Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
par in Berlin

viele Zöpfe abzuschneiden giebt. Was nützen den Akademikern die kostbaren
Talare der neuesten Amtstracht aus rotem Sammet und Atlas, was nützt der
neue projektirte Kunstpalast draußen am Bahnhof "Zoologischer Garten," wenn
wirklich die für die schaffende Kunst maßgebenden Kräfte entweder noch nicht
oder nicht mehr zu den Akademikern gehören, und die Thätigkeit der Akademiker
für die Ausbildung neuer Kräfte so wenig erfolgreich ist, wie wir gesehen
haben. Der inhaltlich bedeutende Aufsatz bereitet also den Boden für eine
Organisationsfrage cillerwichtigster Art.

Der Direktor des Hamburger Kunstgewerbemuseums, Lichtwark, spricht
sehr unterrichtend über einige Mängel des modernen Wohnhauses: die Zimmer
haben zu viele, zu tief auf den Boden reichende und zu schmale Fenster, eine
Übertragung der Palastarchitektur auf die Bürgerwohnung, und zu viel Thüren,
infolge davon zu wenig Wand. Er zeigt, wie man dnrch Anlehnung an das
ältere deutsche Familienhaus und die englische Landwohnung zu zweckmäßigen
Einrichtungen kommen könnte, und weist auf vereinzelte Anfänge in Berlin und
Hamburg hin.

Wir kommen zu den Kunstbeilagen, die ein Bild der Berliner Kunst geben
sollen. Das Bild würde, wenn es zutreffend sein könnte, nicht gerade be¬
deutend sein. Einige besondre Züge zeigt es allerdings. Eine gute Radirung
von Krüger stellt ein bekanntes Bild Liebermanns dar, einen alten Mann mit
einer Kiepe auf dem Rücken, der sich in einer Landschaft ausruht. Skarbina
giebt eine farbige Lithographie, "Droschke im Regen" an einem der feinern
Straßenzüge Berlins bei Abendbeleuchtung mit angesteckten Gaslaternen, gut
und lebendig, Leistikow eine Originalradirung einer Baumgruppe, von der man
aber nur einen kleinen Ausschnitt, einige Stämme ohne Wurzel und Wipfel
sieht, ohne daß man einen weitergehenden Eindruck davon erhält, als daß der
umgebende Karton etwa den vierfachen Raum einnimmt, wie das dargestellte
fragwürdige Etwas. Einer der "Elf," der gegenwärtig viel von sich reden
macht, ist Ludwig von Hofmann. "Sein Gefühl für den Farbenreiz der Land¬
schaft, sagt uns R. Graul in einem Aufsatz über die Eis, ist ebenso fein wie
feine Freude an dem Liebreiz jugendlicher Gestalten." Bedauerlicherweise können
wir davon in den beiden veröffentlichten Farbenlichtdrucken bei allem guten
Willen nichts entdecken. Auf dem einen -- "Paradies" -- steckt eine Eva in
der Form und Kleidung einer altgriechischen Vasenfigur dem Adam einen knall¬
roten Apfel ins -- Maul, so muß man schon sagen, denn der Adam räkelt
sich wie ein Vierfüßler am Boden und thut so, als ob er gar keine Arme
hätte und Hände zum Anfassen. Das zweite Bild, "Waldweiher," zeigt uns
von der Rückseite eine bis über die Kniee im Wasser stehende Frau, dahinter
einige Linien, die Bäume zu bedeuten haben. Das Ganze ist "schummerig,"
wie man jetzt zu sagen liebt, und etwas Zinnoberrot in dem Farbenlichtdruck
erinnert uns, daß wir uns eine Abendbeleuchtung vorzustellen haben. Die


par in Berlin

viele Zöpfe abzuschneiden giebt. Was nützen den Akademikern die kostbaren
Talare der neuesten Amtstracht aus rotem Sammet und Atlas, was nützt der
neue projektirte Kunstpalast draußen am Bahnhof „Zoologischer Garten," wenn
wirklich die für die schaffende Kunst maßgebenden Kräfte entweder noch nicht
oder nicht mehr zu den Akademikern gehören, und die Thätigkeit der Akademiker
für die Ausbildung neuer Kräfte so wenig erfolgreich ist, wie wir gesehen
haben. Der inhaltlich bedeutende Aufsatz bereitet also den Boden für eine
Organisationsfrage cillerwichtigster Art.

Der Direktor des Hamburger Kunstgewerbemuseums, Lichtwark, spricht
sehr unterrichtend über einige Mängel des modernen Wohnhauses: die Zimmer
haben zu viele, zu tief auf den Boden reichende und zu schmale Fenster, eine
Übertragung der Palastarchitektur auf die Bürgerwohnung, und zu viel Thüren,
infolge davon zu wenig Wand. Er zeigt, wie man dnrch Anlehnung an das
ältere deutsche Familienhaus und die englische Landwohnung zu zweckmäßigen
Einrichtungen kommen könnte, und weist auf vereinzelte Anfänge in Berlin und
Hamburg hin.

