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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Juristische Randbemerkungen zum Fall Kotze

Mangel an Einsicht und offenbarer böser Wille die Hand gereicht hätten, um
in allen Winkeln und Ecken Verdachtsgründe aufzustöbern, die in Wahrheit
völlig wertlos gewesen seien. Es habe, so behauptet er, kein ernsthafter Grund
zu einem Verdachte, geschweige denn zum Einschreiten gegen Kotze vorgelegen; die
thatsächlichen Grundlagen des Prozesses seien eitel Hirngespinste gewesen.
Sehen wir zu, was an diesem Vorwurfe wahres ist. Ich halte es aber
für nötig, auch diesem Teile meiner Ausführungen eine allgemeine Bemerkung
vorauszuschicken.

Herr Leberecht v. Kotze ist von der auf ihm lastenden Anklage nach einer
überaus gründlichen, monatelangen Untersuchung mit allen Ehren freigesprochen
worden. Niemand bezweifelt darnach noch seine Unschuld; für mich, der ich
mir schon im Laufe der Untersuchung auf Grund persönlicher Begegnungen ein
unbefangnes Urteil über seine Persönlichkeit hatte bilden können, hatte seine
Unschuld schon vor dem Spruche des Kriegsgerichts festgestanden. Aber ich
glaube, man darf noch weiter gehen. Der unterscheidende Geschlechtscharakter
des Mannes und des Weibes verleiht auch dein normwidrigen, verbrecherischen
Handeln der beiden Geschlechter gewisse unterscheidende Charakterzüge. Es ist
bekannt, daß die Verbrechensgcschichte fast nur von großen Giftmischerinnen
zu berichten weiß. In diesem kriminalistischen Sinne wird man nicht anstehe",
das Vergehen, um das es sich hier handelt, als ein entschieden feminines zu
bezeichnen. Und wenn man nach dem wenigen, was über den Inhalt der
anonymen Briefe bekannt geworden ist, ein vorsichtiges Urteil über die ver¬
mutlichen Triebfedern der Handlung wagen darf, so möchte unter den Beweg¬
gründen der Schreiberin die Eifersucht auf eine vermeintliche Nebenbuhlerin
keine untergeordnete Rolle gespielt haben.

Niemand wird auch Herrn v. Kotze den Zoll des wärmsten menschlichen
Mitgefühls versagen. Es ist ein namenlos schweres Schicksal, monatelang
unschuldig unter der Last eines so entehrenden Verdachts seufzen zu müssen.
Herr von Kotze hat sich, wie ans allem hervorleuchtet, mit männlicher Würde
in das Unvermeidliche gefügt. Auch ist er nicht der erste, dem so schweres
widerfahren ist. So lange die Richter nicht von dem allgemeinen Lose mensch¬
licher Fehlbarkeit ausgenommen sind, werden auch sie irren, und so erneuert
sich täglich die schmerzliche Erfahrung, daß sich der Verdacht eines Verbrechens
in falsche Bahnen und auf das Haupt eines Unschuldigen lenken kann. Wer
hat sie nicht schon selbst erlebt, die unseligen Verkettungen von Umständen, die
auch den gewissenhaftesten Richter irreleiten können, und wer von uns hat sich
in solchen Fällen nicht schon wie von einem Alp erlöst gefühlt, wenn es zum
Glück noch rechtzeitig gelang, den Irrweg als solchen zu erkennen! Niemand
wird die Justiz deshalb tadeln, weil anch sie nicht unfehlbar ist; der berechtigte
Tadel beginnt erst da, wo sie leichtfertig geirrt hat, wo sie mit fahrlässiger
Verblendung ihre Augen der Wahrheit verschlossen, und wo sie ohne einen nach


Juristische Randbemerkungen zum Fall Kotze

Mangel an Einsicht und offenbarer böser Wille die Hand gereicht hätten, um
in allen Winkeln und Ecken Verdachtsgründe aufzustöbern, die in Wahrheit
völlig wertlos gewesen seien. Es habe, so behauptet er, kein ernsthafter Grund
zu einem Verdachte, geschweige denn zum Einschreiten gegen Kotze vorgelegen; die
thatsächlichen Grundlagen des Prozesses seien eitel Hirngespinste gewesen.
Sehen wir zu, was an diesem Vorwurfe wahres ist. Ich halte es aber
für nötig, auch diesem Teile meiner Ausführungen eine allgemeine Bemerkung
vorauszuschicken.

Herr Leberecht v. Kotze ist von der auf ihm lastenden Anklage nach einer
überaus gründlichen, monatelangen Untersuchung mit allen Ehren freigesprochen
worden. Niemand bezweifelt darnach noch seine Unschuld; für mich, der ich
mir schon im Laufe der Untersuchung auf Grund persönlicher Begegnungen ein
unbefangnes Urteil über seine Persönlichkeit hatte bilden können, hatte seine
Unschuld schon vor dem Spruche des Kriegsgerichts festgestanden. Aber ich
glaube, man darf noch weiter gehen. Der unterscheidende Geschlechtscharakter
des Mannes und des Weibes verleiht auch dein normwidrigen, verbrecherischen
Handeln der beiden Geschlechter gewisse unterscheidende Charakterzüge. Es ist
bekannt, daß die Verbrechensgcschichte fast nur von großen Giftmischerinnen
zu berichten weiß. In diesem kriminalistischen Sinne wird man nicht anstehe»,
das Vergehen, um das es sich hier handelt, als ein entschieden feminines zu
bezeichnen. Und wenn man nach dem wenigen, was über den Inhalt der
anonymen Briefe bekannt geworden ist, ein vorsichtiges Urteil über die ver¬
mutlichen Triebfedern der Handlung wagen darf, so möchte unter den Beweg¬
gründen der Schreiberin die Eifersucht auf eine vermeintliche Nebenbuhlerin
keine untergeordnete Rolle gespielt haben.

