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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

einer Gemeinde, die zwölfhundert Seelen unter zwanzigtausend Katholiken um¬
faßte. In dieser ersten größern selbständigen Stellung fand Beyschlag eine
große, vielseitige Wirksamkeit, begründete sich durch seine in diese Zeit fallende
und in der Selbstbiographie so schlicht wie anmutig und gewinnend erzählte
Verlobung und Heirat ein volles häusliches Glück, fand aber bald Ursache,
diese ersten Predigerjahre als "Trierer Kriegsjahre" anzusehen. Mehr und mehr
war Beyschlag jetzt auch in eine litterarische Thätigkeit hineingekommen, und
die Stellung, in der er sich mitten in einer der Hochburgen des "rheinischen"
Ultramontanismus befand, legte es ihm nahe, die Versuche zu bekämpfen, die
damals wie später gemacht wurden, Deutschland wieder zu katholisiren. Eine
der geistreichsten Schriften, die in diesem Sinne von Angehörigen der alten
Kirche ausgingen, waren die "Neuen Gespräche über Staat und Kirche" des
Generals I. von Nadowitz, der König Friedrich Wilhelm IV. nahe gestanden
und die fast krankhafte Parteilichkeit des geistvollen Herrschers für die katho¬
lische Kirche -- eine Parteilichkeit, die mit der unerschütterlichen evangelischen
Gläubigkeit des Königs in so wunderlichem Widerspruch stand -- bewußt
und unbewußt gefördert hatte. Gegen das Bild, das der General von Nadowitz
von der nach 1850 in Deutschland eingetretuen innern Zerrissenheit und rat¬
losem Verbitterung entwarf, ein Bild, "das an Lebenswahrheit seinesgleichen
suchte," hatte der evangelische Theolog nichts einzuwenden. Um so heraus¬
fordernder und bedrohlicher erschienen ihm die zahlreichen Stellen der "Neuen
Gespräche," in denen der Verfasser die Rückkehr der Protestanten in den Schoß
der allein wahren Kirche voraussetzte und aus der Wendung des positiven
Protestantismus zum orthodoxen Pietismus der Hengstenbergischcn Schule
folgerte, daß nur noch ein Schritt, der letzte, zu thun sei. "Aber es gab noch
einen andern positiven Protestantismus, als dessen Jünger ich mich fühlte,
der vieles und durchschlagendes zu sagen hatte, und so saßte ich mir ein Herz,
mich mit diesem Standpunkt der neuern deutsch-evangelischen Theologie in jene
Zwiegespräche einzumischen." Die aus diesem Drang hervorgehenden "Evan¬
gelischen Beitrage zu den alten und neuen Gesprächen über Staat und Kirche"
brachten Beyschlag von nah und fern Zustimmung, erregten aber die leiden¬
schaftlichste Erbitterung der Trierer Ultramontanen, denen das bloße Vor¬
handensein einer evangelischen Gemeinde und eines evangelischen Pfarrers in
der alten Bischofsstadt ein Greuel war. Im vierten Monat seines jungen
Hausstandes sah sich der Verfasser durch den katholischen Staatsanwalt vor
dem Zuchtpolizeigericht wegen seiner "Beiträge" angeklagt und einer angeblich
boshaften Tendenz gegen die katholische Kirche und Schmähungen ihrer Lehren
und Einrichtungen für schuldig befunden, auch zu einem Monat Gefängnis¬
strafe und den Kosten verurteilt, ein Urteil, über das selbst der General von
Nadowitz, gegen den Beyschlag doch geschrieben hatte, und der sich auch bei diesem
Anlaß als ritterlicher, hochherziger Mann erwies, aufs äußerste entrüstet war.


