Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Skizzen ans unserm heutigen Volksleben malte ihnen die drohende Gefahr mit lebhaften Farben aus und bestimmte sie, ihre Daß es besonders einflußreiche Personen gewesen wären, die sich eingefunden Der Herr Pastor gab sich nun alle erdenkliche Mühe, seine Sache in Schwung Inzwischen begannen die Feldarbeiten, der Besuch der Vereinsabende wurde Bald darauf las er in einer Zeitschrift eine Betrachtung über "Paulus auf Skizzen ans unserm heutigen Volksleben malte ihnen die drohende Gefahr mit lebhaften Farben aus und bestimmte sie, ihre Daß es besonders einflußreiche Personen gewesen wären, die sich eingefunden Der Herr Pastor gab sich nun alle erdenkliche Mühe, seine Sache in Schwung Inzwischen begannen die Feldarbeiten, der Besuch der Vereinsabende wurde Bald darauf las er in einer Zeitschrift eine Betrachtung über „Paulus auf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223823"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen ans unserm heutigen Volksleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_710" prev="#ID_709"> malte ihnen die drohende Gefahr mit lebhaften Farben aus und bestimmte sie, ihre<lb/> Knechte zu dem zu gründenden Verein zu schicken. Sie versprachen es mich,<lb/> weniger, weil sie von der Sache überzeugt gewesen wären, als um dem Herrn Pastor<lb/> gefällig zu sein. Am nächsten Sonntag Abend waren sechs Mann da, der Herr<lb/> Pastor konnte seinen Vortrag halten, und die Frau Pastorin brachte ihren Thee<lb/> und ihre Kröppelchen an den Manu.</p><lb/> <p xml:id="ID_711"> Daß es besonders einflußreiche Personen gewesen wären, die sich eingefunden<lb/> hatten, konnte man nicht behaupten. Flinzer-Angust wenigstens zeichnete sich nicht<lb/> gerade durch Intelligenz aus, er war, um es offen zu sagen, eine Schlafmütze.<lb/> Und der dicke Wilhelm war nur da zu haben, wo es etwas zu essen gab. Was<lb/> aber deu roten Wenzel betraf, so galt dieser allgemein für einen „Jesuiter," es war<lb/> ihm also nicht zu trauen. Der einzige, der etwas zu bedeuten hatte, war der Groß-<lb/> knecht von Samuel Kraut. Aber der hatte offen erklärt, er gehe nur wegen seines<lb/> Herrn hin, und wenn ihm die Geschichte „zu dumm" würde, dann schwömme er ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_712"> Der Herr Pastor gab sich nun alle erdenkliche Mühe, seine Sache in Schwung<lb/> zu bringen; er bereitete sich aufs gewissenhafteste auf seine Vorträge vor nud lebte<lb/> eigentlich nur noch für seinen Verein. Aber der Erfolg entsprach nicht der großen<lb/> Mühe. Die Mitgliederzahl mehrte sich nicht, ja auch nur die wenigen zusammen¬<lb/> zuhalten war schwerer, als der Herr Pastor ahnte. Samuel Kraut hatte an jedem<lb/> Vereinsabeud seinem Knechte mit Ernst und Güte zuzureden, um ihn auf die<lb/> Pfarre zu bringen, Zuletzt half auch das uicht mehr. Die Geschichte war ihm<lb/> „zu dumm" geworden, er schwamm also ab. Der dicke Wilhelm fing trotz des<lb/> Thees und der Krövpelchen der Frau Pastorin an zu streiken und war nur da¬<lb/> durch bei der Fahne zu halten, daß ihm sein Herr oder vielmehr dessen Frau<lb/> jedesmal eine Extraration Wurst versprach. Im Dorfe steckte mau die Kopfe zu¬<lb/> sammen und klatschte. Mau nannte die Vereinsabende Betstunden und die Vereins-<lb/> mitglieder Theekessel, was Flinzer-August, der sich besonders getroffen fühlte, sehr<lb/> übel nahm. Das junge Volk zog unter Anführung eiues Harmonikaspielers uuter<lb/> dem Fenster vorbei, wenn Vereinsabend war, juchzte und sang schlechte Lieder.<lb/> Der Herr Pastor merkte das wohl, aber er tröstete sich damit, daß, wenn der<lb/> Widerstand der finstern Mächte zunehme, dies ein sicheres Zeichen dafür sei, daß<lb/> die gute Sache fortschreite. Dies gab ihm Veranlassung, dem Hauvtvereiu für<lb/> christlich-soziale Bestrebungen von seinem antisozialen Arbeiterverein einen nicht<lb/> gerade schwarz gefärbten Bericht zu senden. Dieser wurde mit Freuden auf¬<lb/> genommen und unter lauten Trompetenstöße» veröffentlicht. Es dauerte nicht lange,<lb/> so galt Großweizendorf für einen Stern am christlich-sozialen Himmel.</p><lb/> <p xml:id="ID_713"> Inzwischen begannen die Feldarbeiten, der Besuch der Vereinsabende wurde<lb/> immer unregelmäßiger, und der Herr Pastor war, um nicht wieder in die Lage<lb/> zu kommen, vor leeren Stühle» zu stehen, endlich gezwungen, seinen Verein bis<lb/> auf weiteres in die Ferien zu schicken.</p><lb/> <p xml:id="ID_714"> Bald darauf las er in einer Zeitschrift eine Betrachtung über „Paulus auf<lb/> dem Markte zu Athen." In dieser Betrachtung wurde gefordert, daß das geist¬<lb/> liche Amt, dem Vorbilde des Apostels folgend, die verödete Einsamkeit des Heilig¬<lb/> tums verlassen, mitten unter das Volk treten und ohne Furcht davor, wie Paulus<lb/> ein Lotterbube genannt zu werden, mutig Zeugnis ablegen müsse. Wie aber<lb/> Paulus die Sprache seiner Zeit gesprochen habe, so komme dies dem Prediger der<lb/> Gegenwart much zu. Die Sprache der Gegenwart aber sei das gedruckte Wort.<lb/> Kein Bauwerk der Welt könne die Gemeinde fassen, die der um sich versäumte,<lb/> der durch die Presse rede.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0239]
Skizzen ans unserm heutigen Volksleben
malte ihnen die drohende Gefahr mit lebhaften Farben aus und bestimmte sie, ihre
Knechte zu dem zu gründenden Verein zu schicken. Sie versprachen es mich,
weniger, weil sie von der Sache überzeugt gewesen wären, als um dem Herrn Pastor
gefällig zu sein. Am nächsten Sonntag Abend waren sechs Mann da, der Herr
Pastor konnte seinen Vortrag halten, und die Frau Pastorin brachte ihren Thee
und ihre Kröppelchen an den Manu.
