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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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dreißig Schilling gestiegen." Das würde in Deutschland, wo in diesem Zeit¬
raume die Beamtenbesoldungen auf das doppelte und dreifache erhöht worden
sind, eine sehr armselige Einkommenerhöhung sein. In England bedeutet sie
ja mehr, weil dort in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts die Lebensmittel
sehr teuer waren, heute aber billiger sind als bei uus. In dem Resümee über
die Gruppe: Eisenindustrie, Schiffsbau und Verwandtes heißt es u. a.: "Der
8eg.iuig.rei ok ins der Arbeiter dieser Gruppe scheint zum Teil, d. h. für die
Maschinenbauer befriedigend zu sein. Aber auch das ist das Resultat sehr vieler
und sehr harter Kämpfe. Ohne die Gewerkvereine wäre er jedenfalls niedriger.
Bemerkenswert ist die hier und dort beginnende Selbsthilfe der Arbeiter
durch korporative Schöpfungen. Große Massen von Arbeiter,? in dieser
Gruppe sind arbeitslos oder in unregelmäßiger Beschäftigung." Sehr inter¬
essant ist das Schlußurteil über die Gruppe: Wassertransport. "Für die ge¬
lernte Arbeit dieser Gruppe, also Schiffahrt und Takelagearbeit, ist in Hinsicht
der Vergütung der geleisteten Arbeit seit den fünfziger Jahren mit vielen
Schwankungen und unter hartem Kampf dank den Arbeiterverbändeu eine an¬
sehnliche Besserung zustande gekommen. Die Arbeitszeit dagegen hat, besonders
sür die Dock- und Quaiarbeiter, keine namhafte Verkürzung erfahren; ferner
ist zu bemerke", daß die Überzeit fortdauernd eine gewöhnliche, aber traurige
Erscheinung bildet; endlich daß gerade in dieser Gruppe für die ganze Zeit der
Beobachtung unregelmäßige und unterbrochne Beschäftigung nachgewiesen wird.
Nicht zu übersehen ist ferner der Umstand, daß über ungenügende Sicherung
gegen gesundheits- und lebensgefährliche Einflüsse und gegen Unfälle immer
geklagt wird. Hier hat keine große Besserung stattgefunden. Endlich tritt
die Thatsache hervor, daß die Unfallstatistik nicht die Unfälle als die Aus¬
nahme oder als durch die toros rü^puro veranlaßt darstellt, vielmehr ergiebt
sich, daß die Gewinnsucht der Unternehmer und die mangelhafte Inspektion
schuld sind, indem Schiffe ungenügend bemannt werden können, und dies auch
gewöhnlich sind."

Über ungenügende Inspektion wird von vielen Zeugen geklagt. Was das
Verhältnis zwischen Unternehmern und Arbeitern betrifft, so wird das in einer
Anzahl von Gewerben als vortrefflich, in andern als weniger gut bezeichnet.
Während von vielen Unternehmern der Nutzen der Gewerkvereine anerkannt
und in manchen Industrien den Schiedsgerichten und Einigungsümtern unge¬
teiltes Lob gespendet wird, klagen in andern Gewerben nicht allein die Unter¬
nehmer, sondern auch die Arbeiter über die Tyrannei der Gewerkvereine; ja
es kommt heraus, daß es noch Gewerbe giebt, wo die Arbeiter aus Furcht
vor Entlassung ihre Zugehörigkeit zu einem Gewerkverein geheim halten müssen.
Mitunter tritt nur vorübergehend eine Besserung ein; so heißt es von den
Dockarbeitern: "Unmittelbar nach dem Streik waren die Beziehungen zwischen
den Dvckbchörden und den Arbeitern ein Jahr lang besser." Doch scheint es


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dreißig Schilling gestiegen." Das würde in Deutschland, wo in diesem Zeit¬
raume die Beamtenbesoldungen auf das doppelte und dreifache erhöht worden
sind, eine sehr armselige Einkommenerhöhung sein. In England bedeutet sie
ja mehr, weil dort in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts die Lebensmittel
sehr teuer waren, heute aber billiger sind als bei uus. In dem Resümee über
die Gruppe: Eisenindustrie, Schiffsbau und Verwandtes heißt es u. a.: „Der
8eg.iuig.rei ok ins der Arbeiter dieser Gruppe scheint zum Teil, d. h. für die
Maschinenbauer befriedigend zu sein. Aber auch das ist das Resultat sehr vieler
und sehr harter Kämpfe. Ohne die Gewerkvereine wäre er jedenfalls niedriger.
Bemerkenswert ist die hier und dort beginnende Selbsthilfe der Arbeiter
durch korporative Schöpfungen. Große Massen von Arbeiter,? in dieser
Gruppe sind arbeitslos oder in unregelmäßiger Beschäftigung." Sehr inter¬
essant ist das Schlußurteil über die Gruppe: Wassertransport. „Für die ge¬
lernte Arbeit dieser Gruppe, also Schiffahrt und Takelagearbeit, ist in Hinsicht
der Vergütung der geleisteten Arbeit seit den fünfziger Jahren mit vielen
Schwankungen und unter hartem Kampf dank den Arbeiterverbändeu eine an¬
sehnliche Besserung zustande gekommen. Die Arbeitszeit dagegen hat, besonders
sür die Dock- und Quaiarbeiter, keine namhafte Verkürzung erfahren; ferner
ist zu bemerke», daß die Überzeit fortdauernd eine gewöhnliche, aber traurige
Erscheinung bildet; endlich daß gerade in dieser Gruppe für die ganze Zeit der
Beobachtung unregelmäßige und unterbrochne Beschäftigung nachgewiesen wird.
Nicht zu übersehen ist ferner der Umstand, daß über ungenügende Sicherung
gegen gesundheits- und lebensgefährliche Einflüsse und gegen Unfälle immer
geklagt wird. Hier hat keine große Besserung stattgefunden. Endlich tritt
die Thatsache hervor, daß die Unfallstatistik nicht die Unfälle als die Aus¬
nahme oder als durch die toros rü^puro veranlaßt darstellt, vielmehr ergiebt
sich, daß die Gewinnsucht der Unternehmer und die mangelhafte Inspektion
schuld sind, indem Schiffe ungenügend bemannt werden können, und dies auch
gewöhnlich sind."

