Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die deutsche Auswanderung nach Brasilien sie mit ihrem Handwerke eine landwirtschaftliche Beschäftigung verbinden. In Auch zur Lösung der Frauenfrage könnte die Auswcmdrung nach Süd¬ Wir haben von unsrer Erörterung bisher den Staat Sav Paulo aus¬ Es bleibt uns noch übrig, die politischen Verhältnisse flüchtig zu berühren. Die deutsche Auswanderung nach Brasilien sie mit ihrem Handwerke eine landwirtschaftliche Beschäftigung verbinden. In Auch zur Lösung der Frauenfrage könnte die Auswcmdrung nach Süd¬ Wir haben von unsrer Erörterung bisher den Staat Sav Paulo aus¬ Es bleibt uns noch übrig, die politischen Verhältnisse flüchtig zu berühren. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223800"/> <fw type="header" place="top"> Die deutsche Auswanderung nach Brasilien</fw><lb/> <p xml:id="ID_634" prev="#ID_633"> sie mit ihrem Handwerke eine landwirtschaftliche Beschäftigung verbinden. In<lb/> den Städten, die zum Teil in lebhafter Entwicklung begriffen find, findet ganz<lb/> besonders der Bauhandwerker, der Schlosser, der Tischler usw. ein besseres<lb/> Auskommen als bei uns. Manche Industrie, die ein fähiger Handwerker ohne<lb/> hohes Anfangskapital in Schwung bringen könnte, schlummern dort noch oder<lb/> stehen in ihren Anfängen. So hören wir z. B., daß in Rio Grande do Sui<lb/> die Knochenabfälle aus den .Lcirquereden (Fleischschlächtereien) im Innern, in<lb/> denen täglich nur etwa vierzig bis fünfzig Stück Vieh geschlachtet werden,<lb/> während die großen Schlachthäuser an der Küste während der „Saison" täglich<lb/> Hunderte verarbeiten, zur Bereitung von Knochenkohle für die Zuckerraffinerien<lb/> noch wenig verwendet werden. Übrigens wird tüchtigen Leuten drüben von<lb/> ihren deutschen Volksgenossen viel leichter und unter günstigern Bedingungen<lb/> Kredit gewährt als bei uns.</p><lb/> <p xml:id="ID_635"> Auch zur Lösung der Frauenfrage könnte die Auswcmdrung nach Süd¬<lb/> brasilien beitragen, wenn auch die Frauen, die sich mit dieser Frage vorzugs¬<lb/> weise beschäftigen, kaum in der Lage sein dürften, drüben den Beruf der<lb/> Ncihterin oder der Hebamme auszufüllen, wonach die Nachfrage besonders groß<lb/> ist. Für Männer und Frauen aus den gebildeten Ständen ist eben erfahrungs¬<lb/> gemäß in Ländern, die erst in der Erschließung begriffen sind, am wenigsten<lb/> zu hoffen. Es wäre zu wünschen, daß an der Sache interessirte Gesellschaften,<lb/> wie die genannten Dampfergesellschaften, bei uns Nachfragestellen errichteten,<lb/> die mit ähnlichen Anstalten drüben in Verbindung gesetzt würden, um die ge¬<lb/> eigneten Kräfte dorthin zu leiten, wo Bedürfnis vorhanden ist. Wer die er¬<lb/> folgreiche Thätigkeit kennt, die der „Zentralverein für Handelsgeographie" in<lb/> Berlin und in kleinen Verhältnissen z. B. das württembergische Exportmuster¬<lb/> lager in Stuttgart für Vermittlung von Industrie- und Handelsbeziehungen<lb/> aufzuweisen haben, wird eine ähnliche Vermittlung zwischen Angebot und Nach¬<lb/> frage für die gewerblichen Arbeiter in Südbrasilien mit Freuden begrüßen.<lb/> Erst wenn taugliche Menschen beschafft sind, wird die Saat vollständig auf¬<lb/> gehen, die Männer wie Zöller, Selim, Henry Lange, Jannasch u. a. durch<lb/> unermüdliches Eintreten für die Kolonisation dieser Länder ausgestreut haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_636"> Wir haben von unsrer Erörterung bisher den Staat Sav Paulo aus¬<lb/> geschlossen. Eine deutsche Masseneinwandrung wird von den dortigen deutschen<lb/> .Kreisen, deren Anschauung die erwähnte Aufsatzreihe der „Germania" Wohl<lb/> im großen und ganzen wiedergiebt, zur Zeit nicht gewünscht. Die Gründe<lb/> dafür sind das starke Auftreten des Fiebers, das vor kurzem die Städte heim¬<lb/> gesucht hat und vielleicht das nächste mal auch das Land nicht verschonen<lb/> wird, die Befürchtung, daß untaugliche Leute einwandern möchten, endlich der<lb/> Zweifel, ob die brasilische Negierung für die neuen Einwandrer gehörig<lb/> sorgen werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_637" next="#ID_638"> Es bleibt uns noch übrig, die politischen Verhältnisse flüchtig zu berühren.