Daß es besonders einflußreiche Personen gewesen wären, die sich eingefunden
hatten, konnte man nicht behaupten. Flinzer-Angust wenigstens zeichnete sich nicht
gerade durch Intelligenz aus, er war, um es offen zu sagen, eine Schlafmütze.
Und der dicke Wilhelm war nur da zu haben, wo es etwas zu essen gab. Was
aber deu roten Wenzel betraf, so galt dieser allgemein für einen „Jesuiter," es war
ihm also nicht zu trauen. Der einzige, der etwas zu bedeuten hatte, war der Groß-
knecht von Samuel Kraut. Aber der hatte offen erklärt, er gehe nur wegen seines
Herrn hin, und wenn ihm die Geschichte „zu dumm" würde, dann schwömme er ab.
Der Herr Pastor gab sich nun alle erdenkliche Mühe, seine Sache in Schwung
zu bringen; er bereitete sich aufs gewissenhafteste auf seine Vorträge vor nud lebte
eigentlich nur noch für seinen Verein. Aber der Erfolg entsprach nicht der großen
Mühe. Die Mitgliederzahl mehrte sich nicht, ja auch nur die wenigen zusammen¬
zuhalten war schwerer, als der Herr Pastor ahnte. Samuel Kraut hatte an jedem
Vereinsabeud seinem Knechte mit Ernst und Güte zuzureden, um ihn auf die
Pfarre zu bringen, Zuletzt half auch das uicht mehr. Die Geschichte war ihm
„zu dumm" geworden, er schwamm also ab. Der dicke Wilhelm fing trotz des
Thees und der Krövpelchen der Frau Pastorin an zu streiken und war nur da¬
durch bei der Fahne zu halten, daß ihm sein Herr oder vielmehr dessen Frau
jedesmal eine Extraration Wurst versprach. Im Dorfe steckte mau die Kopfe zu¬
sammen und klatschte. Mau nannte die Vereinsabende Betstunden und die Vereins-
mitglieder Theekessel, was Flinzer-August, der sich besonders getroffen fühlte, sehr
übel nahm. Das junge Volk zog unter Anführung eiues Harmonikaspielers uuter
dem Fenster vorbei, wenn Vereinsabend war, juchzte und sang schlechte Lieder.
Der Herr Pastor merkte das wohl, aber er tröstete sich damit, daß, wenn der
Widerstand der finstern Mächte zunehme, dies ein sicheres Zeichen dafür sei, daß
die gute Sache fortschreite. Dies gab ihm Veranlassung, dem Hauvtvereiu für
christlich-soziale Bestrebungen von seinem antisozialen Arbeiterverein einen nicht
gerade schwarz gefärbten Bericht zu senden. Dieser wurde mit Freuden auf¬
genommen und unter lauten Trompetenstöße» veröffentlicht. Es dauerte nicht lange,
so galt Großweizendorf für einen Stern am christlich-sozialen Himmel.
Inzwischen begannen die Feldarbeiten, der Besuch der Vereinsabende wurde
immer unregelmäßiger, und der Herr Pastor war, um nicht wieder in die Lage
zu kommen, vor leeren Stühle» zu stehen, endlich gezwungen, seinen Verein bis
auf weiteres in die Ferien zu schicken.
Bald darauf las er in einer Zeitschrift eine Betrachtung über „Paulus auf
dem Markte zu Athen." In dieser Betrachtung wurde gefordert, daß das geist¬
liche Amt, dem Vorbilde des Apostels folgend, die verödete Einsamkeit des Heilig¬
tums verlassen, mitten unter das Volk treten und ohne Furcht davor, wie Paulus
ein Lotterbube genannt zu werden, mutig Zeugnis ablegen müsse. Wie aber
Paulus die Sprache seiner Zeit gesprochen habe, so komme dies dem Prediger der
Gegenwart much zu. Die Sprache der Gegenwart aber sei das gedruckte Wort.
Kein Bauwerk der Welt könne die Gemeinde fassen, die der um sich versäumte,
der durch die Presse rede.
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