Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand

würde nach seiner Ansicht die Negierung ans die "abschüssige Bahn" führen,
"einen gleichen Anspruch auf Sicherung der Preise den andern Gewerben ge¬
währen zu müssen, sowie dem Arbeiter einen Anspruch auf Garantie seines
Lohnes zuzugestehen." Dabei müßte, wie er meint, die gleichmäßige Festsetzung
des Preises für alle Grenzen des deutschen Reichs mit gegenwärtig sehr un¬
gleichen Preisverhältnissen zu großen Unzuträglichkeiten führen. Da ferner die
Preise des Sommergetreides bei weitem nicht so gesunken seien, wie die Preise
des Brotgetreides, würde die Bestimmung der Durchschnittspreise der letzten
vierzig Jahre eine der Landwirtschaft wenig zuträgliche Prämie für die Er¬
weiterung des Anbaues von Brodgetreide mit sich bringen. Unzweifelhaft
würde dann auch nach den Vorschlägen des österreichischen Müllereibesitzers
und Bäckers Till in Brück i. Se. die Monopolisirung des Müller- und Bäcker¬
gewerbes gefordert werden. "Kein Wunder, wenn der Abgeordnete Babel bei
den Veratungen der Neichstagskommissivn über den Antrag Kanitz aus diesen
Vorschläge" den Schluß zog, daß die gegenwärtige Gesellschaft bereits ihre
Unhaltbarkeit erkenne und mit Macht dem sozialistischen Staat zusteure."

Die Anlage von Kornlagerhäusern, wie sie in Preußen jetzt geplant wird,
hält Conrad sür durchaus erwünscht. Er hofft, daß der Landwirt dadurch
wenigstens zunächst vom Zwischenhändler befreit oder, wie er es ausdrückt,
"in erster Instanz erheblich vom Zwischenhändler emanzipirt" werden könne.
Aber davon einen großen Einfluß auf die Preisbildung selbst, die nun einmal
international erfolge, zu erwarten, sei eine Täuschung. Der Landwirt könne
nur etwas höhere Ortspreise erhalten, indem ihm ein Teil des bisherigen
Nutzens des Zwischenhändlers verbleibe. Da man aber diesen meist sehr
überschätze, würden Enttäuschungen nicht ausbleiben. Jedenfalls sei bei der
Anlage große Borsicht geboten, und man dürfe die Hoffnung darauf
nicht zu hoch spannen. Die häufigen Bankerotte der amerikanischen Cvunth-
Elevatoren und Lagerhansgenossenschaften der Farmer müßten als Warnungs-
zeichen besonders hervorgehoben werden.

Was die Wirkung der bisherigen deutschen Getreidezölle anlangt, so
wiederholt Conrad sein schon früher abgegebnes Urteil dahin, daß sie die
Preise des Grund und Bodens wie die Pachtsätze "anerkanntermaßen" un¬
verhältnismäßig hoch gehalten haben, sodaß der Gesunduugsprozeß der Land¬
wirtschaft dadurch ausdrücklich aufgehalten worden sei, daß "die früher über¬
mäßige Steigerung des Grundwertes und des Pachtpreises nicht auf ihr
richtiges Maß zurückgeführt wurde." Auf der andern Seite sei anzuerkennen,
daß den Landwirten, die sich durch ihre Mittel, wie durch ihre Einsicht der
Lage gewachsen zeigten, durch die Zölle eine wesentliche Hilfe gewährt sei, die
der Gesamtheit zu gute komme. Wir kommen, sagt er, nach allem zu dem
Ergebnis, daß die Agrarzölle allerdings nnter Umständen geboten erscheinen
und für die Volkswirtschaft von großem Nutzen sein können, daß aber ihre


