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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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daß sie Gott ernähren und bekleiden werde gleich den Vöglein, die nicht arbeiten,
und den Lilien, die nicht spinnen, Menschen, die es für ihre Pflicht halten,
jedem zu geben, der sie bittet, und dem Verlangenden zu leihen ohne etwas
dafür zu fordern, und wenn sie zwei Röcke haben, dem einen zu geben, der
keinen hat, Menschen, die das beschauliche Leben der Maria höher achten als
das thätige der Martha, solche Menschen können nimmermehr eine bürgerliche
Gesellschaft bilden; sie können es schon, aber nur dann, wenn sie nicht nach
ihren Grundsätzen handeln. Niemand kann zween Herren dienen, sagt Christus,
ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon, aber ohne Mammonsdienst
giebt es kein bürgerliches Leben und kein Staatswesen. Die alte Kirche war
daher im Recht, wenn sie den Staat vom Teufel stammen ließ (die Frage, ob
nicht doch am Ende die scheinbar unversöhnlichen Gegensätze eine gemeinsame
metaphysische Wurzel haben, lassen wir hier beiseite), aber die Ketzer hatten
nicht minder Recht, wenn sie die römische Kirche des Teufels Hure und den
Papst den Antichrist nannten; war doch diese Kirche ganz und gar nach welt¬
lichen Grundsätzen eingerichtet, und die päpstliche Kurie das größte Schatz- und
Bankhaus der Welt und der Mittelpunkt weltlicher Hoffahrt, weltlicher Lust,
weltlicher Ränke und aller Geldspeknlativnen. So verfielen denn Winkes und
Hus auf die Theorie von der unsichtbaren Kirche, von der auch Luther aus¬
ging. In seinem herrlichen Sermon von der Freiheit eines Christenmenschen
hat er das Geistliche und das Weltliche fein säuberlich geschieden und zugleich
harmonisch vereinigt, aber bald mußte er zu seinem Schmerz erleben, wie die
rohe, tolle Wirklichkeit alles wieder wüst durcheinander warf, und der einzige
Weg, Ordnung zu schaffen, die Wiederherstellung des alten juristisch-büreau-
kratischen Kirchenbaues im kleinern Maßstabe und als einer bloßen Abteilung
des Staatsgebäudes war. Damit zogen denn alle die alten Übel wieder in die
Kirche ein. Diese Erfahrungen bestätigen, was aus dem Neuen Testament von
vornherein geschlossen werden mußte, daß es zwar einzelne Christen, aber keine
auf der Grundlage des Neuen Testaments ruhende bürgerliche Gesellschaft geben
kann, und daß sogar die Kirchen, sofern ihr Bestand Eigentum und Rechte
sowie die Beteiligung an den weltlichen Händeln voraussetzt, niemals wahrhaft
christliche Gemeinschaften sein können. Die Kirchen sind notwendig als Gefäße,
in denen die göttliche Lehre aufbewahrt, und als Anstalten, durch die sie ver¬
breitet wird, ja sie machen sie anch mitunter in der einen oder der andern
Beziehung wirksam; aber im großen und ganzen ist der Geist, den sie durch
die Jahrhunderte zu bewahren berufen sind, ein andrer als der, aus dem sie
leben, und der sie beseelt; dieser ist, gleich dem Geiste der Staaten und der
bürgerlichen Gesellschaft, der Weltgeist. Beide mit einander zu versöhnen wird
niemals möglich sein, und die Naivität, mit der die mittelalterlichen Obrig¬
keiten in so vielen Fällen bekannten: wir möchten schon gern christlich handeln,
aber es geht nicht! ist doch der Heuchelei bei weitem vorzuziehn, mit der sich


Line Geschichte der Juden

daß sie Gott ernähren und bekleiden werde gleich den Vöglein, die nicht arbeiten,
und den Lilien, die nicht spinnen, Menschen, die es für ihre Pflicht halten,
jedem zu geben, der sie bittet, und dem Verlangenden zu leihen ohne etwas
dafür zu fordern, und wenn sie zwei Röcke haben, dem einen zu geben, der
keinen hat, Menschen, die das beschauliche Leben der Maria höher achten als
das thätige der Martha, solche Menschen können nimmermehr eine bürgerliche
Gesellschaft bilden; sie können es schon, aber nur dann, wenn sie nicht nach
ihren Grundsätzen handeln. Niemand kann zween Herren dienen, sagt Christus,
ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon, aber ohne Mammonsdienst
giebt es kein bürgerliches Leben und kein Staatswesen. Die alte Kirche war
daher im Recht, wenn sie den Staat vom Teufel stammen ließ (die Frage, ob
nicht doch am Ende die scheinbar unversöhnlichen Gegensätze eine gemeinsame
metaphysische Wurzel haben, lassen wir hier beiseite), aber die Ketzer hatten
nicht minder Recht, wenn sie die römische Kirche des Teufels Hure und den
Papst den Antichrist nannten; war doch diese Kirche ganz und gar nach welt¬
lichen Grundsätzen eingerichtet, und die päpstliche Kurie das größte Schatz- und
Bankhaus der Welt und der Mittelpunkt weltlicher Hoffahrt, weltlicher Lust,
weltlicher Ränke und aller Geldspeknlativnen. So verfielen denn Winkes und
Hus auf die Theorie von der unsichtbaren Kirche, von der auch Luther aus¬
ging. In seinem herrlichen Sermon von der Freiheit eines Christenmenschen
hat er das Geistliche und das Weltliche fein säuberlich geschieden und zugleich
harmonisch vereinigt, aber bald mußte er zu seinem Schmerz erleben, wie die
rohe, tolle Wirklichkeit alles wieder wüst durcheinander warf, und der einzige
Weg, Ordnung zu schaffen, die Wiederherstellung des alten juristisch-büreau-
kratischen Kirchenbaues im kleinern Maßstabe und als einer bloßen Abteilung
des Staatsgebäudes war. Damit zogen denn alle die alten Übel wieder in die
Kirche ein. Diese Erfahrungen bestätigen, was aus dem Neuen Testament von
vornherein geschlossen werden mußte, daß es zwar einzelne Christen, aber keine
auf der Grundlage des Neuen Testaments ruhende bürgerliche Gesellschaft geben
kann, und daß sogar die Kirchen, sofern ihr Bestand Eigentum und Rechte
sowie die Beteiligung an den weltlichen Händeln voraussetzt, niemals wahrhaft
christliche Gemeinschaften sein können. Die Kirchen sind notwendig als Gefäße,
in denen die göttliche Lehre aufbewahrt, und als Anstalten, durch die sie ver¬
breitet wird, ja sie machen sie anch mitunter in der einen oder der andern
Beziehung wirksam; aber im großen und ganzen ist der Geist, den sie durch
die Jahrhunderte zu bewahren berufen sind, ein andrer als der, aus dem sie
leben, und der sie beseelt; dieser ist, gleich dem Geiste der Staaten und der
bürgerlichen Gesellschaft, der Weltgeist. Beide mit einander zu versöhnen wird
niemals möglich sein, und die Naivität, mit der die mittelalterlichen Obrig¬
keiten in so vielen Fällen bekannten: wir möchten schon gern christlich handeln,
aber es geht nicht! ist doch der Heuchelei bei weitem vorzuziehn, mit der sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/285>, abgerufen am 08.01.2025.