Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Der junge Hamerling Durchaus neu und wertvoll ist der Aufschluß, den uns Nabenlechners Der junge Hamerling Durchaus neu und wertvoll ist der Aufschluß, den uns Nabenlechners <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224005"/> <fw type="header" place="top"> Der junge Hamerling</fw><lb/> <p xml:id="ID_1254" next="#ID_1255"> Durchaus neu und wertvoll ist der Aufschluß, den uns Nabenlechners<lb/> Buch über die Lektüre des jungen Hmnerling giebt. Nach eigner Wahl und<lb/> Neigung sing er erst als Schottenghmnasicist an zu lesen. In Zwettl waren<lb/> Bücher unterhaltenden, belehrenden oder poetischen Inhalts streng verboten.<lb/> Nur ein glücklicher Zufall oder die Huld eines verstündigen Paters erlaubte<lb/> dem Lesehungrigen einmal einen Blick ins „Pfennigmagazin" oder in Christoph<lb/> von Schmids Jugendschriften; sonst war alles geistlich, geistlich und wieder<lb/> geistlich. Erst in Wien lernte der Vierzehnjährige die Klassiker des Altertums<lb/> und der Neuzeit kennen: Homer führt mit seiner „Odyssee" den Neigen an,<lb/> was nicht ohne Bedeutung für Hamerlings künftige poetische Schöpfungen<lb/> ist. Aber bald machte ihm — Kotzebue den Rang streitig. Seine „Aus¬<lb/> gewählten prosaischen Schriften" wurden förmlich verschlungen; der Verfasser<lb/> ist ein „großer Mann." und seine Werke sind alle „sehr gut." Nur dann und<lb/> wann dünne sich einmal der katholische Christ gegen die Irreligiosität auf.<lb/> Auch bei Schiller wird Hamerling gleich warm: die „Räuber" und den „Don<lb/> Carlos" liest er mit Entzücken, und der „Demetrius" entringt ihm einen Ausruf<lb/> der Bewunderung. Goethe ist ihm dagegen zunächst nur der „Heide"; über<lb/> den „Faust" sagt er nichts; aber die „Iphigenie" erscheint ihm doch als „voll¬<lb/> endetes Meisterstück." Das Sittliche und Würdevolle bewährt auch bei der<lb/> Lektüre seine alte Anziehungskraft: gehören doch für Hamerling noch 1846<lb/> Lustspiel und Posse gar nicht in das Gebiet der Ästhetik. An Raupachs<lb/> „Müller" rühmt er vor allem den Zug, daß Maria auch den unschuldige»<lb/> Mörder ihres schurkischen Vaters nicht mehr lieben will; Zcdlitzeus „Totenkränze"<lb/> scheinen ihm hoher Beachtung wert, und Lessings „Philotas" bezaubert ihn<lb/> durch seine „heroische, imponirende Sprache und erhabne Darstcllungsgcibe."<lb/> Am höchsten aber steht ihm Klopstock. „Klopstock ist ein wahrer Festschmaus<lb/> für riesige Geister, steht in Hamerlings Tagebuch, kleinere Geister mögen<lb/> ihn, da er allein zu scharf ist, mit leichtern und weichern Dekokten vermischt<lb/> einnehmen. Er ist ein wahrer Kommentar zu den Werken Gottes." In<lb/> gleiche Verzückung bringt ihn nur noch E. Th. A. Hoffmann, zu dem er sich<lb/> von vornherein mit „magisch-sympathetischer" Kraft hingezogen fühlt. Er er¬<lb/> kennt ihn sofort als eine liebenswürdige, wunderbare Mischung von lebens¬<lb/> frischen Humor und tiefromantischer Sentimentalität, und ruft ihm nach der<lb/> Lektüre von „Meister Floh" zu: „Herzliebster Hoffmann! Da hast du ein<lb/> Märchen geschrieben, das selbst im Lande der Feen sür ein Märchen gelten<lb/> müßte." Unter den zeitgenössischen Werken, die Hamerling in Massen ver¬<lb/> schlingt, befindet sich viel wertloser Tagesplunder, den heute niemand mehr<lb/> kennt. Bezeichnend sür die glutroten, sinnlich heißen Schilderungen in seinen<lb/> spätern Epen ist nur seine Schwärmerei für Freiligrath, diesen „flammen-<lb/> sprtthenden Dämon," während man seine vorgebliche Liebe zu Uhland wohl<lb/> nur als wehmütige Erkenntnis dessen, was ihm selber fehlte, fassen darf.<lb/> Sonst müßte bei diesem unnaivsten aller modernen Dichter die Bewunderung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0421]
Der junge Hamerling
Durchaus neu und wertvoll ist der Aufschluß, den uns Nabenlechners
Buch über die Lektüre des jungen Hmnerling giebt. Nach eigner Wahl und
Neigung sing er erst als Schottenghmnasicist an zu lesen. In Zwettl waren
Bücher unterhaltenden, belehrenden oder poetischen Inhalts streng verboten.
