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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Bibliophilie

mit einer erstaunliche" Schnelligkeit vollzog sich der Umschwung." So ist es
erklärlich, daß die dramatischen Werke ans der Periode Elisabeths zu den
größten Seltenheiten des Büchermarktes gehören, wenn auch natürlich nicht
alle so begehrt worden sind, wie die ersten Drucke der Shakespeareschen
Dramen. Oft hat auch bloße Willkür deu größten Teil einer Auslage vernichtet,
um dadurch die wenigen Exemplare, die der Vernichtung entgangen waren,
zu desto gesuchter!! zu machen. Geistliche und weltliche Große haben auf
diese Weise die ihnen mißliebige Litteratur aus der Welt zu schaffen versucht.
Die Inäiess librorum. prodiditorum von 1559 bis 1881, neunundzwanzig
stattliche Teile, legen Zeugnis ab von der umfangreichen Litteratur, die das
Papsttum im Laufe von mehr als drei Jahrhunderten zu verdammen für
nötig gefunden hat. Freilich sind die Zeiten vorbei, wo durch einen solchen
Bannfluch das Buch auch in allen katholischen Ländern wirklich ausgerottet
wurde; manches Buch unsrer Tage verdankt gerade dem Umstände, daß es aus
den Index gesetzt wurde, ein gutes Teil seiner Verbreitung. Zolas Lourdes
hat das neuerdings wieder bestätigt.

Selten sind auch solche Bücher, die nur in einer beschränkten Anzahl gedruckt
worden sind, meist auf Kosten eines Privatmanns. Der größte Teil der Auflage
findet allmählich in den großen Staatsbibliotheken eine dauernde Stätte. Die Zahl
der im Handel befindlichen Exemplare wird daher immer beschränkter, und so
werden die Preise in die Höhe getrieben. Leider sind es oft sehr wertvolle Werke,
die auf diese Weise der Öffentlichkeit entzogen werden. In neuerer Zeit wird
namentlich in England mit solchen Privatdruckeu ein Sport getrieben. Auch hier
kaun wieder Shakespeare angeführt werden, auch er hat recht unter dieser Sucht
zu leiden gehabt. Der berühmte und Hochverdieute englische Shakespeare¬
forscher Halliwell hat, besonders in seiner letzten Zeit, alle Beiträge zur
Kunde des Lebens des großen Dichters in einer Auflage vou vierzig oder
fünfzig Exemplaren drucken lassen, die er an seine Freunde verteilte; deu Nest
hat er dann stets vernichtet, sodaß von den meisten dieser Schriften kaum zwanzig
bis fünfundzwanzig Exemplare vorhanden sind. Ihre wissenschaftliche Benutzung
ist dadurch natürlich fast unmöglich geworden. So werden Bücher "künstlich"
selten gemacht. Daneben giebt es aber auch Werke, und zwar aus neuerer Zeit,
die weder in beschränkter Auflage gedruckt, noch nach dem Druck vernichtet
wurden, und doch ausschließlich ihres innern Wertes wegen so gesucht sind,
daß die Auflage längst vergriffen ist, und ab und zu auftauchende Exemplare
mit dem Zehufachen des ursprünglichen Preises bezahlt werden. So ist z. B.
der dritte Band der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen (insbesondre die
1856 erschienene dritte Auslage), der die sagenvergleichenden Anmerkungen
enthält, so gesucht, daß das zwölffache des ursprünglichen Preises von drei
Mark, also 36 Mark dafür gefordert wird. Hier sind es nicht Sammler, die
einen solchen Wert darauf legen, sondern Gelehrte, denn dieses Büchlein ist


Bibliophilie

mit einer erstaunliche» Schnelligkeit vollzog sich der Umschwung." So ist es
erklärlich, daß die dramatischen Werke ans der Periode Elisabeths zu den
größten Seltenheiten des Büchermarktes gehören, wenn auch natürlich nicht
alle so begehrt worden sind, wie die ersten Drucke der Shakespeareschen
Dramen. Oft hat auch bloße Willkür deu größten Teil einer Auslage vernichtet,
um dadurch die wenigen Exemplare, die der Vernichtung entgangen waren,
zu desto gesuchter!! zu machen. Geistliche und weltliche Große haben auf
diese Weise die ihnen mißliebige Litteratur aus der Welt zu schaffen versucht.
Die Inäiess librorum. prodiditorum von 1559 bis 1881, neunundzwanzig
stattliche Teile, legen Zeugnis ab von der umfangreichen Litteratur, die das
Papsttum im Laufe von mehr als drei Jahrhunderten zu verdammen für
nötig gefunden hat. Freilich sind die Zeiten vorbei, wo durch einen solchen
Bannfluch das Buch auch in allen katholischen Ländern wirklich ausgerottet
wurde; manches Buch unsrer Tage verdankt gerade dem Umstände, daß es aus
den Index gesetzt wurde, ein gutes Teil seiner Verbreitung. Zolas Lourdes
hat das neuerdings wieder bestätigt.