Niemand wird auch Herrn v. Kotze den Zoll des wärmsten menschlichen
Mitgefühls versagen. Es ist ein namenlos schweres Schicksal, monatelang
unschuldig unter der Last eines so entehrenden Verdachts seufzen zu müssen.
Herr von Kotze hat sich, wie ans allem hervorleuchtet, mit männlicher Würde
in das Unvermeidliche gefügt. Auch ist er nicht der erste, dem so schweres
widerfahren ist. So lange die Richter nicht von dem allgemeinen Lose mensch¬
licher Fehlbarkeit ausgenommen sind, werden auch sie irren, und so erneuert
sich täglich die schmerzliche Erfahrung, daß sich der Verdacht eines Verbrechens
in falsche Bahnen und auf das Haupt eines Unschuldigen lenken kann. Wer
hat sie nicht schon selbst erlebt, die unseligen Verkettungen von Umständen, die
auch den gewissenhaftesten Richter irreleiten können, und wer von uns hat sich
in solchen Fällen nicht schon wie von einem Alp erlöst gefühlt, wenn es zum
Glück noch rechtzeitig gelang, den Irrweg als solchen zu erkennen! Niemand
wird die Justiz deshalb tadeln, weil anch sie nicht unfehlbar ist; der berechtigte
Tadel beginnt erst da, wo sie leichtfertig geirrt hat, wo sie mit fahrlässiger
Verblendung ihre Augen der Wahrheit verschlossen, und wo sie ohne einen nach


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[0072] Juristische Randbemerkungen zum Fall Kotze Mangel an Einsicht und offenbarer böser Wille die Hand gereicht hätten, um in allen Winkeln und Ecken Verdachtsgründe aufzustöbern, die in Wahrheit völlig wertlos gewesen seien. Es habe, so behauptet er, kein ernsthafter Grund zu einem Verdachte, geschweige denn zum Einschreiten gegen Kotze vorgelegen; die thatsächlichen Grundlagen des Prozesses seien eitel Hirngespinste gewesen. Sehen wir zu, was an diesem Vorwurfe wahres ist. Ich halte es aber für nötig, auch diesem Teile meiner Ausführungen eine allgemeine Bemerkung vorauszuschicken. Herr Leberecht v. Kotze ist von der auf ihm lastenden Anklage nach einer überaus gründlichen, monatelangen Untersuchung mit allen Ehren freigesprochen worden. Niemand bezweifelt darnach noch seine Unschuld; für mich, der ich mir schon im Laufe der Untersuchung auf Grund persönlicher Begegnungen ein unbefangnes Urteil über seine Persönlichkeit hatte bilden können, hatte seine Unschuld schon vor dem Spruche des Kriegsgerichts festgestanden. Aber ich glaube, man darf noch weiter gehen. Der unterscheidende Geschlechtscharakter des Mannes und des Weibes verleiht auch dein normwidrigen, verbrecherischen Handeln der beiden Geschlechter gewisse unterscheidende Charakterzüge. Es ist bekannt, daß die Verbrechensgcschichte fast nur von großen Giftmischerinnen zu berichten weiß. In diesem kriminalistischen Sinne wird man nicht anstehe», das Vergehen, um das es sich hier handelt, als ein entschieden feminines zu bezeichnen. Und wenn man nach dem wenigen, was über den Inhalt der anonymen Briefe bekannt geworden ist, ein vorsichtiges Urteil über die ver¬ mutlichen Triebfedern der Handlung wagen darf, so möchte unter den Beweg¬ gründen der Schreiberin die Eifersucht auf eine vermeintliche Nebenbuhlerin keine untergeordnete Rolle gespielt haben. Niemand wird auch Herrn v. Kotze den Zoll des wärmsten menschlichen Mitgefühls versagen. Es ist ein namenlos schweres Schicksal, monatelang unschuldig unter der Last eines so entehrenden Verdachts seufzen zu müssen. Herr von Kotze hat sich, wie ans allem hervorleuchtet, mit männlicher Würde in das Unvermeidliche gefügt. Auch ist er nicht der erste, dem so schweres widerfahren ist. So lange die Richter nicht von dem allgemeinen Lose mensch¬ licher Fehlbarkeit ausgenommen sind, werden auch sie irren, und so erneuert sich täglich die schmerzliche Erfahrung, daß sich der Verdacht eines Verbrechens in falsche Bahnen und auf das Haupt eines Unschuldigen lenken kann. Wer hat sie nicht schon selbst erlebt, die unseligen Verkettungen von Umständen, die auch den gewissenhaftesten Richter irreleiten können, und wer von uns hat sich in solchen Fällen nicht schon wie von einem Alp erlöst gefühlt, wenn es zum Glück noch rechtzeitig gelang, den Irrweg als solchen zu erkennen! Niemand wird die Justiz deshalb tadeln, weil anch sie nicht unfehlbar ist; der berechtigte Tadel beginnt erst da, wo sie leichtfertig geirrt hat, wo sie mit fahrlässiger Verblendung ihre Augen der Wahrheit verschlossen, und wo sie ohne einen nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/72>, abgerufen am 08.01.2025.