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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

Zur Zeit wird der Assessor in der Verwaltung nach etwa acht Jahren
fest angestellter Rat mit einem Gehalt von 4200 Mark, und nach weitern fünf¬
zehn Jahren, also im ganzen nach dreiundzwanzig Jahren, erhält er den höchsten
Gehalt mit 6000 Mark, der, wie verlautet, jetzt auf 7200 Mark erhöht
werden soll.

Der Jurist soll nach vier Jahren Richter werden mit 2400 Mark Gehalt
und soll nach weitern vierundzwanzig Jahren, im ganzen also nach achtund¬
zwanzig Jahren, den höchsten Gehalt von 6000 Mark erreichen, den man ihm
jetzt nach den Zeitungsnachrichten auf 6600 Mark erhöhen, damit aber zu¬
gleich gegenüber der Verwaltung aufs neue herabsetzen will. Zu dem Anfangs¬
gehalte der Regierung von 4200 Mark gelangt er erst nach sechzehn Jahren!

Nach sieben bis acht Jahren wird der Verwaltungsbeamte Rat vierter
Klasse mit allen persönlichen und pekuniären Vorzügen. Der Richter
wird nach etwa fünfzehn Jahren persönlich Rat vierter Klasse, ohne seiner
Amtsstellung nach dieser Klasse anzugehören und ohne die pekuniären Vorzüge.
In der Verwaltung rückt von etwa drei Räten einer zum Oberregierungsrat
oder Verwaltungsgerichtsdirektor auf mit eiuer pensionsfühigen Zulage von
900 oder 1800 Mark. In der Justiz dagegen rückt nur etwa unter acht
Richtern einer auf mit einer erst am Schlüsse der Laufbahn hervortretenden
Gehaltsverbesserung von 600 Mark.")

Es mag ja ferner fein, daß jeder Regierungsbeamte sein reichliches Arbeits¬
pensum zu bewältigen hat, aber sicher ist, daß der Richter, namentlich der
Kollegialrichter, mit Arbeit überhäuft ist, und während der Regierungsbeamte
in der stillen Amtsstube oder behaglich zu Hause arbeitet, muß der Richter
mitten im Parteigezänk denken und schlichten und richten, und hat er seine
sechs- bis zwvlfstündige Sitzung hinter sich, so ist er nicht imstande, sich der
vollbrachten That bei einem "Liebesmahle" mit seinen Kollegen zu freuen,
sondern er hat nur das Vedürfuis nach Ruhe, die aber auch nur kurz sein
darf, denn er muß sich für die Sitzung der folgenden oder nächstfolgenden
Tage vorbereiten oder Urteile mit bogenlangem Thatbestand, dieser ungeheuer¬
lichsten Erfindung der Neuzeit, aufsetzen. Diesen Zuständen gegenüber möchte
man die Thätigkeit der Regierungsbeamten, wenn auch nicht als ein äolos
eg,r nisntö, aber doch als ein beneidenswertes Los betrachten, und solange
nicht alle diese Unterschiede ausgeglichen sind, wird der Herr Justizminister
vergeblich nach bessern Kräften suchen.

Gerade dann, wenn jemand durch die Ernennung zum Gerichtsassessor
nach dem beabsichtigten Gesetz eine gewisse Auszeichnung erfahren hat, wird
er sich um so schleuniger umsehen, ob er nicht bei irgend einer Verwaltung



") Berge, den Aufsatz "Rang und Gehalt in Justiz und Verwaltung" in den Preußischen
Jahrbüchern (Oktober 1894) und (Januar 1895).
Grenzboten IV 1896 24
Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

Zur Zeit wird der Assessor in der Verwaltung nach etwa acht Jahren
fest angestellter Rat mit einem Gehalt von 4200 Mark, und nach weitern fünf¬
zehn Jahren, also im ganzen nach dreiundzwanzig Jahren, erhält er den höchsten
Gehalt mit 6000 Mark, der, wie verlautet, jetzt auf 7200 Mark erhöht
werden soll.

Der Jurist soll nach vier Jahren Richter werden mit 2400 Mark Gehalt
und soll nach weitern vierundzwanzig Jahren, im ganzen also nach achtund¬
zwanzig Jahren, den höchsten Gehalt von 6000 Mark erreichen, den man ihm
jetzt nach den Zeitungsnachrichten auf 6600 Mark erhöhen, damit aber zu¬
gleich gegenüber der Verwaltung aufs neue herabsetzen will. Zu dem Anfangs¬
gehalte der Regierung von 4200 Mark gelangt er erst nach sechzehn Jahren!

Nach sieben bis acht Jahren wird der Verwaltungsbeamte Rat vierter
Klasse mit allen persönlichen und pekuniären Vorzügen. Der Richter
wird nach etwa fünfzehn Jahren persönlich Rat vierter Klasse, ohne seiner
Amtsstellung nach dieser Klasse anzugehören und ohne die pekuniären Vorzüge.
In der Verwaltung rückt von etwa drei Räten einer zum Oberregierungsrat
oder Verwaltungsgerichtsdirektor auf mit eiuer pensionsfühigen Zulage von
900 oder 1800 Mark. In der Justiz dagegen rückt nur etwa unter acht
Richtern einer auf mit einer erst am Schlüsse der Laufbahn hervortretenden
Gehaltsverbesserung von 600 Mark.")

