Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien Launen mißbraucht werden kann. Im Grunde ist sie aber auf dem richtigen Daß Grove soviel von den Skizzenbüchern spricht, die natürlich auch von Die Aufgabe, den Lesern den poetischen Inhalt der Sinfonien klar zu ^) Felix Weingärtner, Über das Dirigiren. Berlin, **) A. Ehrlich, Berühmte Klavierspieler. Leipzig, 18S4. Der Verfassername ist jeden¬
falls unehrlich, pscudonvm. Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien Launen mißbraucht werden kann. Im Grunde ist sie aber auf dem richtigen Daß Grove soviel von den Skizzenbüchern spricht, die natürlich auch von Die Aufgabe, den Lesern den poetischen Inhalt der Sinfonien klar zu ^) Felix Weingärtner, Über das Dirigiren. Berlin, **) A. Ehrlich, Berühmte Klavierspieler. Leipzig, 18S4. Der Verfassername ist jeden¬
falls unehrlich, pscudonvm. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0053" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223637"/> <fw type="header" place="top"> Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien</fw><lb/> <p xml:id="ID_137" prev="#ID_136"> Launen mißbraucht werden kann. Im Grunde ist sie aber auf dem richtigen<lb/> Wege. Noch heute verzichtet kein Virtuos auf das sogenannte rud^to, auch<lb/> Joseph Joachim nicht. In der altern Zeit aber, bis ins sechzehnte Jahrhundert<lb/> zurück, war es das A und O der Vortragskunst; noch in der Violinschule<lb/> Leopold Mozarts finden sich davon die Spuren. Hugo Riemanns Agogik macht<lb/> den dankenswerten Versuch, die Naturgesetze des Vortrags wieder ins allgemeine<lb/> Bewußtsein zu bringen, auch Lußy, Bülow, Klauwell u. a. haben Bausteine zu<lb/> einem neuen System herbeigetragen. Notwendig erscheint uns, was Beethoven<lb/> betrifft, eine Arbeit, die die Vortragsregeln des achtzehnten Jahrhunderts neu be¬<lb/> lebt. Bis sie vorliegt, kann mir zu einer ruhigen Behandlung der Streitfrage ge-,<lb/> raten werden. Ausfälle, wie sie Felix Weingärtner") gegen die „Nnbato-<lb/> dirigenten," unter die er ja selbst gehört, gemacht hat, sind ebenso nichtig wie<lb/> der Mas des etwas ärmlichen, aber sehr dreisten A. Ehrlich, der Hans v. Bülow<lb/> die Tempofreiheit erlaubt, sie aber den eins minorurir Asntium verbietet."") Es<lb/> thut uns leid, Georg Grove sich dieser Gesellschaft nähern zu sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_138"> Daß Grove soviel von den Skizzenbüchern spricht, die natürlich auch von<lb/> andern neuern Erklärern Beethovens schon benutzt und angeführt worden sind,<lb/> hat hoffentlich das Gute, daß sich unsre Musiker und Musikfreunde zahlreicher und<lb/> eifriger als bisher dem Genuß der Nottebohmschen Arbeiten hingeben werden.<lb/> Man kann aus Quellenwerken viel oder wenig, man kann auch ganz falsches<lb/> herauslesen. Dahin wird die Grovesche Ansicht zu rechnen sein, daß Beethovens<lb/> musikalische Eingebungen erst durch unablässiges Feilen und Andern ihren<lb/> Charakter erhalten hätten. Nein, die Skizzenbücher ergeben, daß ihm der<lb/> Charakter des Ganzen und der einzelnen Teile, wie in einer Vision empfangen,<lb/> feststand. Beim ersten Entwurf deutet er ihn, mit den rohesten Linien zwar,<lb/> aber doch deutlich genug an. Die weitere Arbeit galt dann dem richtigen und<lb/> schönsten musikalischen Ausdruck für das seinem Geiste vorschwebende Ideal.