Wir kommen zu den Kunstbeilagen, die ein Bild der Berliner Kunst geben
sollen. Das Bild würde, wenn es zutreffend sein könnte, nicht gerade be¬
deutend sein. Einige besondre Züge zeigt es allerdings. Eine gute Radirung
von Krüger stellt ein bekanntes Bild Liebermanns dar, einen alten Mann mit
einer Kiepe auf dem Rücken, der sich in einer Landschaft ausruht. Skarbina
giebt eine farbige Lithographie, „Droschke im Regen" an einem der feinern
Straßenzüge Berlins bei Abendbeleuchtung mit angesteckten Gaslaternen, gut
und lebendig, Leistikow eine Originalradirung einer Baumgruppe, von der man
aber nur einen kleinen Ausschnitt, einige Stämme ohne Wurzel und Wipfel
sieht, ohne daß man einen weitergehenden Eindruck davon erhält, als daß der
umgebende Karton etwa den vierfachen Raum einnimmt, wie das dargestellte
fragwürdige Etwas. Einer der „Elf," der gegenwärtig viel von sich reden
macht, ist Ludwig von Hofmann. „Sein Gefühl für den Farbenreiz der Land¬
schaft, sagt uns R. Graul in einem Aufsatz über die Eis, ist ebenso fein wie
feine Freude an dem Liebreiz jugendlicher Gestalten." Bedauerlicherweise können
wir davon in den beiden veröffentlichten Farbenlichtdrucken bei allem guten
Willen nichts entdecken. Auf dem einen — „Paradies" — steckt eine Eva in
der Form und Kleidung einer altgriechischen Vasenfigur dem Adam einen knall¬
roten Apfel ins — Maul, so muß man schon sagen, denn der Adam räkelt
sich wie ein Vierfüßler am Boden und thut so, als ob er gar keine Arme
hätte und Hände zum Anfassen. Das zweite Bild, „Waldweiher," zeigt uns
von der Rückseite eine bis über die Kniee im Wasser stehende Frau, dahinter
einige Linien, die Bäume zu bedeuten haben. Das Ganze ist „schummerig,"
wie man jetzt zu sagen liebt, und etwas Zinnoberrot in dem Farbenlichtdruck
erinnert uns, daß wir uns eine Abendbeleuchtung vorzustellen haben. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223972"/>
          <fw type="header" place="top"> par in Berlin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1174" prev="#ID_1173"> viele Zöpfe abzuschneiden giebt. Was nützen den Akademikern die kostbaren<lb/>
Talare der neuesten Amtstracht aus rotem Sammet und Atlas, was nützt der<lb/>
neue projektirte Kunstpalast draußen am Bahnhof &#x201E;Zoologischer Garten," wenn<lb/>
wirklich die für die schaffende Kunst maßgebenden Kräfte entweder noch nicht<lb/>
oder nicht mehr zu den Akademikern gehören, und die Thätigkeit der Akademiker<lb/>
für die Ausbildung neuer Kräfte so wenig erfolgreich ist, wie wir gesehen<lb/>
haben. Der inhaltlich bedeutende Aufsatz bereitet also den Boden für eine<lb/>
Organisationsfrage cillerwichtigster Art.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1175"> Der Direktor des Hamburger Kunstgewerbemuseums, Lichtwark, spricht<lb/>
sehr unterrichtend über einige Mängel des modernen Wohnhauses: die Zimmer<lb/>
haben zu viele, zu tief auf den Boden reichende und zu schmale Fenster, eine<lb/>
Übertragung der Palastarchitektur auf die Bürgerwohnung, und zu viel Thüren,<lb/>
infolge davon zu wenig Wand. Er zeigt, wie man dnrch Anlehnung an das<lb/>
ältere deutsche Familienhaus und die englische Landwohnung zu zweckmäßigen<lb/>
Einrichtungen kommen könnte, und weist auf vereinzelte Anfänge in Berlin und<lb/>
Hamburg hin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1176" next="#ID_1177"> Wir kommen zu den Kunstbeilagen, die ein Bild der Berliner Kunst geben<lb/>
sollen. Das Bild würde, wenn es zutreffend sein könnte, nicht gerade be¬<lb/>
deutend sein. Einige besondre Züge zeigt es allerdings. Eine gute Radirung<lb/>
von Krüger stellt ein bekanntes Bild Liebermanns dar, einen alten Mann mit<lb/>
einer Kiepe auf dem Rücken, der sich in einer Landschaft ausruht. Skarbina<lb/>
giebt eine farbige Lithographie, &#x201E;Droschke im Regen" an einem der feinern<lb/>
Straßenzüge Berlins bei Abendbeleuchtung mit angesteckten Gaslaternen, gut<lb/>
und lebendig, Leistikow eine Originalradirung einer Baumgruppe, von der man<lb/>
aber nur einen kleinen Ausschnitt, einige Stämme ohne Wurzel und Wipfel<lb/>
sieht, ohne daß man einen weitergehenden Eindruck davon erhält, als daß der<lb/>
umgebende Karton etwa den vierfachen Raum einnimmt, wie das dargestellte<lb/>
fragwürdige Etwas. Einer der &#x201E;Elf," der gegenwärtig viel von sich reden<lb/>
