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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

Stelle hin von einem Amtsrichter dem Herrenhause zu berichten wußte, so ist
das zum großen Teil auf die Abgeschiedenheit dieser Richter und auf Mangel
an Berührung mit ältern Kollegen zurückzuführen. Ähnliche Ausnahmen
kommen in abgeschiednen Stellen bei allen Beamtenklassen vor, nur haben
die Richter die größte Zahl solcher Stelle", und folglich kommt auch bei
ihnen absolut die größte Zahl von Ausschreitungen vor. Daraus folgt aber
nicht, daß sie verhältnismäßig mehr belastet seien als andre Veamtenklassen
des höhern Staatsdienstens. Von einem Sinken vollends ist auch hier nicht
eine Spur zu finden.

Die verfehlte Art der Begründung und Verteidigung der Vorlage erklärt
nicht nur die Abneigung gegen den Assessorenparagraphen, sondern sie hat
auch bewirkt, daß der klare Blick für wirklich vorhandne Schäden in der
Debatte verloren ging. Denn anders als bei den Richtern liegt die Sache
bei den Assessoren. Vor einiger Zeit berichteten die Zeitungen über eine
Berliner Strafkammerverhandlung, die sich gegen einen ein Richteramt versehenden
Assessor richtete und mit der Verurteilung zu einer viermonatigen Gefängnis¬
strafe endete. Der Angeklagte hatte nach einer wüst verbrachten Nacht einen
Streit mit der Polizei gehabt und hatte dabei einen solchen Mangel an den ein¬
fachsten Erfordernissen der Erziehung verraten, daß es die Justiz nur bedauern
kann, diesen ihren Jünger nicht schon früher durchschaut und sich seiner entledigt
zu haben, und wenn der Justizminister und der Präsident Drenkmann aus
diesem Falle, wie ich fast annehmen möchte, Anlaß dazu genommen haben,
gesetzgeberisch vorzugehen, so haben sie nnr damit ihre Pflicht erfüllt. Selbst
wenn dieser Fall der einzige seiner Art wäre, so wäre ihr Vorgehen nur
zu loben, denn ein kluger Arzt greift beizeiten ein. Ist der Stand der
Assessoren durch solche Leute erst herabgedrückt, dann wird die Auswahl ge¬
eigneter Persönlichkeiten für das Richteramt allerdings schwieriger, und es
kann dann leicht kommen, was bisher noch nicht geschehen ist, daß die Justiz¬
verwaltung Mißgriffe thut, die nachher nicht wieder gut zu macheu sind.
Solche Leute müssen heraus aus der Justiz.

Die Justiz muß aber auch vorsichtig sein, wenn sie, wie es zuweilen
vorkommt, ihren Nachwuchs aus dem niedern Bürgerstande nimmt. Alle
Achtung vor unserm Handwerk! Aber so gering die Aussichten sind, ans dem
Kinde einer vornehmen Familie einen guten Werkmeister zu bilden, so gering
sind die Aussichten, aus dem Kinde einer Handwerkerfamilie einen guten
Beamten des höhern Staatsdienstes zu erziehen. Es kam einmal jemand
zu einem Meister, um eine Rechnung zu bezahlen. Zufällig that er einen
Blick in das offenstehende Familienzimmer und sah hier an der von der Frau
Meisterin geleiteten Mittagstafel einen Kreis von Gesellen und Lehrlingen
mit aufgestreiften Hemdsärmeln und rußigen Gesichtern sitzen. Mitten
unter ihnen gewahrte er aber, gleichfalls in Hemdsärmeln, den Sohn des


Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

Stelle hin von einem Amtsrichter dem Herrenhause zu berichten wußte, so ist
das zum großen Teil auf die Abgeschiedenheit dieser Richter und auf Mangel
an Berührung mit ältern Kollegen zurückzuführen. Ähnliche Ausnahmen
kommen in abgeschiednen Stellen bei allen Beamtenklassen vor, nur haben
die Richter die größte Zahl solcher Stelle», und folglich kommt auch bei
ihnen absolut die größte Zahl von Ausschreitungen vor. Daraus folgt aber
nicht, daß sie verhältnismäßig mehr belastet seien als andre Veamtenklassen
des höhern Staatsdienstens. Von einem Sinken vollends ist auch hier nicht
eine Spur zu finden.

Die verfehlte Art der Begründung und Verteidigung der Vorlage erklärt
nicht nur die Abneigung gegen den Assessorenparagraphen, sondern sie hat
auch bewirkt, daß der klare Blick für wirklich vorhandne Schäden in der
Debatte verloren ging. Denn anders als bei den Richtern liegt die Sache
bei den Assessoren. Vor einiger Zeit berichteten die Zeitungen über eine
Berliner Strafkammerverhandlung, die sich gegen einen ein Richteramt versehenden
Assessor richtete und mit der Verurteilung zu einer viermonatigen Gefängnis¬
strafe endete. Der Angeklagte hatte nach einer wüst verbrachten Nacht einen
Streit mit der Polizei gehabt und hatte dabei einen solchen Mangel an den ein¬
fachsten Erfordernissen der Erziehung verraten, daß es die Justiz nur bedauern
kann, diesen ihren Jünger nicht schon früher durchschaut und sich seiner entledigt
zu haben, und wenn der Justizminister und der Präsident Drenkmann aus
diesem Falle, wie ich fast annehmen möchte, Anlaß dazu genommen haben,
gesetzgeberisch vorzugehen, so haben sie nnr damit ihre Pflicht erfüllt. Selbst
wenn dieser Fall der einzige seiner Art wäre, so wäre ihr Vorgehen nur
zu loben, denn ein kluger Arzt greift beizeiten ein. Ist der Stand der
Assessoren durch solche Leute erst herabgedrückt, dann wird die Auswahl ge¬
eigneter Persönlichkeiten für das Richteramt allerdings schwieriger, und es
kann dann leicht kommen, was bisher noch nicht geschehen ist, daß die Justiz¬
verwaltung Mißgriffe thut, die nachher nicht wieder gut zu macheu sind.
Solche Leute müssen heraus aus der Justiz.

Die Justiz muß aber auch vorsichtig sein, wenn sie, wie es zuweilen
vorkommt, ihren Nachwuchs aus dem niedern Bürgerstande nimmt. Alle
Achtung vor unserm Handwerk! Aber so gering die Aussichten sind, ans dem
Kinde einer vornehmen Familie einen guten Werkmeister zu bilden, so gering
sind die Aussichten, aus dem Kinde einer Handwerkerfamilie einen guten
Beamten des höhern Staatsdienstes zu erziehen. Es kam einmal jemand
zu einem Meister, um eine Rechnung zu bezahlen. Zufällig that er einen
Blick in das offenstehende Familienzimmer und sah hier an der von der Frau
Meisterin geleiteten Mittagstafel einen Kreis von Gesellen und Lehrlingen
mit aufgestreiften Hemdsärmeln und rußigen Gesichtern sitzen. Mitten
unter ihnen gewahrte er aber, gleichfalls in Hemdsärmeln, den Sohn des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/188>, abgerufen am 08.01.2025.