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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Christentum erkennen ließen, an denen aber der jüngere Freund und dessen
vertrautester Genosse Albrecht Wolters "den tiefen heiligen Ernst des Zweiflers
vermißten. Während wir jungen Leute in Berlin mit aller Kraft unsrer
Seele den Kampf der Zeit zwischen Philosophie und Christenglauben durch¬
kämpften, war Kinkel ohne ernste Kämpfe und neue Studien, lediglich auf
dem Wege der Stimmung und Verstimmung aus seiner frühern warmen
Herzensgläubigkeit zu einem armseligen Deismus herabgeglitten." In den
Briefen, die hierüber gewechselt wurden, und in denen der Schüler scharfe
Kritik an dem befreundeten frühern Meister übte, wurde sich Beyschlag wohl
zuerst dessen bewußt, was mitten im Ansturm der Skepsis und der Kritik in
ihm feststand. Ans die Anschuldigung, daß "sein Christentum nicht so wohl
auf einem tiefen Gefühl der Erlösungsbedürftigkeit, als auf historischen Urteilen,
ästhetischem Wohlgefallen und sittlicher Anhänglichkeit beruhe," mußte er sich
später, in dem letzten Studienjahre, das wieder zu Bonn verbracht wurde, ein¬
gestehen, daß er keine Höllenfahrt der Selbsterkenntnis kannte, durch die er zur
Himmelfahrt der Heilserfahrung hätte gelangen können, konnte sich aber der
Gewißheit trösten, daß er ein Christ von Kind auf war, es nur immer mehr
zu werden, nicht aber aus einem außerchristlichen Zustand in einen christlichen
überzugehen hatte. "Ich konnte niemals, wie so viele Protestanten, den
Schwerpunkt des subjektiven Christentums einseitig in die Aufhebung des
Schuldgefühls, in die Sündenvergebung legen, als ob Christus uns nur von
dem Schatten der Sünde, vom Schuldbewußtsein hätte erlösen wollen, und
nicht vor allem von der Sünde selbst, als ob nicht die Heiligung, die sittliche
Vollendung der letzte und eigentliche Wille Gottes an uns wäre."

Wohl mag der Verfasser hier manches vorwegnehmen, was erst ein langes,
ernstes und thätiges Leben, die Erfahrung und ein immer umfassenderes Studium
in ihm unerschütterlich befestigt hat, aber die Grundstimmung der zweiten
Bonner Studienzeit, in der er sich befähigt und berufen fühlte, nunmehr im
ausschließlichem Sinne als früher der Schüler von Karl Immanuel Nitzsch
zu werden, ist treu und lebendig wiedergegeben. Der junge Theolog konnte
es als Glück preisen, daß er so früh und mitten in den wildesten Wirren und
Gährungen der Zeit einen festen und unverlierbaren Grund gewann, er konnte
nicht erwarten, daß ihm alle Jugendfreunde auf seinem Wege folgten und
hatte zunächst den Schmerz, Kinkel immer weiter nach links gehen zu sehen.
An den Stiftungsfesten des Maiküferbundes in den Jahren 1844 und 1845
hatte Beyschlag noch Anteil genommen, umsomehr, als Kinkel mit dem Über¬
tritt von der theologischen zur philosophischen Fakultät und mit der Ernennung
zum außerordentlichen Professor der Kunstgeschichte "die alte Frische und
Freundlichkeit" zurückgewonnen zu haben schien. Bei dem Stiftungsfest von
1844 erhielt Beyschlag für sein Märchen "Frühröschcn" den zweiten Preis,
der erste war Kinkel für die Anfänge der erst Jahrzehnte später vollendeten


Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Christentum erkennen ließen, an denen aber der jüngere Freund und dessen
vertrautester Genosse Albrecht Wolters „den tiefen heiligen Ernst des Zweiflers
vermißten. Während wir jungen Leute in Berlin mit aller Kraft unsrer
Seele den Kampf der Zeit zwischen Philosophie und Christenglauben durch¬
kämpften, war Kinkel ohne ernste Kämpfe und neue Studien, lediglich auf
dem Wege der Stimmung und Verstimmung aus seiner frühern warmen
Herzensgläubigkeit zu einem armseligen Deismus herabgeglitten." In den
Briefen, die hierüber gewechselt wurden, und in denen der Schüler scharfe
Kritik an dem befreundeten frühern Meister übte, wurde sich Beyschlag wohl
zuerst dessen bewußt, was mitten im Ansturm der Skepsis und der Kritik in
ihm feststand. Ans die Anschuldigung, daß „sein Christentum nicht so wohl
auf einem tiefen Gefühl der Erlösungsbedürftigkeit, als auf historischen Urteilen,
ästhetischem Wohlgefallen und sittlicher Anhänglichkeit beruhe," mußte er sich
später, in dem letzten Studienjahre, das wieder zu Bonn verbracht wurde, ein¬
gestehen, daß er keine Höllenfahrt der Selbsterkenntnis kannte, durch die er zur
Himmelfahrt der Heilserfahrung hätte gelangen können, konnte sich aber der
Gewißheit trösten, daß er ein Christ von Kind auf war, es nur immer mehr
zu werden, nicht aber aus einem außerchristlichen Zustand in einen christlichen
überzugehen hatte. „Ich konnte niemals, wie so viele Protestanten, den
Schwerpunkt des subjektiven Christentums einseitig in die Aufhebung des
Schuldgefühls, in die Sündenvergebung legen, als ob Christus uns nur von
dem Schatten der Sünde, vom Schuldbewußtsein hätte erlösen wollen, und
nicht vor allem von der Sünde selbst, als ob nicht die Heiligung, die sittliche
Vollendung der letzte und eigentliche Wille Gottes an uns wäre."