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0216]
Die deutsche Auswanderung nach Brasilien
sie mit ihrem Handwerke eine landwirtschaftliche Beschäftigung verbinden. In
den Städten, die zum Teil in lebhafter Entwicklung begriffen find, findet ganz
besonders der Bauhandwerker, der Schlosser, der Tischler usw. ein besseres
Auskommen als bei uns. Manche Industrie, die ein fähiger Handwerker ohne
hohes Anfangskapital in Schwung bringen könnte, schlummern dort noch oder
stehen in ihren Anfängen. So hören wir z. B., daß in Rio Grande do Sui
die Knochenabfälle aus den .Lcirquereden (Fleischschlächtereien) im Innern, in
denen täglich nur etwa vierzig bis fünfzig Stück Vieh geschlachtet werden,
während die großen Schlachthäuser an der Küste während der „Saison" täglich
Hunderte verarbeiten, zur Bereitung von Knochenkohle für die Zuckerraffinerien
noch wenig verwendet werden. Übrigens wird tüchtigen Leuten drüben von
ihren deutschen Volksgenossen viel leichter und unter günstigern Bedingungen
Kredit gewährt als bei uns.
Auch zur Lösung der Frauenfrage könnte die Auswcmdrung nach Süd¬
brasilien beitragen, wenn auch die Frauen, die sich mit dieser Frage vorzugs¬
weise beschäftigen, kaum in der Lage sein dürften, drüben den Beruf der
Ncihterin oder der Hebamme auszufüllen, wonach die Nachfrage besonders groß
ist. Für Männer und Frauen aus den gebildeten Ständen ist eben erfahrungs¬
gemäß in Ländern, die erst in der Erschließung begriffen sind, am wenigsten
zu hoffen. Es wäre zu wünschen, daß an der Sache interessirte Gesellschaften,
wie die genannten Dampfergesellschaften, bei uns Nachfragestellen errichteten,
die mit ähnlichen Anstalten drüben in Verbindung gesetzt würden, um die ge¬
eigneten Kräfte dorthin zu leiten, wo Bedürfnis vorhanden ist. Wer die er¬
folgreiche Thätigkeit kennt, die der „Zentralverein für Handelsgeographie" in
Berlin und in kleinen Verhältnissen z. B. das württembergische Exportmuster¬
lager in Stuttgart für Vermittlung von Industrie- und Handelsbeziehungen
aufzuweisen haben, wird eine ähnliche Vermittlung zwischen Angebot und Nach¬
frage für die gewerblichen Arbeiter in Südbrasilien mit Freuden begrüßen.
Erst wenn taugliche Menschen beschafft sind, wird die Saat vollständig auf¬
gehen, die Männer wie Zöller, Selim, Henry Lange, Jannasch u. a. durch
unermüdliches Eintreten für die Kolonisation dieser Länder ausgestreut haben.
Wir haben von unsrer Erörterung bisher den Staat Sav Paulo aus¬
geschlossen. Eine deutsche Masseneinwandrung wird von den dortigen deutschen
.Kreisen, deren Anschauung die erwähnte Aufsatzreihe der „Germania" Wohl
im großen und ganzen wiedergiebt, zur Zeit nicht gewünscht. Die Gründe
dafür sind das starke Auftreten des Fiebers, das vor kurzem die Städte heim¬
gesucht hat und vielleicht das nächste mal auch das Land nicht verschonen
wird, die Befürchtung, daß untaugliche Leute einwandern möchten, endlich der
Zweifel, ob die brasilische Negierung für die neuen Einwandrer gehörig
sorgen werde.
Es bleibt uns noch übrig, die politischen Verhältnisse flüchtig zu berühren.
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