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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Line Geschichte der Juden

Nübling gleich auf Seite 3 eine recht bedenkliche Probe ab. Aus einem
Privileg, das Innocenz III. dem Ulmer Augustinerkloster verliehen hat, führt
er die Stelle an: spseialitsr autem ooneessionsin super sexslisnäis ?"Z8tri"
tri>,tribu8, eonvsrsis et tAinilig, und fügt hinzu: "Der Ausdruck vcmvsrsis legt
die Vermutung nahe, daß es sich hier um sogenannte Kowertschen, wie man
die Darleiher vielfach nannte, gehandelt haben konnte und wäre in diesem Falle
ein Beitrag zu der viel umstrittnen Frage, woher der Name Kowertschen
kommt, indem er dafür spräche, daß das Wort von lateinischen ocmvsrsus,
d. i. Zugewandter, freier Beisitzer, Hintersasse, herkommt." Daß oonversus
Hintersasse bedeutet, dürfte den meisten Historikern neu sein. Im Kirchenlatein
bedeutet das Wort einen Bekehrten und ist seit Cassiodor und Beda terromus
töccknieus für solche Ordensgeistliche, die nicht im Kloster erzogen, sondern als
Erwachsene eingetreten waren; den Eintritt ins Kloster nannte man oonvsrsio:
Bekehrung vom sündhaften Weltleben. Seit Gregor VII. aber wurde der
Ausdruck zur Bezeichnung der Laienbrüder gebraucht. So gehts, wenn man
überall Juden oder wenigstens Kowertschen wittert! Über das Wort Kowertschen
wird übrigens kaum noch gestritten; man nimmt allgemein an, daß es entweder
ans Caorsiner verhunzt -- auch nach Nübling ernährten sich ja die Bewohner
der Stadt Cahors vorzugsweise mit Geldverleihcn -- oder vom Namen der
piemontesischen Stadt Cavour abgeleitet sei. Wenn man übrigens sieht, wie
der Name des Leipziger Historikers Lamprecht bei Nübling einigemal Lambrecht
gedruckt ist, so wandelt einen der Zweifel an, ob Nübling die Werke, die er
anführt, auch wirklich nachgeschlagen hat.

Vor allem kommt es ihm darauf an, zu zeigen, "daß die Sage von der
unsäglich schlechten Behandlung, die das Judenvolk im eigentlichen Mittelalter
erfahren haben soll, ein Märchen ist, und die eigentlich schlechte Behandlung
der Juden erst mit der Reformationszeit beginnt," Die zweite Behauptung
stimmt nicht mit dem, was Nübling später selbst ausführt; er sucht nachzu¬
weisen, daß die Juden ihre Glanzzeit um das Jahr 1400 erlebt hätten, und
daß es ihnen von da ab, also schon vor der Reformation, übel ergangen sei.
Ihre Bedrängnis hat aber, wie man wiederum aus Nüblings Buche ersieht,
schon weit früher, zur Zeit der Kreuzzüge angefangen, und Noscher wird gegen
Nübling Recht behalten mit seiner Ansicht, daß die Juden von der Zeit ab
ihre Macht verloren hätten und verfolgt worden seien, als das industrielle und
kaufmännische Stadtbürgertnm in Europa stark genug geworden war, die bis¬
herigen Inhaber der Handelsmacht und des Geldreichtums zu verdrängen.
Was aber den ersten Satz anlangt, so hat ihn schon vor achtzig Jahren
Karl Adolf Menzel sehr schön bewiesen, und dessen klassische Darstellung der
Sache hätte sich Nübling zum Muster nehmen können. Menzel stellt die Lage
der Juden im römischen Reiche dar, zählt die sie betreffenden Gesetze auf, zeigt,
wie sogar die ihnen auferlegten Beschränkungen in ebensoviele Begünstigungen


Line Geschichte der Juden

Nübling gleich auf Seite 3 eine recht bedenkliche Probe ab. Aus einem
Privileg, das Innocenz III. dem Ulmer Augustinerkloster verliehen hat, führt
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die Vermutung nahe, daß es sich hier um sogenannte Kowertschen, wie man
die Darleiher vielfach nannte, gehandelt haben konnte und wäre in diesem Falle
ein Beitrag zu der viel umstrittnen Frage, woher der Name Kowertschen
kommt, indem er dafür spräche, daß das Wort von lateinischen ocmvsrsus,
d. i. Zugewandter, freier Beisitzer, Hintersasse, herkommt." Daß oonversus
Hintersasse bedeutet, dürfte den meisten Historikern neu sein. Im Kirchenlatein
bedeutet das Wort einen Bekehrten und ist seit Cassiodor und Beda terromus
töccknieus für solche Ordensgeistliche, die nicht im Kloster erzogen, sondern als
Erwachsene eingetreten waren; den Eintritt ins Kloster nannte man oonvsrsio:
Bekehrung vom sündhaften Weltleben. Seit Gregor VII. aber wurde der
Ausdruck zur Bezeichnung der Laienbrüder gebraucht. So gehts, wenn man
überall Juden oder wenigstens Kowertschen wittert! Über das Wort Kowertschen
wird übrigens kaum noch gestritten; man nimmt allgemein an, daß es entweder
ans Caorsiner verhunzt — auch nach Nübling ernährten sich ja die Bewohner
der Stadt Cahors vorzugsweise mit Geldverleihcn — oder vom Namen der
piemontesischen Stadt Cavour abgeleitet sei. Wenn man übrigens sieht, wie
der Name des Leipziger Historikers Lamprecht bei Nübling einigemal Lambrecht
gedruckt ist, so wandelt einen der Zweifel an, ob Nübling die Werke, die er
anführt, auch wirklich nachgeschlagen hat.