Grenzboten IV 1896 M
Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand

würde nach seiner Ansicht die Negierung ans die „abschüssige Bahn" führen,
„einen gleichen Anspruch auf Sicherung der Preise den andern Gewerben ge¬
währen zu müssen, sowie dem Arbeiter einen Anspruch auf Garantie seines
Lohnes zuzugestehen." Dabei müßte, wie er meint, die gleichmäßige Festsetzung
des Preises für alle Grenzen des deutschen Reichs mit gegenwärtig sehr un¬
gleichen Preisverhältnissen zu großen Unzuträglichkeiten führen. Da ferner die
Preise des Sommergetreides bei weitem nicht so gesunken seien, wie die Preise
des Brotgetreides, würde die Bestimmung der Durchschnittspreise der letzten
vierzig Jahre eine der Landwirtschaft wenig zuträgliche Prämie für die Er¬
weiterung des Anbaues von Brodgetreide mit sich bringen. Unzweifelhaft
würde dann auch nach den Vorschlägen des österreichischen Müllereibesitzers
und Bäckers Till in Brück i. Se. die Monopolisirung des Müller- und Bäcker¬
gewerbes gefordert werden. „Kein Wunder, wenn der Abgeordnete Babel bei
den Veratungen der Neichstagskommissivn über den Antrag Kanitz aus diesen
Vorschläge» den Schluß zog, daß die gegenwärtige Gesellschaft bereits ihre
Unhaltbarkeit erkenne und mit Macht dem sozialistischen Staat zusteure."

Die Anlage von Kornlagerhäusern, wie sie in Preußen jetzt geplant wird,
hält Conrad sür durchaus erwünscht. Er hofft, daß der Landwirt dadurch
wenigstens zunächst vom Zwischenhändler befreit oder, wie er es ausdrückt,
„in erster Instanz erheblich vom Zwischenhändler emanzipirt" werden könne.
Aber davon einen großen Einfluß auf die Preisbildung selbst, die nun einmal
international erfolge, zu erwarten, sei eine Täuschung. Der Landwirt könne
nur etwas höhere Ortspreise erhalten, indem ihm ein Teil des bisherigen
Nutzens des Zwischenhändlers verbleibe. Da man aber diesen meist sehr
überschätze, würden Enttäuschungen nicht ausbleiben. Jedenfalls sei bei der
Anlage große Borsicht geboten, und man dürfe die Hoffnung darauf
nicht zu hoch spannen. Die häufigen Bankerotte der amerikanischen Cvunth-
Elevatoren und Lagerhansgenossenschaften der Farmer müßten als Warnungs-
zeichen besonders hervorgehoben werden.

Was die Wirkung der bisherigen deutschen Getreidezölle anlangt, so
wiederholt Conrad sein schon früher abgegebnes Urteil dahin, daß sie die
Preise des Grund und Bodens wie die Pachtsätze „anerkanntermaßen" un¬
verhältnismäßig hoch gehalten haben, sodaß der Gesunduugsprozeß der Land¬
wirtschaft dadurch ausdrücklich aufgehalten worden sei, daß „die früher über¬
mäßige Steigerung des Grundwertes und des Pachtpreises nicht auf ihr
richtiges Maß zurückgeführt wurde." Auf der andern Seite sei anzuerkennen,
daß den Landwirten, die sich durch ihre Mittel, wie durch ihre Einsicht der
Lage gewachsen zeigten, durch die Zölle eine wesentliche Hilfe gewährt sei, die
der Gesamtheit zu gute komme. Wir kommen, sagt er, nach allem zu dem
Ergebnis, daß die Agrarzölle allerdings nnter Umständen geboten erscheinen
und für die Volkswirtschaft von großem Nutzen sein können, daß aber ihre