Nur ein glücklicher Zufall oder die Huld eines verstündigen Paters erlaubte
dem Lesehungrigen einmal einen Blick ins „Pfennigmagazin" oder in Christoph
von Schmids Jugendschriften; sonst war alles geistlich, geistlich und wieder
geistlich. Erst in Wien lernte der Vierzehnjährige die Klassiker des Altertums
und der Neuzeit kennen: Homer führt mit seiner „Odyssee" den Neigen an,
was nicht ohne Bedeutung für Hamerlings künftige poetische Schöpfungen
ist. Aber bald machte ihm — Kotzebue den Rang streitig. Seine „Aus¬
gewählten prosaischen Schriften" wurden förmlich verschlungen; der Verfasser
ist ein „großer Mann." und seine Werke sind alle „sehr gut." Nur dann und
wann dünne sich einmal der katholische Christ gegen die Irreligiosität auf.
Auch bei Schiller wird Hamerling gleich warm: die „Räuber" und den „Don
Carlos" liest er mit Entzücken, und der „Demetrius" entringt ihm einen Ausruf
der Bewunderung. Goethe ist ihm dagegen zunächst nur der „Heide"; über
den „Faust" sagt er nichts; aber die „Iphigenie" erscheint ihm doch als „voll¬
endetes Meisterstück." Das Sittliche und Würdevolle bewährt auch bei der
Lektüre seine alte Anziehungskraft: gehören doch für Hamerling noch 1846
Lustspiel und Posse gar nicht in das Gebiet der Ästhetik. An Raupachs
„Müller" rühmt er vor allem den Zug, daß Maria auch den unschuldige»
Mörder ihres schurkischen Vaters nicht mehr lieben will; Zcdlitzeus „Totenkränze"
scheinen ihm hoher Beachtung wert, und Lessings „Philotas" bezaubert ihn
durch seine „heroische, imponirende Sprache und erhabne Darstcllungsgcibe."
Am höchsten aber steht ihm Klopstock. „Klopstock ist ein wahrer Festschmaus
für riesige Geister, steht in Hamerlings Tagebuch, kleinere Geister mögen
ihn, da er allein zu scharf ist, mit leichtern und weichern Dekokten vermischt
einnehmen. Er ist ein wahrer Kommentar zu den Werken Gottes." In
gleiche Verzückung bringt ihn nur noch E. Th. A. Hoffmann, zu dem er sich
von vornherein mit „magisch-sympathetischer" Kraft hingezogen fühlt. Er er¬
kennt ihn sofort als eine liebenswürdige, wunderbare Mischung von lebens¬
frischen Humor und tiefromantischer Sentimentalität, und ruft ihm nach der
Lektüre von „Meister Floh" zu: „Herzliebster Hoffmann! Da hast du ein
Märchen geschrieben, das selbst im Lande der Feen sür ein Märchen gelten
müßte." Unter den zeitgenössischen Werken, die Hamerling in Massen ver¬
schlingt, befindet sich viel wertloser Tagesplunder, den heute niemand mehr
kennt. Bezeichnend sür die glutroten, sinnlich heißen Schilderungen in seinen
spätern Epen ist nur seine Schwärmerei für Freiligrath, diesen „flammen-
sprtthenden Dämon," während man seine vorgebliche Liebe zu Uhland wohl
nur als wehmütige Erkenntnis dessen, was ihm selber fehlte, fassen darf.
Sonst müßte bei diesem unnaivsten aller modernen Dichter die Bewunderung
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