Vor allem kommt es ihm darauf an, zu zeigen, „daß die Sage von der
unsäglich schlechten Behandlung, die das Judenvolk im eigentlichen Mittelalter
erfahren haben soll, ein Märchen ist, und die eigentlich schlechte Behandlung
der Juden erst mit der Reformationszeit beginnt," Die zweite Behauptung
stimmt nicht mit dem, was Nübling später selbst ausführt; er sucht nachzu¬
weisen, daß die Juden ihre Glanzzeit um das Jahr 1400 erlebt hätten, und
daß es ihnen von da ab, also schon vor der Reformation, übel ergangen sei.
Ihre Bedrängnis hat aber, wie man wiederum aus Nüblings Buche ersieht,
schon weit früher, zur Zeit der Kreuzzüge angefangen, und Noscher wird gegen
Nübling Recht behalten mit seiner Ansicht, daß die Juden von der Zeit ab
ihre Macht verloren hätten und verfolgt worden seien, als das industrielle und
kaufmännische Stadtbürgertnm in Europa stark genug geworden war, die bis¬
herigen Inhaber der Handelsmacht und des Geldreichtums zu verdrängen.
Was aber den ersten Satz anlangt, so hat ihn schon vor achtzig Jahren
Karl Adolf Menzel sehr schön bewiesen, und dessen klassische Darstellung der
Sache hätte sich Nübling zum Muster nehmen können. Menzel stellt die Lage
der Juden im römischen Reiche dar, zählt die sie betreffenden Gesetze auf, zeigt,
wie sogar die ihnen auferlegten Beschränkungen in ebensoviele Begünstigungen


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[0220] Line Geschichte der Juden Nübling gleich auf Seite 3 eine recht bedenkliche Probe ab. Aus einem Privileg, das Innocenz III. dem Ulmer Augustinerkloster verliehen hat, führt er die Stelle an: spseialitsr autem ooneessionsin super sexslisnäis ?«Z8tri« tri>,tribu8, eonvsrsis et tAinilig, und fügt hinzu: „Der Ausdruck vcmvsrsis legt die Vermutung nahe, daß es sich hier um sogenannte Kowertschen, wie man die Darleiher vielfach nannte, gehandelt haben konnte und wäre in diesem Falle ein Beitrag zu der viel umstrittnen Frage, woher der Name Kowertschen kommt, indem er dafür spräche, daß das Wort von lateinischen ocmvsrsus, d. i. Zugewandter, freier Beisitzer, Hintersasse, herkommt." Daß oonversus Hintersasse bedeutet, dürfte den meisten Historikern neu sein. Im Kirchenlatein bedeutet das Wort einen Bekehrten und ist seit Cassiodor und Beda terromus töccknieus für solche Ordensgeistliche, die nicht im Kloster erzogen, sondern als Erwachsene eingetreten waren; den Eintritt ins Kloster nannte man oonvsrsio: Bekehrung vom sündhaften Weltleben. Seit Gregor VII. aber wurde der Ausdruck zur Bezeichnung der Laienbrüder gebraucht. So gehts, wenn man überall Juden oder wenigstens Kowertschen wittert! Über das Wort Kowertschen wird übrigens kaum noch gestritten; man nimmt allgemein an, daß es entweder ans Caorsiner verhunzt — auch nach Nübling ernährten sich ja die Bewohner der Stadt Cahors vorzugsweise mit Geldverleihcn — oder vom Namen der piemontesischen Stadt Cavour abgeleitet sei. Wenn man übrigens sieht, wie der Name des Leipziger Historikers Lamprecht bei Nübling einigemal Lambrecht gedruckt ist, so wandelt einen der Zweifel an, ob Nübling die Werke, die er anführt, auch wirklich nachgeschlagen hat. Vor allem kommt es ihm darauf an, zu zeigen, „daß die Sage von der unsäglich schlechten Behandlung, die das Judenvolk im eigentlichen Mittelalter erfahren haben soll, ein Märchen ist, und die eigentlich schlechte Behandlung der Juden erst mit der Reformationszeit beginnt," Die zweite Behauptung stimmt nicht mit dem, was Nübling später selbst ausführt; er sucht nachzu¬ weisen, daß die Juden ihre Glanzzeit um das Jahr 1400 erlebt hätten, und daß es ihnen von da ab, also schon vor der Reformation, übel ergangen sei. Ihre Bedrängnis hat aber, wie man wiederum aus Nüblings Buche ersieht, schon weit früher, zur Zeit der Kreuzzüge angefangen, und Noscher wird gegen Nübling Recht behalten mit seiner Ansicht, daß die Juden von der Zeit ab ihre Macht verloren hätten und verfolgt worden seien, als das industrielle und kaufmännische Stadtbürgertnm in Europa stark genug geworden war, die bis¬ herigen Inhaber der Handelsmacht und des Geldreichtums zu verdrängen. Was aber den ersten Satz anlangt, so hat ihn schon vor achtzig Jahren Karl Adolf Menzel sehr schön bewiesen, und dessen klassische Darstellung der Sache hätte sich Nübling zum Muster nehmen können. Menzel stellt die Lage der Juden im römischen Reiche dar, zählt die sie betreffenden Gesetze auf, zeigt, wie sogar die ihnen auferlegten Beschränkungen in ebensoviele Begünstigungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/220>, abgerufen am 08.01.2025.