Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien die Mariam Tegner vor sechs Jahren ein Buch veröffentlicht hat. Die nach Es ist schon davon die Rede gewesen, wie sich ein Erklärer ohne Gefahr Der Hauptfehler ist, daß er Beethoven schlechtweg als die höchste Spitze Das ist auch bei Grove der Fall, im hohen Grade beim Zitiren,
Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien die Mariam Tegner vor sechs Jahren ein Buch veröffentlicht hat. Die nach Es ist schon davon die Rede gewesen, wie sich ein Erklärer ohne Gefahr Der Hauptfehler ist, daß er Beethoven schlechtweg als die höchste Spitze Das ist auch bei Grove der Fall, im hohen Grade beim Zitiren,
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223638"/> <fw type="header" place="top"> Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien</fw><lb/> <p xml:id="ID_140" prev="#ID_139"> die Mariam Tegner vor sechs Jahren ein Buch veröffentlicht hat. Die nach<lb/> ihr von Grove mitgeteilten zwei Liebesbriefe Beethovens stimmen aber einen sehr<lb/> unglücklichen Ton an. Den Versuch Groves dagegen, auch in der Thematik<lb/> des ersten Satzes der O-woll-Sinfonie eine durch die Biographen berichtete<lb/> Szene zwischen „ihm" und „ihr" nachweisen zu wollen, wird man wohl zu<lb/> den Akten legen.</p><lb/> <p xml:id="ID_141"> Es ist schon davon die Rede gewesen, wie sich ein Erklärer ohne Gefahr<lb/> für sich und andre den Ideen einer Jnstrumentalkomposition gegenüber stellen<lb/> soll. N. B. Marx hat in seiner Biographie Beethovens diese Aufgabe mehr¬<lb/> mals musterhaft gelöst, und es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, daß<lb/> dieser begabte und verdienstvolle Musikgelehrte, der leider wissenschaftlich sehr<lb/> oft anfechtbar^) ist, bei der heutigen Zunft und auch bei Grove gar nichts<lb/> gilt. Grove ist diesem Teil der Aufgabe nicht genügend gewachsen. Dafür<lb/> bringt namentlich die Analyse der Eroica die schlagendsten Beweise. Wie<lb/> Beethoven hier das Heroische darstellen wollte, das zeigt das Hauptthema des<lb/> ersten Satzes, das in seinen zwei Hälften die Kraft und das Leid des ganzen<lb/> Werkes zusammengedrängt enthält. Niemand ahnt aus dieser Beschreibung<lb/> das Große und Neue dieses ersten Satzes, die Kühnheit der Anlage, das Zu¬<lb/> kunftselement in der Behandlung der Form, vor allein aber die Folgerichtig¬<lb/> keit und Lebenswahrheit der Gedankenentwicklung. Für den fast ungeheuer¬<lb/> lichen und auch von Beethoven nie wieder aufgenommnen Versuch, die Durch¬<lb/> führung in einen Doppelgipfel enden zu lassen, hat Grove kein Wort. Auch sonst<lb/> begegnet es ihm häufig genug, daß er die wesentlichsten Dinge im Ideengang<lb/> übersieht; zwei Hauptbeispiele finden sich in seiner Erklärung des Finale der<lb/> achten Sinfonie. Daß sich der Verfasser bei seiner Aufgabe als Musiker<lb/> stark übernommen hat, darf ohne Bedenken gesagt werden, weil noch genug<lb/> übrig bleibt, wodurch das Buch andern Dilettanten nützen kann. Noch un¬<lb/> bedenklicher darf auf die zum Teil falsche geschichtliche Auffassung hingewiesen<lb/> werden, die von Grove gelehrt wird, weil er dabei nicht die eigne Haut zu<lb/> Markte trägt, sondern nur allgemein verbreitete Meinungen wiedergiebt.</p><lb/> <p xml:id="ID_142" next="#ID_143"> Der Hauptfehler ist, daß er Beethoven schlechtweg als die höchste Spitze<lb/> musikalischer Kunst ansieht und von ihm den Maßstab nimmt, nach dem frühere<lb/> und spätere Meister zu .richten seien. Diese Superlativverleihung läßt sich nicht<lb/> durchführen, und wer mit Grove behauptet, erst Beethoven habe die Musik<lb/> von der Technik unabhängig gemacht, zur freien Kunst erhoben, der versteht<lb/> die Alten nicht. Zu derselben Zeit, wo das Buch von Grove erschien, schrieb<lb/> ein andrer Engländer einen Artikel über S. Bach. Bei ihm ist Bach der<lb/> größte Komponist, und noch nicht lange ist es her, da war in Deutschland<lb/> sür die musikalische Mehrheit Mozart der Größte. Denkt man sich die Reihe</p><lb/> <note xml:id="FID_13" place="foot"> Das ist auch bei Grove der Fall, im hohen Grade beim Zitiren,</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien
die Mariam Tegner vor sechs Jahren ein Buch veröffentlicht hat. Die nach
ihr von Grove mitgeteilten zwei Liebesbriefe Beethovens stimmen aber einen sehr
unglücklichen Ton an. Den Versuch Groves dagegen, auch in der Thematik
des ersten Satzes der O-woll-Sinfonie eine durch die Biographen berichtete
Szene zwischen „ihm" und „ihr" nachweisen zu wollen, wird man wohl zu
den Akten legen.
