht sich der Verbrecher, der mehrfach
gegen das Strafgesetz verstoßen hat, besser, wenn die Verstöße auf einer einzigen
Handlung und nicht auf mehreren selbständigen Handlungen beruhen. Es mag
dahingestellt bleiben, ob das vom gesetzgeberischen Standpunkt immer zu billigen
ist, jedenfalls sollten Begriffe wie einunddieselbe Handlung oder mehrere
selbständige Handlungen niemals anders aufgefaßt und gedeutet werden, als
wie man sie im gewöhnlichen Leben gebraucht.

Zu dem Sachverhalt, der auf Grund der mündlichen Verhandlung fest¬
zustellen ist, gehören auch Thcitfrageu, die keiner rechtlichen Beurteilung und
keiner Nechtsbelehrung bedürfen. Die angeführten Begriffe müßten unter die
einfachen, vielleicht unter die einfachsten Thatfragen gerechnet werden, bei denen
jeder Rechtsirrtum und deshalb jede Nachprüfung des Revisionsgerichts aus¬
geschlossen ist. Das Reichsgericht ist aber andrer Ansicht und kommt dabei
zu wunderlichen Ergebnissen. Nehmen wir an, daß ein Räuberhauptmann
seiner Horde den Befehl zu einem Raubangriff erteilt, der auch ausgeführt
wird, oder daß ein Mann eine Anzahl von Personen um sich versammelt und
diesen erfolgreich Geschenke für einen von ihnen zu leistenden Meineid ver¬
spricht, dann hat nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts der Räuber-
hauptmann nicht nur eine That begangen, sondern es fallen ihm fo viel selb¬
ständige Handlungen der Anstiftung zur Last, als seine Horde Personen zählt;
ebenso ist die Anzahl der geleistete» Meineide maßgebend sür die Zahl der
selbständigen Handlungen ihrer Anstiftung. Diese Theorie steht mit dem


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[0135] Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg des Massenmordes und dergleichen vermag oft viel mehr Unheil anzurichten, als eine ganze Reihe einzelner auf die schwersten Verbrechen gerichtete Hand¬ lungen. Hiernach kann aus einer einzigen That ebensogut wie aus einer Reihe von Thaten eine Anzahl von Vergehungen, sei es gegen dasselbe Strafgesetz oder gegen verschiedne Strafgesetze hervorgehen. Unser Strafgesetzbuch unter¬ scheidet jedoch in den HZ 73 und 74 bei mehrfachen Vergehungen, ob sie auf einundderselben Handlung oder auf mehreren selbständigen Handlungen be¬ ruhen. Bei mehreren selbständigen Handlungen werden die Einzelstrafen für jede That ausgeworfen, und es wird dann durch Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe auf eine Gesamtstrafe erkannt. Wenn andrerseits nur eine einzige Handlung vorliegt, muß die Strafe lediglich dem Strafgesetzparagraphen entnommen werden, der für die That die schwerste Strafe androht, sodaß also auf keine Gesamtstrafe, sondern überhaupt nur auf eine einzige Strafe zu er¬ kennen ist. Hat z. V. jemand einen andern durch dessen Kleider in die Seite gestochen, somit thatsächlich eine Sachbeschädigung und eine Körperverletzung begangen, so kommt das Strafgesetz für die Sachbeschädigung nicht in An¬ wendung, sondern das für die Körperverletzung, denn die Sachbeschädigung wird höchstens mit zwei Jahren Gefängnis bestraft, während das höchste Strafmaß für die gefährliche Körperverletzung nach Z 223 a des Strafgesetzbuchs fünf Jahre Gefängnis beträgt. Hiernach steht sich der Verbrecher, der mehrfach gegen das Strafgesetz verstoßen hat, besser, wenn die Verstöße auf einer einzigen Handlung und nicht auf mehreren selbständigen Handlungen beruhen. Es mag dahingestellt bleiben, ob das vom gesetzgeberischen Standpunkt immer zu billigen ist, jedenfalls sollten Begriffe wie einunddieselbe Handlung oder mehrere selbständige Handlungen niemals anders aufgefaßt und gedeutet werden, als wie man sie im gewöhnlichen Leben gebraucht. Zu dem Sachverhalt, der auf Grund der mündlichen Verhandlung fest¬ zustellen ist, gehören auch Thcitfrageu, die keiner rechtlichen Beurteilung und keiner Nechtsbelehrung bedürfen. Die angeführten Begriffe müßten unter die einfachen, vielleicht unter die einfachsten Thatfragen gerechnet werden, bei denen jeder Rechtsirrtum und deshalb jede Nachprüfung des Revisionsgerichts aus¬ geschlossen ist. Das Reichsgericht ist aber andrer Ansicht und kommt dabei zu wunderlichen Ergebnissen. Nehmen wir an, daß ein Räuberhauptmann seiner Horde den Befehl zu einem Raubangriff erteilt, der auch ausgeführt wird, oder daß ein Mann eine Anzahl von Personen um sich versammelt und diesen erfolgreich Geschenke für einen von ihnen zu leistenden Meineid ver¬ spricht, dann hat nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts der Räuber- hauptmann nicht nur eine That begangen, sondern es fallen ihm fo viel selb¬ ständige Handlungen der Anstiftung zur Last, als seine Horde Personen zählt; ebenso ist die Anzahl der geleistete» Meineide maßgebend sür die Zahl der selbständigen Handlungen ihrer Anstiftung. Diese Theorie steht mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/135>, abgerufen am 27.09.2024.