Grenzboten IV 1396 42
Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

einer Gemeinde, die zwölfhundert Seelen unter zwanzigtausend Katholiken um¬
faßte. In dieser ersten größern selbständigen Stellung fand Beyschlag eine
große, vielseitige Wirksamkeit, begründete sich durch seine in diese Zeit fallende
und in der Selbstbiographie so schlicht wie anmutig und gewinnend erzählte
Verlobung und Heirat ein volles häusliches Glück, fand aber bald Ursache,
diese ersten Predigerjahre als „Trierer Kriegsjahre" anzusehen. Mehr und mehr
war Beyschlag jetzt auch in eine litterarische Thätigkeit hineingekommen, und
die Stellung, in der er sich mitten in einer der Hochburgen des „rheinischen"
Ultramontanismus befand, legte es ihm nahe, die Versuche zu bekämpfen, die
damals wie später gemacht wurden, Deutschland wieder zu katholisiren. Eine
der geistreichsten Schriften, die in diesem Sinne von Angehörigen der alten
Kirche ausgingen, waren die „Neuen Gespräche über Staat und Kirche" des
Generals I. von Nadowitz, der König Friedrich Wilhelm IV. nahe gestanden
und die fast krankhafte Parteilichkeit des geistvollen Herrschers für die katho¬
lische Kirche — eine Parteilichkeit, die mit der unerschütterlichen evangelischen
Gläubigkeit des Königs in so wunderlichem Widerspruch stand — bewußt
und unbewußt gefördert hatte. Gegen das Bild, das der General von Nadowitz
von der nach 1850 in Deutschland eingetretuen innern Zerrissenheit und rat¬
losem Verbitterung entwarf, ein Bild, „das an Lebenswahrheit seinesgleichen
suchte," hatte der evangelische Theolog nichts einzuwenden. Um so heraus¬
fordernder und bedrohlicher erschienen ihm die zahlreichen Stellen der „Neuen
Gespräche," in denen der Verfasser die Rückkehr der Protestanten in den Schoß
der allein wahren Kirche voraussetzte und aus der Wendung des positiven
Protestantismus zum orthodoxen Pietismus der Hengstenbergischcn Schule
folgerte, daß nur noch ein Schritt, der letzte, zu thun sei. „Aber es gab noch
einen andern positiven Protestantismus, als dessen Jünger ich mich fühlte,
der vieles und durchschlagendes zu sagen hatte, und so saßte ich mir ein Herz,
mich mit diesem Standpunkt der neuern deutsch-evangelischen Theologie in jene
Zwiegespräche einzumischen." Die aus diesem Drang hervorgehenden „Evan¬
gelischen Beitrage zu den alten und neuen Gesprächen über Staat und Kirche"
brachten Beyschlag von nah und fern Zustimmung, erregten aber die leiden¬
schaftlichste Erbitterung der Trierer Ultramontanen, denen das bloße Vor¬
handensein einer evangelischen Gemeinde und eines evangelischen Pfarrers in
der alten Bischofsstadt ein Greuel war. Im vierten Monat seines jungen
Hausstandes sah sich der Verfasser durch den katholischen Staatsanwalt vor
dem Zuchtpolizeigericht wegen seiner „Beiträge" angeklagt und einer angeblich
boshaften Tendenz gegen die katholische Kirche und Schmähungen ihrer Lehren
und Einrichtungen für schuldig befunden, auch zu einem Monat Gefängnis¬
strafe und den Kosten verurteilt, ein Urteil, über das selbst der General von
Nadowitz, gegen den Beyschlag doch geschrieben hatte, und der sich auch bei diesem
Anlaß als ritterlicher, hochherziger Mann erwies, aufs äußerste entrüstet war.


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[0337] Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen einer Gemeinde, die zwölfhundert Seelen unter zwanzigtausend Katholiken um¬ faßte. In dieser ersten größern selbständigen Stellung fand Beyschlag eine große, vielseitige Wirksamkeit, begründete sich durch seine in diese Zeit fallende und in der Selbstbiographie so schlicht wie anmutig und gewinnend erzählte Verlobung und Heirat ein volles häusliches Glück, fand aber bald Ursache, diese ersten Predigerjahre als „Trierer Kriegsjahre" anzusehen. Mehr und mehr war Beyschlag jetzt auch in eine litterarische Thätigkeit hineingekommen, und die Stellung, in der er sich mitten in einer der Hochburgen des „rheinischen" Ultramontanismus befand, legte es ihm nahe, die Versuche zu bekämpfen, die damals wie später gemacht wurden, Deutschland wieder zu katholisiren. Eine der geistreichsten Schriften, die in diesem Sinne von Angehörigen der alten Kirche ausgingen, waren die „Neuen Gespräche über Staat und Kirche" des Generals I. von Nadowitz, der König Friedrich Wilhelm IV. nahe gestanden und die fast krankhafte Parteilichkeit des geistvollen Herrschers für die katho¬ lische Kirche — eine Parteilichkeit, die mit der unerschütterlichen evangelischen Gläubigkeit des Königs in so wunderlichem Widerspruch stand — bewußt und unbewußt gefördert hatte. Gegen das Bild, das der General von Nadowitz von der nach 1850 in Deutschland eingetretuen innern Zerrissenheit und rat¬ losem Verbitterung entwarf, ein Bild, „das an Lebenswahrheit seinesgleichen suchte," hatte der evangelische Theolog nichts einzuwenden. Um so heraus¬ fordernder und bedrohlicher erschienen ihm die zahlreichen Stellen der „Neuen Gespräche," in denen der Verfasser die Rückkehr der Protestanten in den Schoß der allein wahren Kirche voraussetzte und aus der Wendung des positiven Protestantismus zum orthodoxen Pietismus der Hengstenbergischcn Schule folgerte, daß nur noch ein Schritt, der letzte, zu thun sei. „Aber es gab noch einen andern positiven Protestantismus, als dessen Jünger ich mich fühlte, der vieles und durchschlagendes zu sagen hatte, und so saßte ich mir ein Herz, mich mit diesem Standpunkt der neuern deutsch-evangelischen Theologie in jene Zwiegespräche einzumischen." Die aus diesem Drang hervorgehenden „Evan¬ gelischen Beitrage zu den alten und neuen Gesprächen über Staat und Kirche" brachten Beyschlag von nah und fern Zustimmung, erregten aber die leiden¬ schaftlichste Erbitterung der Trierer Ultramontanen, denen das bloße Vor¬ handensein einer evangelischen Gemeinde und eines evangelischen Pfarrers in der alten Bischofsstadt ein Greuel war. Im vierten Monat seines jungen Hausstandes sah sich der Verfasser durch den katholischen Staatsanwalt vor dem Zuchtpolizeigericht wegen seiner „Beiträge" angeklagt und einer angeblich boshaften Tendenz gegen die katholische Kirche und Schmähungen ihrer Lehren und Einrichtungen für schuldig befunden, auch zu einem Monat Gefängnis¬ strafe und den Kosten verurteilt, ein Urteil, über das selbst der General von Nadowitz, gegen den Beyschlag doch geschrieben hatte, und der sich auch bei diesem Anlaß als ritterlicher, hochherziger Mann erwies, aufs äußerste entrüstet war. Grenzboten IV 1396 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/337>, abgerufen am 08.01.2025.