Grenzboten IV 1896 M
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223897"/>
          <fw type="header" place="top"> Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_963" prev="#ID_962"> würde nach seiner Ansicht die Negierung ans die &#x201E;abschüssige Bahn" führen,<lb/>
&#x201E;einen gleichen Anspruch auf Sicherung der Preise den andern Gewerben ge¬<lb/>
währen zu müssen, sowie dem Arbeiter einen Anspruch auf Garantie seines<lb/>
Lohnes zuzugestehen." Dabei müßte, wie er meint, die gleichmäßige Festsetzung<lb/>
des Preises für alle Grenzen des deutschen Reichs mit gegenwärtig sehr un¬<lb/>
gleichen Preisverhältnissen zu großen Unzuträglichkeiten führen. Da ferner die<lb/>
Preise des Sommergetreides bei weitem nicht so gesunken seien, wie die Preise<lb/>
des Brotgetreides, würde die Bestimmung der Durchschnittspreise der letzten<lb/>
vierzig Jahre eine der Landwirtschaft wenig zuträgliche Prämie für die Er¬<lb/>
weiterung des Anbaues von Brodgetreide mit sich bringen. Unzweifelhaft<lb/>
würde dann auch nach den Vorschlägen des österreichischen Müllereibesitzers<lb/>
und Bäckers Till in Brück i. Se. die Monopolisirung des Müller- und Bäcker¬<lb/>
gewerbes gefordert werden. &#x201E;Kein Wunder, wenn der Abgeordnete Babel bei<lb/>
den Veratungen der Neichstagskommissivn über den Antrag Kanitz aus diesen<lb/>
Vorschläge» den Schluß zog, daß die gegenwärtige Gesellschaft bereits ihre<lb/>
Unhaltbarkeit erkenne und mit Macht dem sozialistischen Staat zusteure."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_964"> Die Anlage von Kornlagerhäusern, wie sie in Preußen jetzt geplant wird,<lb/>
hält Conrad sür durchaus erwünscht. Er hofft, daß der Landwirt dadurch<lb/>
wenigstens zunächst vom Zwischenhändler befreit oder, wie er es ausdrückt,<lb/>
&#x201E;in erster Instanz erheblich vom Zwischenhändler emanzipirt" werden könne.<lb/>
Aber davon einen großen Einfluß auf die Preisbildung selbst, die nun einmal<lb/>
international erfolge, zu erwarten, sei eine Täuschung. Der Landwirt könne<lb/>
nur etwas höhere Ortspreise erhalten, indem ihm ein Teil des bisherigen<lb/>
Nutzens des Zwischenhändlers verbleibe. Da man aber diesen meist sehr<lb/>
überschätze, würden Enttäuschungen nicht ausbleiben. Jedenfalls sei bei der<lb/>
Anlage große Borsicht geboten, und man dürfe die Hoffnung darauf<lb/>
nicht zu hoch spannen. Die häufigen Bankerotte der amerikanischen Cvunth-<lb/>
Elevatoren und Lagerhansgenossenschaften der Farmer müßten als Warnungs-<lb/>
zeichen besonders hervorgehoben werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_965" next="#ID_966"> Was die Wirkung der bisherigen deutschen Getreidezölle anlangt, so<lb/>
wiederholt Conrad sein schon früher abgegebnes Urteil dahin, daß sie die<lb/>
Preise des Grund und Bodens wie die Pachtsätze &#x201E;anerkanntermaßen" un¬<lb/>
verhältnismäßig hoch gehalten haben, sodaß der Gesunduugsprozeß der Land¬<lb/>
wirtschaft dadurch ausdrücklich aufgehalten worden sei, daß &#x201E;die früher über¬<lb/>
mäßige Steigerung des Grundwertes und des Pachtpreises nicht auf ihr<lb/>
richtiges Maß zurückgeführt wurde." Auf der andern Seite sei anzuerkennen,<lb/>
daß den Landwirten, die sich durch ihre Mittel, wie durch ihre Einsicht der<lb/>
Lage gewachsen zeigten, durch die Zölle eine wesentliche Hilfe gewährt sei, die<lb/>
der Gesamtheit zu gute komme. Wir kommen, sagt er, nach allem zu dem<lb/>
Ergebnis, daß die Agrarzölle allerdings nnter Umständen geboten erscheinen<lb/>
