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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

vermag, während die Wahl des Nechtscinwalts in dem Belieben eines jeden
steht, ist ein Unterschied zu machen und sogar zur Wahrung der Freiheit des
Gewerbes notwendig.

Nicht minder hinfällig ist die Behauptung des Justizministers, daß sich
beim Beginn des Neferendciriats die Bedürfnisfrage nicht übersehen lasse. Die
Verwaltung kann auf fünf bis sechs Jahre mit ziemlicher Sicherheit voraus¬
berechnen, wie hoch sich ihr Bedarf belaufen wird. Eine gute Verwaltung
übernimmt immer eine Anzahl Leute mehr, als die Durchschnittsberechnmig
nötig macht. Führte das wirklich einmal dazu, daß ein Assessor zwei oder
drei Jahre auf feste Anstellung warten muß, so wäre das kein Unglück, sondern
immer noch eine große Verbesserung der jetzigen Zustände und überträfe wohl
die Absichten des Justizministers, da er ja die Anstellung erst nach vier Jahren
für das Regelmäßige zu halten scheint. Dazu wird es aber überhaupt nicht
mehr kommen.

Mit der Einführung des bürgerlichen Gesetzbuches wird der Stand der
Assessoren zunächst verschwinden, ganz oder wenigstens soweit, als es die
Regierung für nötig hält, und ein Anwachsen des Assessvrats für die
Zukunft wird vermieden werden, wenn man folgenden Vorschlag befolgt: die
das Referendarexamen bestanden haben, sind befugt, sich bei dem Präsidenten
eines Oberlandesgerichts um Zulassung zum Referendariat zu bewerben. Der
Präsident entscheidet über die Meldungen unter Berücksichtigung der oben dar¬
gelegten Grundsätze nach freiem Ermessen. Die Zugelassenen werden von ihm
zu Referendaren ernannt. Der Ernennung kann die Klausel hinzugefügt
werden: "ohne Aussicht auf Anstellung im Staatsdienste." Diese Klausel muß
allen Ernennungen beigefügt werden, die nach Deckung des Staatsbedarfs er¬
folgen. Die Zahl des Bedarfs wird für jeden Oberlandesgerichtsbezirk durch
das Staatsministerium festgesetzt. Die Referendare, die die große Staats¬
prüfung bestanden haben, werden vom Justizminister zu Gcrichtsassessoren
ernannt. Von ihnen werden die, die ohne Vorbehalt zum Referendariat zu¬
gelassen worden sind, und außerdem die, die der Minister für geeignet hält,
einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft zur unentgeltlichen Beschäftigung
überwiesen. Ein Recht auf Anstellung in einem festen Staatsamte erwächst
ihnen daraus nicht. Den übrigen wird gleichzeitig mit dem Patent zum
Gerichtsassessor von Amts wegen ihre Entlassung aus dem Staatsdienste
zugestellt.

Dieses Verfahren würde den Vorzug haben, daß sich 1. die Herren
Studenten zu einem ordentlichen Studium veranlaßt sähen; 2. jeder beim
Eintritt in das Referendariat sich über seine Aussichten für die Zukunft klar
werden und in diesem noch günstigen Zeitpunkte in einen andern Lebensberuf
übertreten könnte; 3. die Staatsregierung, wenn wirklich einmal Mangel ein¬
treten sollte, immer noch in der Lage wäre, auf die Assessoren zurückzugreifen,


Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

vermag, während die Wahl des Nechtscinwalts in dem Belieben eines jeden
steht, ist ein Unterschied zu machen und sogar zur Wahrung der Freiheit des
Gewerbes notwendig.

Nicht minder hinfällig ist die Behauptung des Justizministers, daß sich
beim Beginn des Neferendciriats die Bedürfnisfrage nicht übersehen lasse. Die
Verwaltung kann auf fünf bis sechs Jahre mit ziemlicher Sicherheit voraus¬
berechnen, wie hoch sich ihr Bedarf belaufen wird. Eine gute Verwaltung
übernimmt immer eine Anzahl Leute mehr, als die Durchschnittsberechnmig
nötig macht. Führte das wirklich einmal dazu, daß ein Assessor zwei oder
drei Jahre auf feste Anstellung warten muß, so wäre das kein Unglück, sondern
immer noch eine große Verbesserung der jetzigen Zustände und überträfe wohl
die Absichten des Justizministers, da er ja die Anstellung erst nach vier Jahren
für das Regelmäßige zu halten scheint. Dazu wird es aber überhaupt nicht
mehr kommen.

Mit der Einführung des bürgerlichen Gesetzbuches wird der Stand der
Assessoren zunächst verschwinden, ganz oder wenigstens soweit, als es die
Regierung für nötig hält, und ein Anwachsen des Assessvrats für die
Zukunft wird vermieden werden, wenn man folgenden Vorschlag befolgt: die
das Referendarexamen bestanden haben, sind befugt, sich bei dem Präsidenten
eines Oberlandesgerichts um Zulassung zum Referendariat zu bewerben. Der
Präsident entscheidet über die Meldungen unter Berücksichtigung der oben dar¬
gelegten Grundsätze nach freiem Ermessen. Die Zugelassenen werden von ihm
zu Referendaren ernannt. Der Ernennung kann die Klausel hinzugefügt
werden: „ohne Aussicht auf Anstellung im Staatsdienste." Diese Klausel muß
allen Ernennungen beigefügt werden, die nach Deckung des Staatsbedarfs er¬
folgen. Die Zahl des Bedarfs wird für jeden Oberlandesgerichtsbezirk durch
das Staatsministerium festgesetzt. Die Referendare, die die große Staats¬
prüfung bestanden haben, werden vom Justizminister zu Gcrichtsassessoren
ernannt. Von ihnen werden die, die ohne Vorbehalt zum Referendariat zu¬
gelassen worden sind, und außerdem die, die der Minister für geeignet hält,
einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft zur unentgeltlichen Beschäftigung
überwiesen. Ein Recht auf Anstellung in einem festen Staatsamte erwächst
ihnen daraus nicht. Den übrigen wird gleichzeitig mit dem Patent zum
Gerichtsassessor von Amts wegen ihre Entlassung aus dem Staatsdienste
zugestellt.

Dieses Verfahren würde den Vorzug haben, daß sich 1. die Herren
Studenten zu einem ordentlichen Studium veranlaßt sähen; 2. jeder beim
Eintritt in das Referendariat sich über seine Aussichten für die Zukunft klar
werden und in diesem noch günstigen Zeitpunkte in einen andern Lebensberuf
übertreten könnte; 3. die Staatsregierung, wenn wirklich einmal Mangel ein¬
treten sollte, immer noch in der Lage wäre, auf die Assessoren zurückzugreifen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/190>, abgerufen am 08.01.2025.