Es mag ja ferner fein, daß jeder Regierungsbeamte sein reichliches Arbeits¬
pensum zu bewältigen hat, aber sicher ist, daß der Richter, namentlich der
Kollegialrichter, mit Arbeit überhäuft ist, und während der Regierungsbeamte
in der stillen Amtsstube oder behaglich zu Hause arbeitet, muß der Richter
mitten im Parteigezänk denken und schlichten und richten, und hat er seine
sechs- bis zwvlfstündige Sitzung hinter sich, so ist er nicht imstande, sich der
vollbrachten That bei einem „Liebesmahle" mit seinen Kollegen zu freuen,
sondern er hat nur das Vedürfuis nach Ruhe, die aber auch nur kurz sein
darf, denn er muß sich für die Sitzung der folgenden oder nächstfolgenden
Tage vorbereiten oder Urteile mit bogenlangem Thatbestand, dieser ungeheuer¬
lichsten Erfindung der Neuzeit, aufsetzen. Diesen Zuständen gegenüber möchte
man die Thätigkeit der Regierungsbeamten, wenn auch nicht als ein äolos
eg,r nisntö, aber doch als ein beneidenswertes Los betrachten, und solange
nicht alle diese Unterschiede ausgeglichen sind, wird der Herr Justizminister
vergeblich nach bessern Kräften suchen.

Gerade dann, wenn jemand durch die Ernennung zum Gerichtsassessor
nach dem beabsichtigten Gesetz eine gewisse Auszeichnung erfahren hat, wird
er sich um so schleuniger umsehen, ob er nicht bei irgend einer Verwaltung



") Berge, den Aufsatz „Rang und Gehalt in Justiz und Verwaltung" in den Preußischen
Jahrbüchern (Oktober 1894) und (Januar 1895).
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[0193] Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren Zur Zeit wird der Assessor in der Verwaltung nach etwa acht Jahren fest angestellter Rat mit einem Gehalt von 4200 Mark, und nach weitern fünf¬ zehn Jahren, also im ganzen nach dreiundzwanzig Jahren, erhält er den höchsten Gehalt mit 6000 Mark, der, wie verlautet, jetzt auf 7200 Mark erhöht werden soll. Der Jurist soll nach vier Jahren Richter werden mit 2400 Mark Gehalt und soll nach weitern vierundzwanzig Jahren, im ganzen also nach achtund¬ zwanzig Jahren, den höchsten Gehalt von 6000 Mark erreichen, den man ihm jetzt nach den Zeitungsnachrichten auf 6600 Mark erhöhen, damit aber zu¬ gleich gegenüber der Verwaltung aufs neue herabsetzen will. Zu dem Anfangs¬ gehalte der Regierung von 4200 Mark gelangt er erst nach sechzehn Jahren! Nach sieben bis acht Jahren wird der Verwaltungsbeamte Rat vierter Klasse mit allen persönlichen und pekuniären Vorzügen. Der Richter wird nach etwa fünfzehn Jahren persönlich Rat vierter Klasse, ohne seiner Amtsstellung nach dieser Klasse anzugehören und ohne die pekuniären Vorzüge. In der Verwaltung rückt von etwa drei Räten einer zum Oberregierungsrat oder Verwaltungsgerichtsdirektor auf mit eiuer pensionsfühigen Zulage von 900 oder 1800 Mark. In der Justiz dagegen rückt nur etwa unter acht Richtern einer auf mit einer erst am Schlüsse der Laufbahn hervortretenden Gehaltsverbesserung von 600 Mark.") Es mag ja ferner fein, daß jeder Regierungsbeamte sein reichliches Arbeits¬ pensum zu bewältigen hat, aber sicher ist, daß der Richter, namentlich der Kollegialrichter, mit Arbeit überhäuft ist, und während der Regierungsbeamte in der stillen Amtsstube oder behaglich zu Hause arbeitet, muß der Richter mitten im Parteigezänk denken und schlichten und richten, und hat er seine sechs- bis zwvlfstündige Sitzung hinter sich, so ist er nicht imstande, sich der vollbrachten That bei einem „Liebesmahle" mit seinen Kollegen zu freuen, sondern er hat nur das Vedürfuis nach Ruhe, die aber auch nur kurz sein darf, denn er muß sich für die Sitzung der folgenden oder nächstfolgenden Tage vorbereiten oder Urteile mit bogenlangem Thatbestand, dieser ungeheuer¬ lichsten Erfindung der Neuzeit, aufsetzen. Diesen Zuständen gegenüber möchte man die Thätigkeit der Regierungsbeamten, wenn auch nicht als ein äolos eg,r nisntö, aber doch als ein beneidenswertes Los betrachten, und solange nicht alle diese Unterschiede ausgeglichen sind, wird der Herr Justizminister vergeblich nach bessern Kräften suchen. Gerade dann, wenn jemand durch die Ernennung zum Gerichtsassessor nach dem beabsichtigten Gesetz eine gewisse Auszeichnung erfahren hat, wird er sich um so schleuniger umsehen, ob er nicht bei irgend einer Verwaltung ") Berge, den Aufsatz „Rang und Gehalt in Justiz und Verwaltung" in den Preußischen Jahrbüchern (Oktober 1894) und (Januar 1895). Grenzboten IV 1896 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/193>, abgerufen am 08.01.2025.