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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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muß aufs entschiedenste zurückgewiesen werden. Schroffheiten und Rück¬
sichtslosigkeiten kommen im Verkehr mit dem Publikum und Untergebnen ver¬
einzelt bei jeder Behörde vor und natürlich am häufigsten bei den Behörden,
die am meisten in unmittelbare Berührung mit dem Publikum kommen, am
wenigsten also bei allen höhern Verwaltungsbehörden und Beamten, die mit dem
Publikum unmittelbar fast gar nichts zu thun haben. Was will es bedeuten,
wenn ein Verwaltungsgerichtsdirektor alle Monate eine Bezirksausschußsitzung
hält, in der von den streitenden Teilen in der Regel nur einer eine Privat¬
person, der andre eine Behörde ist? Die absolute Zahl der vorkommende"
Schroffheiten ist bei den Gerichten die größte; daß sie auch verhältnismäßig
die größte sei, ist eine unüberlegte, durch nichts bewiesene Behauptung.

Fast jede Schroffheit beruht streng genommen in ihrem letzten Grunde
auf Mangel an Selbstbeherrschung, d. h. an Erziehung und Bildung, aber an
diesem Mangel leiden nicht nur manche Richter, sondern auch andre Berufs¬
stände. Der Richter hat Tag für Tag mit streitenden, also erregten Parteien, sehr
ost mit beschränkten Zeugen und in Strafsachen mit hartgesottenen Sündern zu
thun. Wenn er da einmal im Unmut einen solchen Menschen einführt, so ist
sein Mangel an Bildung doch wohl nur sehr gering, jedenfalls geringer, als
z.V. der des Offiziers, der Leute, die ihm unbedingt und so gut wie wehrlos
untergeben sind, manchmal sogar gebildete Einjährige, mit beleidigenden Be¬
zeichnungen belegt. Es ist durchaus verfehlt, das Bildungskonto der Richter
aus Anlaß solcher Vorkommnisse besonders zu belasten. Das Konto andrer
Beamtenklassen würde gerade so belastet sein, wenn sie so viel Gelegenheit
hätten, auf diesem Gebiete Schulden zu machen. Mit alledem sollen natürlich
die Rücksichtslosigkeiten nicht verteidigt werden, weder bei den Gerichten noch
bei andern Behörden, ja es wäre sogar sehr wünschenswert, wenn auf die Be¬
obachtung angemessener Formen noch viel mehr als bisher hingewirkt würde.

Was das außeramtliche Verhalten betrifft, so muß man eine Unter¬
scheidung machen, die bei den Landtagsverhandluugen auffälligerweise nicht
gemacht worden ist: die Unterscheidung zwischen Richtern und Assessoren.
Assessoren sind keine Richter, wenn sie auch manchmal Nichtcrstellen bekleiden.
Sie haben nur die Aussicht, Richter zu werden, und die Justizverwaltung hat
schon jetzt, trotz grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Altersfolge, bei der
festen Besetzung der Nichterstellen die Leute auszuscheiden gewußt, die ihr
nicht geeignet erschienen, und hat es namentlich auch verstanden, Richter,
die sich in ihrem persönlichen Auftreten nicht bewährt hatten, in kleinen, ver¬
borgnen Winkeln sitzen zu lassen oder unschädlich zu machen. Wenn daher
unter den Richtern an kleinen Orten zuweilen Taktlosigkeiten vorgekommen
sind, wie solche z. V. der Oberlandesgerichtsprüsident Herr von Holleben vor
einigen Jahren bei der Amtsgerichtsdirektorenvorlage so kalt- und ge¬
schmackvoll auf die Mitteilungen eines Landrath, nicht einer gerichtsamtlichen


muß aufs entschiedenste zurückgewiesen werden. Schroffheiten und Rück¬
sichtslosigkeiten kommen im Verkehr mit dem Publikum und Untergebnen ver¬
einzelt bei jeder Behörde vor und natürlich am häufigsten bei den Behörden,
die am meisten in unmittelbare Berührung mit dem Publikum kommen, am
wenigsten also bei allen höhern Verwaltungsbehörden und Beamten, die mit dem
Publikum unmittelbar fast gar nichts zu thun haben. Was will es bedeuten,
wenn ein Verwaltungsgerichtsdirektor alle Monate eine Bezirksausschußsitzung
hält, in der von den streitenden Teilen in der Regel nur einer eine Privat¬
person, der andre eine Behörde ist? Die absolute Zahl der vorkommende«
Schroffheiten ist bei den Gerichten die größte; daß sie auch verhältnismäßig
die größte sei, ist eine unüberlegte, durch nichts bewiesene Behauptung.

Fast jede Schroffheit beruht streng genommen in ihrem letzten Grunde
auf Mangel an Selbstbeherrschung, d. h. an Erziehung und Bildung, aber an
diesem Mangel leiden nicht nur manche Richter, sondern auch andre Berufs¬
stände. Der Richter hat Tag für Tag mit streitenden, also erregten Parteien, sehr
ost mit beschränkten Zeugen und in Strafsachen mit hartgesottenen Sündern zu
thun. Wenn er da einmal im Unmut einen solchen Menschen einführt, so ist
sein Mangel an Bildung doch wohl nur sehr gering, jedenfalls geringer, als
z.V. der des Offiziers, der Leute, die ihm unbedingt und so gut wie wehrlos
untergeben sind, manchmal sogar gebildete Einjährige, mit beleidigenden Be¬
zeichnungen belegt. Es ist durchaus verfehlt, das Bildungskonto der Richter
aus Anlaß solcher Vorkommnisse besonders zu belasten. Das Konto andrer
Beamtenklassen würde gerade so belastet sein, wenn sie so viel Gelegenheit
hätten, auf diesem Gebiete Schulden zu machen. Mit alledem sollen natürlich
die Rücksichtslosigkeiten nicht verteidigt werden, weder bei den Gerichten noch
bei andern Behörden, ja es wäre sogar sehr wünschenswert, wenn auf die Be¬
obachtung angemessener Formen noch viel mehr als bisher hingewirkt würde.

