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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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par in Berlin

also doch Palmen sein, was wir andern bisher für Cypressen gehalten haben.
Das ist aber noch gar nichts gegen eine andre "Umwertung" auf dem Gebiete
der Landschaftsmalerei, die uns ein Aufsatz S. 62 anbietet. Der Verfasser
beschreibt eine Landschaft mit "goldner Wiese, blätterlosen rotbeblümten Pappeln
und einer gereihten Schnur goldner Kraniche," und während ein neben ihm
stehender Maler das Bild unnatürlich findet, nennt er es vielmehr "wie ich
es so köstlich nie gedacht" und dankt dem freundlichen Schicksal, das ihn nach
München vor das Bild geführt hat. Wir möchten es doch lieber mit jenem
kritisirenden Maler halten, der sein Kunstgefühl "aus bedruckten Holzpapier
saugt," wie der Pangelehrte meint.

Um auch auf etwas erfreuliches zu kommen, betrachten wir uns nun einen
großen Holzschnitt von Honemann nach einem angenehmen Brustbilde, "Mutter
und Kind," von Dora Hitz. Der Schnitt mit seinen haardünnen Linien hat
die Feinheit und den Glanz einer Silberstiftzeichnung oder etwa einer Photo¬
graphie auf Platina. Man hätte wohl noch vor wenigen Jahren in Deutsch¬
land bezweifelt, ob so etwas mit dem Holzschnitt zu erreichen überhaupt möglich
sei, und darf darum bei aller Anerkennung und mit Rücksicht zugleich auf die
Augen des Holzschneiders auch jetzt noch fragen, ob es nötig oder auch nur
richtig sei, dem leichter einschneidenden Metallschnitt seine Wirkungen mit größerer
Mühe nachzumachen. Ein schönes, viel versprechendes Werk ist auch die Bronze¬
statue einer Amazone von Louis Tuaillon, einem jungen Berliner Bildhauer,
der seine Hauptanregungen in Italien durch Hans von Marve empfangen hat
und wie dieser etwas von antiker und selbst griechischer Auffassung, aber
doch wieder in einer modernen Form hat. Die auf der Berliner Ausstellung
vielbewunderte Amazone (sie ist eben von der Nationalgalerie angekauft worden),
von der ein guter Lichtdruck vorliegt, sitzt, ganz gespannt in die Ferne sehend
und ohne jedes weitere Ausdrucksmittel als das ihrer einfachen, sehnigen
Körperformen wirkend, auf einem ungesatteltem und ungezäumten, ganz modernen
Rennpferde mit einem eingeknoteten Schweif. Der Eindruck ist zunächst höchst
eigentümlich, er ist jedenfalls auch nur für "Kenner." Aber ein Mensch von
feinerer historischer Bildung kann sich sehr wohl vorstellen, daß so etwa eine
Amazone ausgesehen haben möge oder aussehen würde, wenn wir sie heute
noch Hütten und brauchten. Wem aber die Amazonen unter beiderlei Gesichts¬
punkt unbekannt oder gleichgiltig sind, für den ist eine solche Statue so wenig
wie diese ganze plastische Richtung, die sich ja auch in Frankreich findet, und
deren Haupteigenschaft auf der künstlerischen Anempfindung an einen ältern
historischen Formenausdruck beruht. Die Franzosen lieben jetzt Donatello und
die andern Plastiker der italienischen Frührenaissance. Tuaillons Amazone
kommt, abgesehen von dem Pferde, unter den vorhandnen historischen Er¬
scheinungen dem griechischen Ideal am nächsten. Aber sie ist durchaus keine
Nachahmung. Sie ist, wie gesagt, ein tüchtiges Werk, das Produkt einer mehr
aristokratischen Auslese. Alle Künstler könnten nicht so sein, denn dann würde


par in Berlin

also doch Palmen sein, was wir andern bisher für Cypressen gehalten haben.
Das ist aber noch gar nichts gegen eine andre „Umwertung" auf dem Gebiete
der Landschaftsmalerei, die uns ein Aufsatz S. 62 anbietet. Der Verfasser
beschreibt eine Landschaft mit „goldner Wiese, blätterlosen rotbeblümten Pappeln
und einer gereihten Schnur goldner Kraniche," und während ein neben ihm
stehender Maler das Bild unnatürlich findet, nennt er es vielmehr „wie ich
es so köstlich nie gedacht" und dankt dem freundlichen Schicksal, das ihn nach
München vor das Bild geführt hat. Wir möchten es doch lieber mit jenem
kritisirenden Maler halten, der sein Kunstgefühl „aus bedruckten Holzpapier
saugt," wie der Pangelehrte meint.

Um auch auf etwas erfreuliches zu kommen, betrachten wir uns nun einen
großen Holzschnitt von Honemann nach einem angenehmen Brustbilde, „Mutter
und Kind," von Dora Hitz. Der Schnitt mit seinen haardünnen Linien hat
die Feinheit und den Glanz einer Silberstiftzeichnung oder etwa einer Photo¬
graphie auf Platina. Man hätte wohl noch vor wenigen Jahren in Deutsch¬
land bezweifelt, ob so etwas mit dem Holzschnitt zu erreichen überhaupt möglich
sei, und darf darum bei aller Anerkennung und mit Rücksicht zugleich auf die
Augen des Holzschneiders auch jetzt noch fragen, ob es nötig oder auch nur
richtig sei, dem leichter einschneidenden Metallschnitt seine Wirkungen mit größerer
Mühe nachzumachen. Ein schönes, viel versprechendes Werk ist auch die Bronze¬
statue einer Amazone von Louis Tuaillon, einem jungen Berliner Bildhauer,
der seine Hauptanregungen in Italien durch Hans von Marve empfangen hat
und wie dieser etwas von antiker und selbst griechischer Auffassung, aber
doch wieder in einer modernen Form hat. Die auf der Berliner Ausstellung
vielbewunderte Amazone (sie ist eben von der Nationalgalerie angekauft worden),
von der ein guter Lichtdruck vorliegt, sitzt, ganz gespannt in die Ferne sehend
und ohne jedes weitere Ausdrucksmittel als das ihrer einfachen, sehnigen
Körperformen wirkend, auf einem ungesatteltem und ungezäumten, ganz modernen
Rennpferde mit einem eingeknoteten Schweif. Der Eindruck ist zunächst höchst
eigentümlich, er ist jedenfalls auch nur für „Kenner." Aber ein Mensch von
feinerer historischer Bildung kann sich sehr wohl vorstellen, daß so etwa eine
Amazone ausgesehen haben möge oder aussehen würde, wenn wir sie heute
noch Hütten und brauchten. Wem aber die Amazonen unter beiderlei Gesichts¬
punkt unbekannt oder gleichgiltig sind, für den ist eine solche Statue so wenig
wie diese ganze plastische Richtung, die sich ja auch in Frankreich findet, und
deren Haupteigenschaft auf der künstlerischen Anempfindung an einen ältern
historischen Formenausdruck beruht. Die Franzosen lieben jetzt Donatello und
die andern Plastiker der italienischen Frührenaissance. Tuaillons Amazone
kommt, abgesehen von dem Pferde, unter den vorhandnen historischen Er¬
scheinungen dem griechischen Ideal am nächsten. Aber sie ist durchaus keine
Nachahmung. Sie ist, wie gesagt, ein tüchtiges Werk, das Produkt einer mehr
aristokratischen Auslese. Alle Künstler könnten nicht so sein, denn dann würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/392>, abgerufen am 08.01.2025.