Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die englischen Geiverkvereine haben sie das nach Ansicht der Verfasser zwei Umständen zu verdanken, der Der Druck, der vor der Aufhebung der Koalitionsverbote auf den Gewerk¬ Seitdem ist die öffentliche Meinung über die Gewerkvereine gründlich um¬ Die englischen Geiverkvereine haben sie das nach Ansicht der Verfasser zwei Umständen zu verdanken, der Der Druck, der vor der Aufhebung der Koalitionsverbote auf den Gewerk¬ Seitdem ist die öffentliche Meinung über die Gewerkvereine gründlich um¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223759"/> <fw type="header" place="top"> Die englischen Geiverkvereine</fw><lb/> <p xml:id="ID_508" prev="#ID_507"> haben sie das nach Ansicht der Verfasser zwei Umständen zu verdanken, der<lb/> Unzulänglichkeit der englischen Polizei und dem Fehlen des Instituts der<lb/> Staatsanwaltschaft. Es giebt zum Glück fürs Volk keinen öffentlichen An¬<lb/> kläger in England; die Gerichte schreiten nur dann ein, wenn ein Unternehmer<lb/> klagt, und die Unternehmer haben doch für gewöhnlich wichtigeres zu thun als<lb/> Prozesse zu führen.</p><lb/> <p xml:id="ID_509"> Der Druck, der vor der Aufhebung der Koalitionsverbote auf den Gewerk¬<lb/> vereinen lastete, hatte u. a. zur Folge, daß sie vielfach die Form von Geheim¬<lb/> bünden annahmen, wobei sich von den Maurerlogen aus allerlei Logenritus ver¬<lb/> breitete. Viele Gewerkvereinslolale werden bis auf den heutigen Tag Logen<lb/> genannt. In den Rechnungsbelegen jener Zeit finden sich Posten für das<lb/> Waschen von „Chorhemden." Als einmal in Exeter zwei Abgeordnete, die<lb/> sich in eine Arbeiterversammluug begaben, um neue Mitglieder aufzunehmen,<lb/> von der Polizei angehalten wurden, fand man sie ausgestattet mit zwei höl¬<lb/> zernen Beilen, zwei Hirschfängern, zwei Larven, zwei weißen Gewändern, einer<lb/> Figur des Todes mit Pfeil ^so!j und Stundenglas und mit einer Bibel.<lb/> Eine der Geheimbundszeremonien, ein furchtbarer Eid, zog den Mitgliedern so<lb/> große Unannehmlichkeiten zu, daß sich die Vereine genötigt sahen, ihn förmlich<lb/> abzuschaffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_510" next="#ID_511"> Seitdem ist die öffentliche Meinung über die Gewerkvereine gründlich um¬<lb/> geschlagen, und Geheimbündelei daher jetzt nicht mehr nötig. Als Wendepunkt<lb/> kann nach den Verfassern der Leitartikel der Times vom 8. Juli 1869 an¬<lb/> gesehen werden, worin es heißt: „Wahre Stciatsknnst wird versuchen, ihren<lb/> ster Gewerkvereine^ Einfluß weder zu erhöhen noch zu verringern, sondern<lb/> wird ihn als Thatsache anerkennen und ihm freien Raum gewähren, sich in<lb/> gesetzlichen Bahnen zu entwickeln." Veranlaßt war dieser Artikel durch eine<lb/> Rede des Mr., jetzt Lord Brassey, der, auf die Erfahrungen seines Vaters,<lb/> eines großen Eisenbahnunternehmcrs gestützt, den Nachweis führte, daß die<lb/> Thätigkeit der Gewerkvereine die Unternehmerkosten eher verringere als erhöhe.<lb/> Bis dahin, sagen die Webbs, sei der Arbeiter, der mit seiner Vereinskarte auf<lb/> die Arbeitsuche ging, von Polizist und Friedensrichter als ein Mittelding<lb/> zwischen einem straffälligen Vagabunden und einem Revolutionär angesehen<lb/> worden; aber schon 1875 „sahen sich die Vereinsbeamten in die städtischen<lb/> Schulrüte und selbst in das Haus der Gemeinen gewählt, von der Negierung<lb/> dringend eingeladen, Sitze in den königlichen Kommissionen einzunehmen, und<lb/> in den Nebensälen des Parlaments wurden sie respektvollst gehört." Was die<lb/> Vereinsbeamten anlangt, so haben sich die Vereine einen sehr tüchtigen Stamm<lb/> von solchen herangebildet. Nur die Ortsvereine können von Arbeitern geleitet<lb/> werden, die für Vereinsangelegenheiten nur die Feierabende zur Verfügung<lb/> haben. Diese Vereinssekretüre bilden den Unteroffizierstand, aus dem — freilich<lb/> nicht nach dem Muster der heutigen Kriegsheere — die Offiziere hervorgehen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0175]
Die englischen Geiverkvereine
haben sie das nach Ansicht der Verfasser zwei Umständen zu verdanken, der
Unzulänglichkeit der englischen Polizei und dem Fehlen des Instituts der
Staatsanwaltschaft. Es giebt zum Glück fürs Volk keinen öffentlichen An¬
kläger in England; die Gerichte schreiten nur dann ein, wenn ein Unternehmer
klagt, und die Unternehmer haben doch für gewöhnlich wichtigeres zu thun als
Prozesse zu führen.
