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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Großen und die Kleinen

Kaufmann. Wenn "die Zeit mithilft," sehen wir mitunter diese "Kleinen" zu
Hausbesitzern aufsteigen.

Daß auf dem Lande der Kleinbesitz am widerstandsfähigsten ist. ist ge¬
nügend bekannt. Auch hier ist es das Einsetzen der eignen Arbeitskraft im
persönlichen Interesse, das Ersparen fremder Arbeitskräfte, die Gewohnheit
einer bescheidnen Lebensweise, was die größere Widerstandskraft begründet.
Auch hierbei kommt das Steigen der Arbeitslöhne dem kleinen Unternehmer
zu gute. Der fleißige Landarbeiter kann sich bei den heutigen Löhnen schon in
der Jugend etwas erübrigen, kann sich dann einen kleinen Besitz kaufen, der
ihm und seiner Familie einen Teil des Lebensunterhalts gewährt, aber nicht
seine volle Arbeitskraft in Anspruch nimmt, sodaß er diese noch anderweit
verwenden kann. Diese kleinen Besitzer sind oft besser als die größern im¬
stande, Schulden abzutragen und allmählich ein kleines Vermögen zu erwerben,
weil ihre Betriebskosten äußerst gering sind, und weil die Familie mit ver¬
dienen hilft. Daß sich ein solcher "Kätner" zum Bauer emporarbeitet, mag
in dieser mißlichen Zeit nicht allzu oft vorkommen, weil auch die hierzu ge¬
hörende Thatkraft selten ist, aber es kommt doch vor in den Gegenden, wo
Gelegenheit zum Ankauf kleiner Grundstücke geboten ist.

Auf die Stärkung dieser Macht der Kleinen hinzuarbeiten, ist wahre
Sozialpolitik. Und das soll nicht bloß ans dem Gebiet des ländlichen Grund¬
besitzes geschehen; auf industriellem Gebiet ist die Aufgabe eben so dringend,
ja noch dringender. Es soll nicht bestritten werden, daß in unserm heutigen
wirtschaftlichen Leben der Zug zum Großen vielfach bedrohlich und ängstigend
auftritt. Die Zusammenballung des Kapitals zu großen Vermögen, die Ver¬
drängung kleinerer Unternehmungen durch große monopolartige Wirtschafts¬
gebilde, das alles ist in sozialpolitischer Hinsicht ungünstig. So weit dem in
verständiger Weise entgegengewirkt werden kann, ist es zu billigen. Aber man
hat noch keine wirksamen Mittel gefunden, die Macht der Großen zu brechen.
Jedenfalls darf dieses Bestreben nicht dazu führen, die Grundlagen unsers
heutige" Wirtschaftslebens zu untergraben und die Kleinen mit den Großen
zu vernichten. Die Heilmittel, die heute zur Hebung des Wirtschaftslebens
empfohlen werden und teilweise auch schon seit längerer Zeit angewandt worden
sind, dienen nicht dazu, den Kleinen aufzuhelfen. Schutzzölle verteuern den
Lebensunterhalt, schädigen die Interessen des kleinen Mannes und stärken die
Macht des Großunternehmers, der Großgrundbesitz wird durch die agrarische
Politik künstlich aufrecht erhallen, aus eigner Kraft kann er sich unter den
veränderten Wirtschaftsverhältnissen der Neuzeit nicht erhalten. Wie könnte
aber die ihm gewährte Unterstützung aus sozialpolitischen Erwägungen gerecht¬
fertigt werden? Die Gegenden des Großgrundbesitzes sind es, wo die Lage
der "Kleinen" am meisten zu wünschen übrig läßt, wo ihnen keine Gelegenheit
zur Erwerbung eignen Besitzes geboten ist, von wo sie massenhaft fortziehen.


Die Großen und die Kleinen

Kaufmann. Wenn „die Zeit mithilft," sehen wir mitunter diese „Kleinen" zu
Hausbesitzern aufsteigen.

Daß auf dem Lande der Kleinbesitz am widerstandsfähigsten ist. ist ge¬
nügend bekannt. Auch hier ist es das Einsetzen der eignen Arbeitskraft im
persönlichen Interesse, das Ersparen fremder Arbeitskräfte, die Gewohnheit
einer bescheidnen Lebensweise, was die größere Widerstandskraft begründet.
Auch hierbei kommt das Steigen der Arbeitslöhne dem kleinen Unternehmer
zu gute. Der fleißige Landarbeiter kann sich bei den heutigen Löhnen schon in
der Jugend etwas erübrigen, kann sich dann einen kleinen Besitz kaufen, der
ihm und seiner Familie einen Teil des Lebensunterhalts gewährt, aber nicht
seine volle Arbeitskraft in Anspruch nimmt, sodaß er diese noch anderweit
verwenden kann. Diese kleinen Besitzer sind oft besser als die größern im¬
stande, Schulden abzutragen und allmählich ein kleines Vermögen zu erwerben,
weil ihre Betriebskosten äußerst gering sind, und weil die Familie mit ver¬
dienen hilft. Daß sich ein solcher „Kätner" zum Bauer emporarbeitet, mag
in dieser mißlichen Zeit nicht allzu oft vorkommen, weil auch die hierzu ge¬
hörende Thatkraft selten ist, aber es kommt doch vor in den Gegenden, wo
Gelegenheit zum Ankauf kleiner Grundstücke geboten ist.