Über ungenügende Inspektion wird von vielen Zeugen geklagt. Was das
Verhältnis zwischen Unternehmern und Arbeitern betrifft, so wird das in einer
Anzahl von Gewerben als vortrefflich, in andern als weniger gut bezeichnet.
Während von vielen Unternehmern der Nutzen der Gewerkvereine anerkannt
und in manchen Industrien den Schiedsgerichten und Einigungsümtern unge¬
teiltes Lob gespendet wird, klagen in andern Gewerben nicht allein die Unter¬
nehmer, sondern auch die Arbeiter über die Tyrannei der Gewerkvereine; ja
es kommt heraus, daß es noch Gewerbe giebt, wo die Arbeiter aus Furcht
vor Entlassung ihre Zugehörigkeit zu einem Gewerkverein geheim halten müssen.
Mitunter tritt nur vorübergehend eine Besserung ein; so heißt es von den
Dockarbeitern: „Unmittelbar nach dem Streik waren die Beziehungen zwischen
den Dvckbchörden und den Arbeitern ein Jahr lang besser." Doch scheint es


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[0506] Englische Zustände dreißig Schilling gestiegen." Das würde in Deutschland, wo in diesem Zeit¬ raume die Beamtenbesoldungen auf das doppelte und dreifache erhöht worden sind, eine sehr armselige Einkommenerhöhung sein. In England bedeutet sie ja mehr, weil dort in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts die Lebensmittel sehr teuer waren, heute aber billiger sind als bei uus. In dem Resümee über die Gruppe: Eisenindustrie, Schiffsbau und Verwandtes heißt es u. a.: „Der 8eg.iuig.rei ok ins der Arbeiter dieser Gruppe scheint zum Teil, d. h. für die Maschinenbauer befriedigend zu sein. Aber auch das ist das Resultat sehr vieler und sehr harter Kämpfe. Ohne die Gewerkvereine wäre er jedenfalls niedriger. Bemerkenswert ist die hier und dort beginnende Selbsthilfe der Arbeiter durch korporative Schöpfungen. Große Massen von Arbeiter,? in dieser Gruppe sind arbeitslos oder in unregelmäßiger Beschäftigung." Sehr inter¬ essant ist das Schlußurteil über die Gruppe: Wassertransport. „Für die ge¬ lernte Arbeit dieser Gruppe, also Schiffahrt und Takelagearbeit, ist in Hinsicht der Vergütung der geleisteten Arbeit seit den fünfziger Jahren mit vielen Schwankungen und unter hartem Kampf dank den Arbeiterverbändeu eine an¬ sehnliche Besserung zustande gekommen. Die Arbeitszeit dagegen hat, besonders sür die Dock- und Quaiarbeiter, keine namhafte Verkürzung erfahren; ferner ist zu bemerke», daß die Überzeit fortdauernd eine gewöhnliche, aber traurige Erscheinung bildet; endlich daß gerade in dieser Gruppe für die ganze Zeit der Beobachtung unregelmäßige und unterbrochne Beschäftigung nachgewiesen wird. Nicht zu übersehen ist ferner der Umstand, daß über ungenügende Sicherung gegen gesundheits- und lebensgefährliche Einflüsse und gegen Unfälle immer geklagt wird. Hier hat keine große Besserung stattgefunden. Endlich tritt die Thatsache hervor, daß die Unfallstatistik nicht die Unfälle als die Aus¬ nahme oder als durch die toros rü^puro veranlaßt darstellt, vielmehr ergiebt sich, daß die Gewinnsucht der Unternehmer und die mangelhafte Inspektion schuld sind, indem Schiffe ungenügend bemannt werden können, und dies auch gewöhnlich sind." Über ungenügende Inspektion wird von vielen Zeugen geklagt. Was das Verhältnis zwischen Unternehmern und Arbeitern betrifft, so wird das in einer Anzahl von Gewerben als vortrefflich, in andern als weniger gut bezeichnet. Während von vielen Unternehmern der Nutzen der Gewerkvereine anerkannt und in manchen Industrien den Schiedsgerichten und Einigungsümtern unge¬ teiltes Lob gespendet wird, klagen in andern Gewerben nicht allein die Unter¬ nehmer, sondern auch die Arbeiter über die Tyrannei der Gewerkvereine; ja es kommt heraus, daß es noch Gewerbe giebt, wo die Arbeiter aus Furcht vor Entlassung ihre Zugehörigkeit zu einem Gewerkverein geheim halten müssen. Mitunter tritt nur vorübergehend eine Besserung ein; so heißt es von den Dockarbeitern: „Unmittelbar nach dem Streik waren die Beziehungen zwischen den Dvckbchörden und den Arbeitern ein Jahr lang besser." Doch scheint es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/506>, abgerufen am 08.01.2025.