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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der Erfolg auf Aktien

ist, ohne einen Überfluß von blastrter Muße, also ohne Überfluß von Geld,
nicht gedacht werden kann. Sie legen Nachdruck auf die angebliche moralische
Unabhängigkeit von allen Launen und Vorurteilen der Menge, die ihnen aus
ihrer besondern Stellung erwächst. Gleichwohl verschmähen sie es nicht, mit
Hilfe materieller Mittel das Publikum hinter sich herzuziehen. Planmäßig
wird eine kostspielige Reklame betrieben. Planmäßig werden bestimmte Namen
in den Vordergrund geschoben, planmüßig werden alle die bekämpft, deren
künstlerische Anschauungen und persönliche Verhältnisse den Forderungen der
Kapitalistendichter nicht entsprechen. Ein besondres Gepräge erhält der Er¬
folg auf Aktien durch das Hinzutreten von Bühnenleitern und Bühnenunter¬
nehmern. Namentlich in der Reichshauptstadt, wo die neuen Theater wie
Pilze aus der Erde schießen, wird die Aufführung gewisser Stücke daran ge¬
knüpft, daß der Verfasser oder dessen Freunde die Kosten übernehmen. Je
größer die Summen sind, die auf eine bestimmte dramatische Neuigkeit ver¬
wandt werden, je größer die Zahl derer, die am Erfolg ein materielles In¬
teresse haben, um so verzweifeltere Anstrengungen werden gemacht, diesen Erfolg
zu sichern. Wie bei einem schwindelhafter Mienunternehmeu, bleibt das Er¬
gebnis immerhin ungewiß, in vielen Fällen entspricht es keineswegs dem Auf¬
wand der Betriebsmittel und der Reklame. Doch in fünf Füllen unter zehn
gelingt es, das Werk einzuführen, den Erfolg, der auf gewöhnlichem Wege nicht
erreicht werden würde, durch Aktien zu erzwingen.

Immer aber füllt die Wucht dieser künstlichen "Erfolge" auf das Schicksal
von Schöpfungen zurück, die nicht in der bezeichneten Weise eingeführt und
nach dem Börsencinsdrnck "gegründet" werden. Das Publikum gewöhnt sich
höherwertige und gleichwertige Talentproben, die ohne Unterlage von Aktien
ihren Weg suchen müssen, gering zu schützen, gewohnt sich an die abscheuliche
Vorspiegelung, daß die Schriftsteller, die etwas Rechtes an sich wenden können,
oder die! Werke um die etwas Rechtes gewendet wird, ohne weiteres auch
etwas Rechtes und alle die, bei denen das nicht geschieht, nichtig und nichts
würcu. Die einfache Wertmessung nach dem geistigen Gehalt, dem künstlerischen
Ernst, die dem Publikum von jeher sauer geworden ist, erfährt durch die
geschäftsmäßige, börsenmäßigc Behandlung individueller und geistiger Werte
eine neue Erschwerung. Die ungleiche Verteilung der äußern Güter wird zur
lastenden und unerträglichen Ungerechtigkeit, wenn der materielle Besitz einfach
als Vorbedingung künstlerischer Leistung und künstlerischer Erfolge gilt. Und
das Selbstgefühl der Glückbegünstigten steigert sich zum bewußten Prvtzentum,
wenn es eine persönliche Gesinnung und Haltung annimmt, nach der seiner¬
zeit Wilhelm von Humboldt hochmütig mitleidig auf den vermögenslosen
Schiller oder der wohlhabende Uhland verächtlich auf den pensionirten Land¬
pfarrer Mörike Hütte herabsehen müssen. Es ist unentschuldbarer Dünkel, wenn
die Inhaber von Erfolgsaktien den Glauben zu erwecken suchen, daß heut-


Der Erfolg auf Aktien

ist, ohne einen Überfluß von blastrter Muße, also ohne Überfluß von Geld,
nicht gedacht werden kann. Sie legen Nachdruck auf die angebliche moralische
Unabhängigkeit von allen Launen und Vorurteilen der Menge, die ihnen aus
ihrer besondern Stellung erwächst. Gleichwohl verschmähen sie es nicht, mit
Hilfe materieller Mittel das Publikum hinter sich herzuziehen. Planmäßig
wird eine kostspielige Reklame betrieben. Planmäßig werden bestimmte Namen
in den Vordergrund geschoben, planmüßig werden alle die bekämpft, deren
künstlerische Anschauungen und persönliche Verhältnisse den Forderungen der
Kapitalistendichter nicht entsprechen. Ein besondres Gepräge erhält der Er¬
folg auf Aktien durch das Hinzutreten von Bühnenleitern und Bühnenunter¬
nehmern. Namentlich in der Reichshauptstadt, wo die neuen Theater wie
Pilze aus der Erde schießen, wird die Aufführung gewisser Stücke daran ge¬
knüpft, daß der Verfasser oder dessen Freunde die Kosten übernehmen. Je
größer die Summen sind, die auf eine bestimmte dramatische Neuigkeit ver¬
wandt werden, je größer die Zahl derer, die am Erfolg ein materielles In¬
teresse haben, um so verzweifeltere Anstrengungen werden gemacht, diesen Erfolg
zu sichern. Wie bei einem schwindelhafter Mienunternehmeu, bleibt das Er¬
gebnis immerhin ungewiß, in vielen Fällen entspricht es keineswegs dem Auf¬
wand der Betriebsmittel und der Reklame. Doch in fünf Füllen unter zehn
gelingt es, das Werk einzuführen, den Erfolg, der auf gewöhnlichem Wege nicht
erreicht werden würde, durch Aktien zu erzwingen.

Immer aber füllt die Wucht dieser künstlichen „Erfolge" auf das Schicksal
von Schöpfungen zurück, die nicht in der bezeichneten Weise eingeführt und
nach dem Börsencinsdrnck „gegründet" werden. Das Publikum gewöhnt sich
höherwertige und gleichwertige Talentproben, die ohne Unterlage von Aktien
ihren Weg suchen müssen, gering zu schützen, gewohnt sich an die abscheuliche
Vorspiegelung, daß die Schriftsteller, die etwas Rechtes an sich wenden können,
oder die! Werke um die etwas Rechtes gewendet wird, ohne weiteres auch
etwas Rechtes und alle die, bei denen das nicht geschieht, nichtig und nichts
würcu. Die einfache Wertmessung nach dem geistigen Gehalt, dem künstlerischen
Ernst, die dem Publikum von jeher sauer geworden ist, erfährt durch die
geschäftsmäßige, börsenmäßigc Behandlung individueller und geistiger Werte
eine neue Erschwerung. Die ungleiche Verteilung der äußern Güter wird zur
lastenden und unerträglichen Ungerechtigkeit, wenn der materielle Besitz einfach
als Vorbedingung künstlerischer Leistung und künstlerischer Erfolge gilt. Und
das Selbstgefühl der Glückbegünstigten steigert sich zum bewußten Prvtzentum,
wenn es eine persönliche Gesinnung und Haltung annimmt, nach der seiner¬
zeit Wilhelm von Humboldt hochmütig mitleidig auf den vermögenslosen
Schiller oder der wohlhabende Uhland verächtlich auf den pensionirten Land¬
pfarrer Mörike Hütte herabsehen müssen. Es ist unentschuldbarer Dünkel, wenn
die Inhaber von Erfolgsaktien den Glauben zu erwecken suchen, daß heut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/165>, abgerufen am 08.01.2025.