Der Druck, der vor der Aufhebung der Koalitionsverbote auf den Gewerk¬
vereinen lastete, hatte u. a. zur Folge, daß sie vielfach die Form von Geheim¬
bünden annahmen, wobei sich von den Maurerlogen aus allerlei Logenritus ver¬
breitete. Viele Gewerkvereinslolale werden bis auf den heutigen Tag Logen
genannt. In den Rechnungsbelegen jener Zeit finden sich Posten für das
Waschen von „Chorhemden." Als einmal in Exeter zwei Abgeordnete, die
sich in eine Arbeiterversammluug begaben, um neue Mitglieder aufzunehmen,
von der Polizei angehalten wurden, fand man sie ausgestattet mit zwei höl¬
zernen Beilen, zwei Hirschfängern, zwei Larven, zwei weißen Gewändern, einer
Figur des Todes mit Pfeil ^so!j und Stundenglas und mit einer Bibel.
Eine der Geheimbundszeremonien, ein furchtbarer Eid, zog den Mitgliedern so
große Unannehmlichkeiten zu, daß sich die Vereine genötigt sahen, ihn förmlich
abzuschaffen.
Seitdem ist die öffentliche Meinung über die Gewerkvereine gründlich um¬
geschlagen, und Geheimbündelei daher jetzt nicht mehr nötig. Als Wendepunkt
kann nach den Verfassern der Leitartikel der Times vom 8. Juli 1869 an¬
gesehen werden, worin es heißt: „Wahre Stciatsknnst wird versuchen, ihren
ster Gewerkvereine^ Einfluß weder zu erhöhen noch zu verringern, sondern
wird ihn als Thatsache anerkennen und ihm freien Raum gewähren, sich in
gesetzlichen Bahnen zu entwickeln." Veranlaßt war dieser Artikel durch eine
Rede des Mr., jetzt Lord Brassey, der, auf die Erfahrungen seines Vaters,
eines großen Eisenbahnunternehmcrs gestützt, den Nachweis führte, daß die
Thätigkeit der Gewerkvereine die Unternehmerkosten eher verringere als erhöhe.
Bis dahin, sagen die Webbs, sei der Arbeiter, der mit seiner Vereinskarte auf
die Arbeitsuche ging, von Polizist und Friedensrichter als ein Mittelding
zwischen einem straffälligen Vagabunden und einem Revolutionär angesehen
worden; aber schon 1875 „sahen sich die Vereinsbeamten in die städtischen
Schulrüte und selbst in das Haus der Gemeinen gewählt, von der Negierung
dringend eingeladen, Sitze in den königlichen Kommissionen einzunehmen, und
in den Nebensälen des Parlaments wurden sie respektvollst gehört." Was die
Vereinsbeamten anlangt, so haben sich die Vereine einen sehr tüchtigen Stamm
von solchen herangebildet. Nur die Ortsvereine können von Arbeitern geleitet
werden, die für Vereinsangelegenheiten nur die Feierabende zur Verfügung
haben. Diese Vereinssekretüre bilden den Unteroffizierstand, aus dem — freilich
nicht nach dem Muster der heutigen Kriegsheere — die Offiziere hervorgehen.
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