Wohl mag der Verfasser hier manches vorwegnehmen, was erst ein langes,
ernstes und thätiges Leben, die Erfahrung und ein immer umfassenderes Studium
in ihm unerschütterlich befestigt hat, aber die Grundstimmung der zweiten
Bonner Studienzeit, in der er sich befähigt und berufen fühlte, nunmehr im
ausschließlichem Sinne als früher der Schüler von Karl Immanuel Nitzsch
zu werden, ist treu und lebendig wiedergegeben. Der junge Theolog konnte
es als Glück preisen, daß er so früh und mitten in den wildesten Wirren und
Gährungen der Zeit einen festen und unverlierbaren Grund gewann, er konnte
nicht erwarten, daß ihm alle Jugendfreunde auf seinem Wege folgten und
hatte zunächst den Schmerz, Kinkel immer weiter nach links gehen zu sehen.
An den Stiftungsfesten des Maiküferbundes in den Jahren 1844 und 1845
hatte Beyschlag noch Anteil genommen, umsomehr, als Kinkel mit dem Über¬
tritt von der theologischen zur philosophischen Fakultät und mit der Ernennung
zum außerordentlichen Professor der Kunstgeschichte „die alte Frische und
Freundlichkeit" zurückgewonnen zu haben schien. Bei dem Stiftungsfest von
1844 erhielt Beyschlag für sein Märchen „Frühröschcn" den zweiten Preis,
der erste war Kinkel für die Anfänge der erst Jahrzehnte später vollendeten


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[0333] Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen Christentum erkennen ließen, an denen aber der jüngere Freund und dessen vertrautester Genosse Albrecht Wolters „den tiefen heiligen Ernst des Zweiflers vermißten. Während wir jungen Leute in Berlin mit aller Kraft unsrer Seele den Kampf der Zeit zwischen Philosophie und Christenglauben durch¬ kämpften, war Kinkel ohne ernste Kämpfe und neue Studien, lediglich auf dem Wege der Stimmung und Verstimmung aus seiner frühern warmen Herzensgläubigkeit zu einem armseligen Deismus herabgeglitten." In den Briefen, die hierüber gewechselt wurden, und in denen der Schüler scharfe Kritik an dem befreundeten frühern Meister übte, wurde sich Beyschlag wohl zuerst dessen bewußt, was mitten im Ansturm der Skepsis und der Kritik in ihm feststand. Ans die Anschuldigung, daß „sein Christentum nicht so wohl auf einem tiefen Gefühl der Erlösungsbedürftigkeit, als auf historischen Urteilen, ästhetischem Wohlgefallen und sittlicher Anhänglichkeit beruhe," mußte er sich später, in dem letzten Studienjahre, das wieder zu Bonn verbracht wurde, ein¬ gestehen, daß er keine Höllenfahrt der Selbsterkenntnis kannte, durch die er zur Himmelfahrt der Heilserfahrung hätte gelangen können, konnte sich aber der Gewißheit trösten, daß er ein Christ von Kind auf war, es nur immer mehr zu werden, nicht aber aus einem außerchristlichen Zustand in einen christlichen überzugehen hatte. „Ich konnte niemals, wie so viele Protestanten, den Schwerpunkt des subjektiven Christentums einseitig in die Aufhebung des Schuldgefühls, in die Sündenvergebung legen, als ob Christus uns nur von dem Schatten der Sünde, vom Schuldbewußtsein hätte erlösen wollen, und nicht vor allem von der Sünde selbst, als ob nicht die Heiligung, die sittliche Vollendung der letzte und eigentliche Wille Gottes an uns wäre." Wohl mag der Verfasser hier manches vorwegnehmen, was erst ein langes, ernstes und thätiges Leben, die Erfahrung und ein immer umfassenderes Studium in ihm unerschütterlich befestigt hat, aber die Grundstimmung der zweiten Bonner Studienzeit, in der er sich befähigt und berufen fühlte, nunmehr im ausschließlichem Sinne als früher der Schüler von Karl Immanuel Nitzsch zu werden, ist treu und lebendig wiedergegeben. Der junge Theolog konnte es als Glück preisen, daß er so früh und mitten in den wildesten Wirren und Gährungen der Zeit einen festen und unverlierbaren Grund gewann, er konnte nicht erwarten, daß ihm alle Jugendfreunde auf seinem Wege folgten und hatte zunächst den Schmerz, Kinkel immer weiter nach links gehen zu sehen. An den Stiftungsfesten des Maiküferbundes in den Jahren 1844 und 1845 hatte Beyschlag noch Anteil genommen, umsomehr, als Kinkel mit dem Über¬ tritt von der theologischen zur philosophischen Fakultät und mit der Ernennung zum außerordentlichen Professor der Kunstgeschichte „die alte Frische und Freundlichkeit" zurückgewonnen zu haben schien. Bei dem Stiftungsfest von 1844 erhielt Beyschlag für sein Märchen „Frühröschcn" den zweiten Preis, der erste war Kinkel für die Anfänge der erst Jahrzehnte später vollendeten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/333>, abgerufen am 08.01.2025.