Selten sind auch solche Bücher, die nur in einer beschränkten Anzahl gedruckt
worden sind, meist auf Kosten eines Privatmanns. Der größte Teil der Auflage
findet allmählich in den großen Staatsbibliotheken eine dauernde Stätte. Die Zahl
der im Handel befindlichen Exemplare wird daher immer beschränkter, und so
werden die Preise in die Höhe getrieben. Leider sind es oft sehr wertvolle Werke,
die auf diese Weise der Öffentlichkeit entzogen werden. In neuerer Zeit wird
namentlich in England mit solchen Privatdruckeu ein Sport getrieben. Auch hier
kaun wieder Shakespeare angeführt werden, auch er hat recht unter dieser Sucht
zu leiden gehabt. Der berühmte und Hochverdieute englische Shakespeare¬
forscher Halliwell hat, besonders in seiner letzten Zeit, alle Beiträge zur
Kunde des Lebens des großen Dichters in einer Auflage vou vierzig oder
fünfzig Exemplaren drucken lassen, die er an seine Freunde verteilte; deu Nest
hat er dann stets vernichtet, sodaß von den meisten dieser Schriften kaum zwanzig
bis fünfundzwanzig Exemplare vorhanden sind. Ihre wissenschaftliche Benutzung
ist dadurch natürlich fast unmöglich geworden. So werden Bücher „künstlich"
selten gemacht. Daneben giebt es aber auch Werke, und zwar aus neuerer Zeit,
die weder in beschränkter Auflage gedruckt, noch nach dem Druck vernichtet
wurden, und doch ausschließlich ihres innern Wertes wegen so gesucht sind,
daß die Auflage längst vergriffen ist, und ab und zu auftauchende Exemplare
mit dem Zehufachen des ursprünglichen Preises bezahlt werden. So ist z. B.
der dritte Band der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen (insbesondre die
1856 erschienene dritte Auslage), der die sagenvergleichenden Anmerkungen
enthält, so gesucht, daß das zwölffache des ursprünglichen Preises von drei
Mark, also 36 Mark dafür gefordert wird. Hier sind es nicht Sammler, die
einen solchen Wert darauf legen, sondern Gelehrte, denn dieses Büchlein ist


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[0096] Bibliophilie mit einer erstaunliche» Schnelligkeit vollzog sich der Umschwung." So ist es erklärlich, daß die dramatischen Werke ans der Periode Elisabeths zu den größten Seltenheiten des Büchermarktes gehören, wenn auch natürlich nicht alle so begehrt worden sind, wie die ersten Drucke der Shakespeareschen Dramen. Oft hat auch bloße Willkür deu größten Teil einer Auslage vernichtet, um dadurch die wenigen Exemplare, die der Vernichtung entgangen waren, zu desto gesuchter!! zu machen. Geistliche und weltliche Große haben auf diese Weise die ihnen mißliebige Litteratur aus der Welt zu schaffen versucht. Die Inäiess librorum. prodiditorum von 1559 bis 1881, neunundzwanzig stattliche Teile, legen Zeugnis ab von der umfangreichen Litteratur, die das Papsttum im Laufe von mehr als drei Jahrhunderten zu verdammen für nötig gefunden hat. Freilich sind die Zeiten vorbei, wo durch einen solchen Bannfluch das Buch auch in allen katholischen Ländern wirklich ausgerottet wurde; manches Buch unsrer Tage verdankt gerade dem Umstände, daß es aus den Index gesetzt wurde, ein gutes Teil seiner Verbreitung. Zolas Lourdes hat das neuerdings wieder bestätigt. Selten sind auch solche Bücher, die nur in einer beschränkten Anzahl gedruckt worden sind, meist auf Kosten eines Privatmanns. Der größte Teil der Auflage findet allmählich in den großen Staatsbibliotheken eine dauernde Stätte. Die Zahl der im Handel befindlichen Exemplare wird daher immer beschränkter, und so werden die Preise in die Höhe getrieben. Leider sind es oft sehr wertvolle Werke, die auf diese Weise der Öffentlichkeit entzogen werden. In neuerer Zeit wird namentlich in England mit solchen Privatdruckeu ein Sport getrieben. Auch hier kaun wieder Shakespeare angeführt werden, auch er hat recht unter dieser Sucht zu leiden gehabt. Der berühmte und Hochverdieute englische Shakespeare¬ forscher Halliwell hat, besonders in seiner letzten Zeit, alle Beiträge zur Kunde des Lebens des großen Dichters in einer Auflage vou vierzig oder fünfzig Exemplaren drucken lassen, die er an seine Freunde verteilte; deu Nest hat er dann stets vernichtet, sodaß von den meisten dieser Schriften kaum zwanzig bis fünfundzwanzig Exemplare vorhanden sind. Ihre wissenschaftliche Benutzung ist dadurch natürlich fast unmöglich geworden. So werden Bücher „künstlich" selten gemacht. Daneben giebt es aber auch Werke, und zwar aus neuerer Zeit, die weder in beschränkter Auflage gedruckt, noch nach dem Druck vernichtet wurden, und doch ausschließlich ihres innern Wertes wegen so gesucht sind, daß die Auflage längst vergriffen ist, und ab und zu auftauchende Exemplare mit dem Zehufachen des ursprünglichen Preises bezahlt werden. So ist z. B. der dritte Band der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen (insbesondre die 1856 erschienene dritte Auslage), der die sagenvergleichenden Anmerkungen enthält, so gesucht, daß das zwölffache des ursprünglichen Preises von drei Mark, also 36 Mark dafür gefordert wird. Hier sind es nicht Sammler, die einen solchen Wert darauf legen, sondern Gelehrte, denn dieses Büchlein ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/96>, abgerufen am 08.01.2025.