Auf die Stärkung dieser Macht der Kleinen hinzuarbeiten, ist wahre
Sozialpolitik. Und das soll nicht bloß ans dem Gebiet des ländlichen Grund¬
besitzes geschehen; auf industriellem Gebiet ist die Aufgabe eben so dringend,
ja noch dringender. Es soll nicht bestritten werden, daß in unserm heutigen
wirtschaftlichen Leben der Zug zum Großen vielfach bedrohlich und ängstigend
auftritt. Die Zusammenballung des Kapitals zu großen Vermögen, die Ver¬
drängung kleinerer Unternehmungen durch große monopolartige Wirtschafts¬
gebilde, das alles ist in sozialpolitischer Hinsicht ungünstig. So weit dem in
verständiger Weise entgegengewirkt werden kann, ist es zu billigen. Aber man
hat noch keine wirksamen Mittel gefunden, die Macht der Großen zu brechen.
Jedenfalls darf dieses Bestreben nicht dazu führen, die Grundlagen unsers
heutige» Wirtschaftslebens zu untergraben und die Kleinen mit den Großen
zu vernichten. Die Heilmittel, die heute zur Hebung des Wirtschaftslebens
empfohlen werden und teilweise auch schon seit längerer Zeit angewandt worden
sind, dienen nicht dazu, den Kleinen aufzuhelfen. Schutzzölle verteuern den
Lebensunterhalt, schädigen die Interessen des kleinen Mannes und stärken die
Macht des Großunternehmers, der Großgrundbesitz wird durch die agrarische
Politik künstlich aufrecht erhallen, aus eigner Kraft kann er sich unter den
veränderten Wirtschaftsverhältnissen der Neuzeit nicht erhalten. Wie könnte
aber die ihm gewährte Unterstützung aus sozialpolitischen Erwägungen gerecht¬
fertigt werden? Die Gegenden des Großgrundbesitzes sind es, wo die Lage
der „Kleinen" am meisten zu wünschen übrig läßt, wo ihnen keine Gelegenheit
zur Erwerbung eignen Besitzes geboten ist, von wo sie massenhaft fortziehen.


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[0067] Die Großen und die Kleinen Kaufmann. Wenn „die Zeit mithilft," sehen wir mitunter diese „Kleinen" zu Hausbesitzern aufsteigen. Daß auf dem Lande der Kleinbesitz am widerstandsfähigsten ist. ist ge¬ nügend bekannt. Auch hier ist es das Einsetzen der eignen Arbeitskraft im persönlichen Interesse, das Ersparen fremder Arbeitskräfte, die Gewohnheit einer bescheidnen Lebensweise, was die größere Widerstandskraft begründet. Auch hierbei kommt das Steigen der Arbeitslöhne dem kleinen Unternehmer zu gute. Der fleißige Landarbeiter kann sich bei den heutigen Löhnen schon in der Jugend etwas erübrigen, kann sich dann einen kleinen Besitz kaufen, der ihm und seiner Familie einen Teil des Lebensunterhalts gewährt, aber nicht seine volle Arbeitskraft in Anspruch nimmt, sodaß er diese noch anderweit verwenden kann. Diese kleinen Besitzer sind oft besser als die größern im¬ stande, Schulden abzutragen und allmählich ein kleines Vermögen zu erwerben, weil ihre Betriebskosten äußerst gering sind, und weil die Familie mit ver¬ dienen hilft. Daß sich ein solcher „Kätner" zum Bauer emporarbeitet, mag in dieser mißlichen Zeit nicht allzu oft vorkommen, weil auch die hierzu ge¬ hörende Thatkraft selten ist, aber es kommt doch vor in den Gegenden, wo Gelegenheit zum Ankauf kleiner Grundstücke geboten ist. Auf die Stärkung dieser Macht der Kleinen hinzuarbeiten, ist wahre Sozialpolitik. Und das soll nicht bloß ans dem Gebiet des ländlichen Grund¬ besitzes geschehen; auf industriellem Gebiet ist die Aufgabe eben so dringend, ja noch dringender. Es soll nicht bestritten werden, daß in unserm heutigen wirtschaftlichen Leben der Zug zum Großen vielfach bedrohlich und ängstigend auftritt. Die Zusammenballung des Kapitals zu großen Vermögen, die Ver¬ drängung kleinerer Unternehmungen durch große monopolartige Wirtschafts¬ gebilde, das alles ist in sozialpolitischer Hinsicht ungünstig. So weit dem in verständiger Weise entgegengewirkt werden kann, ist es zu billigen. Aber man hat noch keine wirksamen Mittel gefunden, die Macht der Großen zu brechen. Jedenfalls darf dieses Bestreben nicht dazu führen, die Grundlagen unsers heutige» Wirtschaftslebens zu untergraben und die Kleinen mit den Großen zu vernichten. Die Heilmittel, die heute zur Hebung des Wirtschaftslebens empfohlen werden und teilweise auch schon seit längerer Zeit angewandt worden sind, dienen nicht dazu, den Kleinen aufzuhelfen. Schutzzölle verteuern den Lebensunterhalt, schädigen die Interessen des kleinen Mannes und stärken die Macht des Großunternehmers, der Großgrundbesitz wird durch die agrarische Politik künstlich aufrecht erhallen, aus eigner Kraft kann er sich unter den veränderten Wirtschaftsverhältnissen der Neuzeit nicht erhalten. Wie könnte aber die ihm gewährte Unterstützung aus sozialpolitischen Erwägungen gerecht¬ fertigt werden? Die Gegenden des Großgrundbesitzes sind es, wo die Lage der „Kleinen" am meisten zu wünschen übrig läßt, wo ihnen keine Gelegenheit zur Erwerbung eignen Besitzes geboten ist, von wo sie massenhaft fortziehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/67>, abgerufen am 08.01.2025.