</p><lb/> <p xml:id="ID_139" next="#ID_140"> Die Aufgabe, den Lesern den poetischen Inhalt der Sinfonien klar zu<lb/> machen, löst Grove auf Grund der heute wohl allgemein angenommnen Ansicht,<lb/> daß diese Sinfonien Gelegenheitsdichtungen im Goethischen Sinne, Bilder aus<lb/> dem Seelenleben eines außerordentlichen Menschen sein. Die Engländer lieben<lb/> es mehr als andre Völker, in Kunstwerken nach menschlichen Zügen des<lb/> Künstlers zu suchen. Daher kommt es wahrscheinlich, daß Grove die vierte<lb/> und fünfte Sinfonie mit dem Liebesleben Beethovens in engere Beziehungen<lb/> bringt, als es die Musik sowohl als die Ergebnisse der Beethovenforschung<lb/> gestatten. Nach ihm dürfte man die L-aur-Sinfonie ruhig als Beethovens<lb/> Brautsinsonie bezeichnen. Es mag sein, daß ein Teil der seligen Gefühle,<lb/> die aus diesem Werke herausklingen, der „unsterblichen Geliebten" gelten, über</p><lb/> <note xml:id="FID_11" place="foot"> ^) Felix Weingärtner, Über das Dirigiren. Berlin,</note><lb/> <note xml:id="FID_12" place="foot"> **) A. Ehrlich, Berühmte Klavierspieler. Leipzig, 18S4. Der Verfassername ist jeden¬<lb/> falls unehrlich, pscudonvm.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0053]
Gin neues Buch über Beethoven und seine Sinfonien
Launen mißbraucht werden kann. Im Grunde ist sie aber auf dem richtigen
Wege. Noch heute verzichtet kein Virtuos auf das sogenannte rud^to, auch
Joseph Joachim nicht. In der altern Zeit aber, bis ins sechzehnte Jahrhundert
zurück, war es das A und O der Vortragskunst; noch in der Violinschule
Leopold Mozarts finden sich davon die Spuren. Hugo Riemanns Agogik macht
den dankenswerten Versuch, die Naturgesetze des Vortrags wieder ins allgemeine
Bewußtsein zu bringen, auch Lußy, Bülow, Klauwell u. a. haben Bausteine zu
einem neuen System herbeigetragen. Notwendig erscheint uns, was Beethoven
betrifft, eine Arbeit, die die Vortragsregeln des achtzehnten Jahrhunderts neu be¬
lebt. Bis sie vorliegt, kann mir zu einer ruhigen Behandlung der Streitfrage ge-,
raten werden. Ausfälle, wie sie Felix Weingärtner") gegen die „Nnbato-
dirigenten," unter die er ja selbst gehört, gemacht hat, sind ebenso nichtig wie
der Mas des etwas ärmlichen, aber sehr dreisten A. Ehrlich, der Hans v. Bülow
die Tempofreiheit erlaubt, sie aber den eins minorurir Asntium verbietet."") Es
thut uns leid, Georg Grove sich dieser Gesellschaft nähern zu sehen.
Daß Grove soviel von den Skizzenbüchern spricht, die natürlich auch von
andern neuern Erklärern Beethovens schon benutzt und angeführt worden sind,
hat hoffentlich das Gute, daß sich unsre Musiker und Musikfreunde zahlreicher und
eifriger als bisher dem Genuß der Nottebohmschen Arbeiten hingeben werden.
Man kann aus Quellenwerken viel oder wenig, man kann auch ganz falsches
herauslesen. Dahin wird die Grovesche Ansicht zu rechnen sein, daß Beethovens
musikalische Eingebungen erst durch unablässiges Feilen und Andern ihren
Charakter erhalten hätten. Nein, die Skizzenbücher ergeben, daß ihm der
Charakter des Ganzen und der einzelnen Teile, wie in einer Vision empfangen,
feststand. Beim ersten Entwurf deutet er ihn, mit den rohesten Linien zwar,
aber doch deutlich genug an. Die weitere Arbeit galt dann dem richtigen und
schönsten musikalischen Ausdruck für das seinem Geiste vorschwebende Ideal.
Die Aufgabe, den Lesern den poetischen Inhalt der Sinfonien klar zu
machen, löst Grove auf Grund der heute wohl allgemein angenommnen Ansicht,
daß diese Sinfonien Gelegenheitsdichtungen im Goethischen Sinne, Bilder aus
dem Seelenleben eines außerordentlichen Menschen sein. Die Engländer lieben
es mehr als andre Völker, in Kunstwerken nach menschlichen Zügen des
Künstlers zu suchen. Daher kommt es wahrscheinlich, daß Grove die vierte
und fünfte Sinfonie mit dem Liebesleben Beethovens in engere Beziehungen
bringt, als es die Musik sowohl als die Ergebnisse der Beethovenforschung
gestatten. Nach ihm dürfte man die L-aur-Sinfonie ruhig als Beethovens
Brautsinsonie bezeichnen. Es mag sein, daß ein Teil der seligen Gefühle,
die aus diesem Werke herausklingen, der „unsterblichen Geliebten" gelten, über
^) Felix Weingärtner, Über das Dirigiren. Berlin,
**) A. Ehrlich, Berühmte Klavierspieler. Leipzig, 18S4. Der Verfassername ist jeden¬
falls unehrlich, pscudonvm.
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