macht, ist Ludwig von Hofmann. &#x201E;Sein Gefühl für den Farbenreiz der Land¬<lb/>
schaft, sagt uns R. Graul in einem Aufsatz über die Eis, ist ebenso fein wie<lb/>
feine Freude an dem Liebreiz jugendlicher Gestalten." Bedauerlicherweise können<lb/>
wir davon in den beiden veröffentlichten Farbenlichtdrucken bei allem guten<lb/>
Willen nichts entdecken. Auf dem einen &#x2014; &#x201E;Paradies" &#x2014; steckt eine Eva in<lb/>
der Form und Kleidung einer altgriechischen Vasenfigur dem Adam einen knall¬<lb/>
roten Apfel ins &#x2014; Maul, so muß man schon sagen, denn der Adam räkelt<lb/>
sich wie ein Vierfüßler am Boden und thut so, als ob er gar keine Arme<lb/>
hätte und Hände zum Anfassen. Das zweite Bild, &#x201E;Waldweiher," zeigt uns<lb/>
von der Rückseite eine bis über die Kniee im Wasser stehende Frau, dahinter<lb/>
einige Linien, die Bäume zu bedeuten haben. Das Ganze ist &#x201E;schummerig,"<lb/>
wie man jetzt zu sagen liebt, und etwas Zinnoberrot in dem Farbenlichtdruck<lb/>
erinnert uns, daß wir uns eine Abendbeleuchtung vorzustellen haben. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0388] par in Berlin viele Zöpfe abzuschneiden giebt. Was nützen den Akademikern die kostbaren Talare der neuesten Amtstracht aus rotem Sammet und Atlas, was nützt der neue projektirte Kunstpalast draußen am Bahnhof „Zoologischer Garten," wenn wirklich die für die schaffende Kunst maßgebenden Kräfte entweder noch nicht oder nicht mehr zu den Akademikern gehören, und die Thätigkeit der Akademiker für die Ausbildung neuer Kräfte so wenig erfolgreich ist, wie wir gesehen haben. Der inhaltlich bedeutende Aufsatz bereitet also den Boden für eine Organisationsfrage cillerwichtigster Art. Der Direktor des Hamburger Kunstgewerbemuseums, Lichtwark, spricht sehr unterrichtend über einige Mängel des modernen Wohnhauses: die Zimmer haben zu viele, zu tief auf den Boden reichende und zu schmale Fenster, eine Übertragung der Palastarchitektur auf die Bürgerwohnung, und zu viel Thüren, infolge davon zu wenig Wand. Er zeigt, wie man dnrch Anlehnung an das ältere deutsche Familienhaus und die englische Landwohnung zu zweckmäßigen Einrichtungen kommen könnte, und weist auf vereinzelte Anfänge in Berlin und Hamburg hin. Wir kommen zu den Kunstbeilagen, die ein Bild der Berliner Kunst geben sollen. Das Bild würde, wenn es zutreffend sein könnte, nicht gerade be¬ deutend sein. Einige besondre Züge zeigt es allerdings. Eine gute Radirung von Krüger stellt ein bekanntes Bild Liebermanns dar, einen alten Mann mit einer Kiepe auf dem Rücken, der sich in einer Landschaft ausruht. Skarbina giebt eine farbige Lithographie, „Droschke im Regen" an einem der feinern Straßenzüge Berlins bei Abendbeleuchtung mit angesteckten Gaslaternen, gut und lebendig, Leistikow eine Originalradirung einer Baumgruppe, von der man aber nur einen kleinen Ausschnitt, einige Stämme ohne Wurzel und Wipfel sieht, ohne daß man einen weitergehenden Eindruck davon erhält, als daß der umgebende Karton etwa den vierfachen Raum einnimmt, wie das dargestellte fragwürdige Etwas. Einer der „Elf," der gegenwärtig viel von sich reden macht, ist Ludwig von Hofmann. „Sein Gefühl für den Farbenreiz der Land¬ schaft, sagt uns R. Graul in einem Aufsatz über die Eis, ist ebenso fein wie feine Freude an dem Liebreiz jugendlicher Gestalten." Bedauerlicherweise können wir davon in den beiden veröffentlichten Farbenlichtdrucken bei allem guten Willen nichts entdecken. Auf dem einen — „Paradies" — steckt eine Eva in der Form und Kleidung einer altgriechischen Vasenfigur dem Adam einen knall¬ roten Apfel ins — Maul, so muß man schon sagen, denn der Adam räkelt sich wie ein Vierfüßler am Boden und thut so, als ob er gar keine Arme hätte und Hände zum Anfassen. Das zweite Bild, „Waldweiher," zeigt uns von der Rückseite eine bis über die Kniee im Wasser stehende Frau, dahinter einige Linien, die Bäume zu bedeuten haben. Das Ganze ist „schummerig," wie man jetzt zu sagen liebt, und etwas Zinnoberrot in dem Farbenlichtdruck erinnert uns, daß wir uns eine Abendbeleuchtung vorzustellen haben. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/388
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/388>, abgerufen am 08.01.2025.