Es ist schon davon die Rede gewesen, wie sich ein Erklärer ohne Gefahr
für sich und andre den Ideen einer Jnstrumentalkomposition gegenüber stellen
soll. N. B. Marx hat in seiner Biographie Beethovens diese Aufgabe mehr¬
mals musterhaft gelöst, und es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, daß
dieser begabte und verdienstvolle Musikgelehrte, der leider wissenschaftlich sehr
oft anfechtbar^) ist, bei der heutigen Zunft und auch bei Grove gar nichts
gilt. Grove ist diesem Teil der Aufgabe nicht genügend gewachsen. Dafür
bringt namentlich die Analyse der Eroica die schlagendsten Beweise. Wie
Beethoven hier das Heroische darstellen wollte, das zeigt das Hauptthema des
ersten Satzes, das in seinen zwei Hälften die Kraft und das Leid des ganzen
Werkes zusammengedrängt enthält. Niemand ahnt aus dieser Beschreibung
das Große und Neue dieses ersten Satzes, die Kühnheit der Anlage, das Zu¬
kunftselement in der Behandlung der Form, vor allein aber die Folgerichtig¬
keit und Lebenswahrheit der Gedankenentwicklung. Für den fast ungeheuer¬
lichen und auch von Beethoven nie wieder aufgenommnen Versuch, die Durch¬
führung in einen Doppelgipfel enden zu lassen, hat Grove kein Wort. Auch sonst
begegnet es ihm häufig genug, daß er die wesentlichsten Dinge im Ideengang
übersieht; zwei Hauptbeispiele finden sich in seiner Erklärung des Finale der
achten Sinfonie. Daß sich der Verfasser bei seiner Aufgabe als Musiker
stark übernommen hat, darf ohne Bedenken gesagt werden, weil noch genug
übrig bleibt, wodurch das Buch andern Dilettanten nützen kann. Noch un¬
bedenklicher darf auf die zum Teil falsche geschichtliche Auffassung hingewiesen
werden, die von Grove gelehrt wird, weil er dabei nicht die eigne Haut zu
Markte trägt, sondern nur allgemein verbreitete Meinungen wiedergiebt.
Der Hauptfehler ist, daß er Beethoven schlechtweg als die höchste Spitze
musikalischer Kunst ansieht und von ihm den Maßstab nimmt, nach dem frühere
und spätere Meister zu .richten seien. Diese Superlativverleihung läßt sich nicht
durchführen, und wer mit Grove behauptet, erst Beethoven habe die Musik
von der Technik unabhängig gemacht, zur freien Kunst erhoben, der versteht
die Alten nicht. Zu derselben Zeit, wo das Buch von Grove erschien, schrieb
ein andrer Engländer einen Artikel über S. Bach. Bei ihm ist Bach der
größte Komponist, und noch nicht lange ist es her, da war in Deutschland
sür die musikalische Mehrheit Mozart der Größte. Denkt man sich die Reihe
Das ist auch bei Grove der Fall, im hohen Grade beim Zitiren,
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