und für die Volkswirtschaft von großem Nutzen sein können, daß aber ihre</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1896 M</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0313] Gerechte Urteile über den landwirtschaftlichen Notstand würde nach seiner Ansicht die Negierung ans die „abschüssige Bahn" führen, „einen gleichen Anspruch auf Sicherung der Preise den andern Gewerben ge¬ währen zu müssen, sowie dem Arbeiter einen Anspruch auf Garantie seines Lohnes zuzugestehen." Dabei müßte, wie er meint, die gleichmäßige Festsetzung des Preises für alle Grenzen des deutschen Reichs mit gegenwärtig sehr un¬ gleichen Preisverhältnissen zu großen Unzuträglichkeiten führen. Da ferner die Preise des Sommergetreides bei weitem nicht so gesunken seien, wie die Preise des Brotgetreides, würde die Bestimmung der Durchschnittspreise der letzten vierzig Jahre eine der Landwirtschaft wenig zuträgliche Prämie für die Er¬ weiterung des Anbaues von Brodgetreide mit sich bringen. Unzweifelhaft würde dann auch nach den Vorschlägen des österreichischen Müllereibesitzers und Bäckers Till in Brück i. Se. die Monopolisirung des Müller- und Bäcker¬ gewerbes gefordert werden. „Kein Wunder, wenn der Abgeordnete Babel bei den Veratungen der Neichstagskommissivn über den Antrag Kanitz aus diesen Vorschläge» den Schluß zog, daß die gegenwärtige Gesellschaft bereits ihre Unhaltbarkeit erkenne und mit Macht dem sozialistischen Staat zusteure." Die Anlage von Kornlagerhäusern, wie sie in Preußen jetzt geplant wird, hält Conrad sür durchaus erwünscht. Er hofft, daß der Landwirt dadurch wenigstens zunächst vom Zwischenhändler befreit oder, wie er es ausdrückt, „in erster Instanz erheblich vom Zwischenhändler emanzipirt" werden könne. Aber davon einen großen Einfluß auf die Preisbildung selbst, die nun einmal international erfolge, zu erwarten, sei eine Täuschung. Der Landwirt könne nur etwas höhere Ortspreise erhalten, indem ihm ein Teil des bisherigen Nutzens des Zwischenhändlers verbleibe. Da man aber diesen meist sehr überschätze, würden Enttäuschungen nicht ausbleiben. Jedenfalls sei bei der Anlage große Borsicht geboten, und man dürfe die Hoffnung darauf nicht zu hoch spannen. Die häufigen Bankerotte der amerikanischen Cvunth- Elevatoren und Lagerhansgenossenschaften der Farmer müßten als Warnungs- zeichen besonders hervorgehoben werden. Was die Wirkung der bisherigen deutschen Getreidezölle anlangt, so wiederholt Conrad sein schon früher abgegebnes Urteil dahin, daß sie die Preise des Grund und Bodens wie die Pachtsätze „anerkanntermaßen" un¬ verhältnismäßig hoch gehalten haben, sodaß der Gesunduugsprozeß der Land¬ wirtschaft dadurch ausdrücklich aufgehalten worden sei, daß „die früher über¬ mäßige Steigerung des Grundwertes und des Pachtpreises nicht auf ihr richtiges Maß zurückgeführt wurde." Auf der andern Seite sei anzuerkennen, daß den Landwirten, die sich durch ihre Mittel, wie durch ihre Einsicht der Lage gewachsen zeigten, durch die Zölle eine wesentliche Hilfe gewährt sei, die der Gesamtheit zu gute komme. Wir kommen, sagt er, nach allem zu dem Ergebnis, daß die Agrarzölle allerdings nnter Umständen geboten erscheinen und für die Volkswirtschaft von großem Nutzen sein können, daß aber ihre Grenzboten IV 1896 M

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/313
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/313>, abgerufen am 08.01.2025.