Was das außeramtliche Verhalten betrifft, so muß man eine Unter¬
scheidung machen, die bei den Landtagsverhandluugen auffälligerweise nicht
gemacht worden ist: die Unterscheidung zwischen Richtern und Assessoren.
Assessoren sind keine Richter, wenn sie auch manchmal Nichtcrstellen bekleiden.
Sie haben nur die Aussicht, Richter zu werden, und die Justizverwaltung hat
schon jetzt, trotz grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Altersfolge, bei der
festen Besetzung der Nichterstellen die Leute auszuscheiden gewußt, die ihr
nicht geeignet erschienen, und hat es namentlich auch verstanden, Richter,
die sich in ihrem persönlichen Auftreten nicht bewährt hatten, in kleinen, ver¬
borgnen Winkeln sitzen zu lassen oder unschädlich zu machen. Wenn daher
unter den Richtern an kleinen Orten zuweilen Taktlosigkeiten vorgekommen
sind, wie solche z. V. der Oberlandesgerichtsprüsident Herr von Holleben vor
einigen Jahren bei der Amtsgerichtsdirektorenvorlage so kalt- und ge¬
schmackvoll auf die Mitteilungen eines Landrath, nicht einer gerichtsamtlichen


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[0187] muß aufs entschiedenste zurückgewiesen werden. Schroffheiten und Rück¬ sichtslosigkeiten kommen im Verkehr mit dem Publikum und Untergebnen ver¬ einzelt bei jeder Behörde vor und natürlich am häufigsten bei den Behörden, die am meisten in unmittelbare Berührung mit dem Publikum kommen, am wenigsten also bei allen höhern Verwaltungsbehörden und Beamten, die mit dem Publikum unmittelbar fast gar nichts zu thun haben. Was will es bedeuten, wenn ein Verwaltungsgerichtsdirektor alle Monate eine Bezirksausschußsitzung hält, in der von den streitenden Teilen in der Regel nur einer eine Privat¬ person, der andre eine Behörde ist? Die absolute Zahl der vorkommende« Schroffheiten ist bei den Gerichten die größte; daß sie auch verhältnismäßig die größte sei, ist eine unüberlegte, durch nichts bewiesene Behauptung. Fast jede Schroffheit beruht streng genommen in ihrem letzten Grunde auf Mangel an Selbstbeherrschung, d. h. an Erziehung und Bildung, aber an diesem Mangel leiden nicht nur manche Richter, sondern auch andre Berufs¬ stände. Der Richter hat Tag für Tag mit streitenden, also erregten Parteien, sehr ost mit beschränkten Zeugen und in Strafsachen mit hartgesottenen Sündern zu thun. Wenn er da einmal im Unmut einen solchen Menschen einführt, so ist sein Mangel an Bildung doch wohl nur sehr gering, jedenfalls geringer, als z.V. der des Offiziers, der Leute, die ihm unbedingt und so gut wie wehrlos untergeben sind, manchmal sogar gebildete Einjährige, mit beleidigenden Be¬ zeichnungen belegt. Es ist durchaus verfehlt, das Bildungskonto der Richter aus Anlaß solcher Vorkommnisse besonders zu belasten. Das Konto andrer Beamtenklassen würde gerade so belastet sein, wenn sie so viel Gelegenheit hätten, auf diesem Gebiete Schulden zu machen. Mit alledem sollen natürlich die Rücksichtslosigkeiten nicht verteidigt werden, weder bei den Gerichten noch bei andern Behörden, ja es wäre sogar sehr wünschenswert, wenn auf die Be¬ obachtung angemessener Formen noch viel mehr als bisher hingewirkt würde. Was das außeramtliche Verhalten betrifft, so muß man eine Unter¬ scheidung machen, die bei den Landtagsverhandluugen auffälligerweise nicht gemacht worden ist: die Unterscheidung zwischen Richtern und Assessoren. Assessoren sind keine Richter, wenn sie auch manchmal Nichtcrstellen bekleiden. Sie haben nur die Aussicht, Richter zu werden, und die Justizverwaltung hat schon jetzt, trotz grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Altersfolge, bei der festen Besetzung der Nichterstellen die Leute auszuscheiden gewußt, die ihr nicht geeignet erschienen, und hat es namentlich auch verstanden, Richter, die sich in ihrem persönlichen Auftreten nicht bewährt hatten, in kleinen, ver¬ borgnen Winkeln sitzen zu lassen oder unschädlich zu machen. Wenn daher unter den Richtern an kleinen Orten zuweilen Taktlosigkeiten vorgekommen sind, wie solche z. V. der Oberlandesgerichtsprüsident Herr von Holleben vor einigen Jahren bei der Amtsgerichtsdirektorenvorlage so kalt- und ge¬ schmackvoll auf die Mitteilungen eines Landrath, nicht einer gerichtsamtlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/187>, abgerufen am 08.01.2025.