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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands Seemacht

Weltstellung durch die Seemacht begründet und die drei ersten sie dann durch
den Verlust dieser Macht wieder verloren haben. Am ausführlichsten verweilt
der Verfasser natürlich bei England. Auf tiefern Studien beruht der ganze
Abschnitt nicht, doch ist er ohne wesentliche Irrtümer und erfüllt seinen Zweck.
Von dem antiken Seewesen wissen wir übrigens doch mit Sicherheit etwas
mehr, als der Verfasser, offenbar unter dem Eindrucke der scharfen und ver¬
wickelten Kontroversen über diesen Gegenstand, zugeben will; namentlich, daß
die antiken Trierer und Penteren mehrere Reihen Ruderer (nicht Decke) über¬
einander gehabt haben, geht unzweifelhaft aus Denkmälern und Nachrichten
hervor. Vielleicht ist es dem Verfasser bei einer neuen Auflage, die hoffentlich
uicht ausbleiben wird, möglich, einmal mit einem Philologen, der die Über¬
lieferung genan kennt, die Sache eingehend zu erörtern. Auch vom byzanti¬
nischen Seewesen, dem wichtigsten des ganzen Mittelalters vor dem Auftreten
der Italiener, läßt sich ein leidliches Bild gewinnen. Im zweiten Abschnitt:
"Spuren deutscher Seemacht und deutscher Ohnmacht zur See" steht Wislicenus
auf einem ihm völlig vertraute" Boden. Nach einer Schilderung der mittel¬
alterlichen, namentlich der hansischen Seemacht und ihres Verfalls, der Deutsch¬
land für immer um seinen Anteil an der neuen Welt und für Jahrhunderte
um jede wirtschaftliche Selbständigkeit gebracht hat, behandelt er ausführlich
die maritimen Bestrebungen des Großen Kurfürsten, sowie die Anfänge der
Preußisch-deutschen Kriegsmarine bis 1871, wobei er nachdrücklich und mit
vollem Recht hervorhebt, daß nur der Mangel einer starken deutschen Flotte
den Franzosen die Wafsenzufuhren aus "neutralen" Ländern und also die
Fortführung des Krieges nach sedem ermöglichte, daß uns also die Schwäche
unsrer Flotte recht derer zu stehen gekommen ist. Der dritte Abschnitt:
"Die Thätigkeit der deutschen Kriegsflotte seit der Wiederherstellung des Reichs"
ist halb historisch, halb erörternd und polemisirend. Eingehend wird geschildert,
wie unsre Flotte bei der Erwerbung unsrer Kolonien, bei ihrem Schutze und
bei der Sicherung der deutschen Interessen im Auslande jederzeit eingetreten ist;
es wird aber auch ihre Entwicklung bis auf die einzelnen Schiffsbauten er¬
läutert und beleuchtet. Der Verfasser tadelt an dem Flottengründungsplan
von 1873 ebenso wie an der Denkschrift von 1883, daß man immer nur von
ewer Küstenverteidigungsflotte geredet habe, statt eine Angrifssflotte zu schaffen,
die allein, wie schon Prinz Adalbert erkannt und betont hatte, imstande ist,
die See für unsre Aus- und Einfuhr frei zu halten, unsern Handel zu schützen
und den feindlichen zu schädigen, die allein auch, wie Wislicenus wohl zum
erstenmale ausführt, uns erst bündnisfühig macht, da wo es sich um über¬
seeische Interessen handelt, und um solche wird es sich, darüber ist keine
Täuschung möglich, bei jedem künftigen Kriege noch weit mehr handeln als
bisher. Sodann weist er nach, daß gegenwärtig noch nicht einmal der Flotten-
grüudungsplan von 1873 ausgeführt ist, denn von den damals geplanten


Deutschlands Seemacht

Weltstellung durch die Seemacht begründet und die drei ersten sie dann durch
den Verlust dieser Macht wieder verloren haben. Am ausführlichsten verweilt
der Verfasser natürlich bei England. Auf tiefern Studien beruht der ganze
Abschnitt nicht, doch ist er ohne wesentliche Irrtümer und erfüllt seinen Zweck.
Von dem antiken Seewesen wissen wir übrigens doch mit Sicherheit etwas
mehr, als der Verfasser, offenbar unter dem Eindrucke der scharfen und ver¬
wickelten Kontroversen über diesen Gegenstand, zugeben will; namentlich, daß
die antiken Trierer und Penteren mehrere Reihen Ruderer (nicht Decke) über¬
einander gehabt haben, geht unzweifelhaft aus Denkmälern und Nachrichten
hervor. Vielleicht ist es dem Verfasser bei einer neuen Auflage, die hoffentlich
uicht ausbleiben wird, möglich, einmal mit einem Philologen, der die Über¬
lieferung genan kennt, die Sache eingehend zu erörtern. Auch vom byzanti¬
nischen Seewesen, dem wichtigsten des ganzen Mittelalters vor dem Auftreten
der Italiener, läßt sich ein leidliches Bild gewinnen. Im zweiten Abschnitt:
«Spuren deutscher Seemacht und deutscher Ohnmacht zur See" steht Wislicenus
auf einem ihm völlig vertraute» Boden. Nach einer Schilderung der mittel¬
alterlichen, namentlich der hansischen Seemacht und ihres Verfalls, der Deutsch¬
land für immer um seinen Anteil an der neuen Welt und für Jahrhunderte
um jede wirtschaftliche Selbständigkeit gebracht hat, behandelt er ausführlich
die maritimen Bestrebungen des Großen Kurfürsten, sowie die Anfänge der
Preußisch-deutschen Kriegsmarine bis 1871, wobei er nachdrücklich und mit
vollem Recht hervorhebt, daß nur der Mangel einer starken deutschen Flotte
den Franzosen die Wafsenzufuhren aus „neutralen" Ländern und also die
Fortführung des Krieges nach sedem ermöglichte, daß uns also die Schwäche
unsrer Flotte recht derer zu stehen gekommen ist. Der dritte Abschnitt:
»Die Thätigkeit der deutschen Kriegsflotte seit der Wiederherstellung des Reichs"
ist halb historisch, halb erörternd und polemisirend. Eingehend wird geschildert,
wie unsre Flotte bei der Erwerbung unsrer Kolonien, bei ihrem Schutze und
bei der Sicherung der deutschen Interessen im Auslande jederzeit eingetreten ist;
es wird aber auch ihre Entwicklung bis auf die einzelnen Schiffsbauten er¬
läutert und beleuchtet. Der Verfasser tadelt an dem Flottengründungsplan
von 1873 ebenso wie an der Denkschrift von 1883, daß man immer nur von
ewer Küstenverteidigungsflotte geredet habe, statt eine Angrifssflotte zu schaffen,
die allein, wie schon Prinz Adalbert erkannt und betont hatte, imstande ist,
die See für unsre Aus- und Einfuhr frei zu halten, unsern Handel zu schützen
und den feindlichen zu schädigen, die allein auch, wie Wislicenus wohl zum
erstenmale ausführt, uns erst bündnisfühig macht, da wo es sich um über¬
seeische Interessen handelt, und um solche wird es sich, darüber ist keine
Täuschung möglich, bei jedem künftigen Kriege noch weit mehr handeln als
bisher. Sodann weist er nach, daß gegenwärtig noch nicht einmal der Flotten-
grüudungsplan von 1873 ausgeführt ist, denn von den damals geplanten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/547>, abgerufen am 08.01.2025.