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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der Erfolg auf Aktien

Genüssen, von Ebers und Genossen, von Marlitt und Genossen "vertreten"
wurde. Mit Hilfe dieses total falschen Bildes der Zustände ist die Revolution
in der Litteratur gerechtfertigt worden, und selbst heute, wo die Schiefheit und
Falschheit des Bildes vollständig erwiesen ist, versucht doch die zweite und
dritte Generation der Modernen gelegentlich noch damit zu verwirren und zu
blenden. Diese Generation selbst ist eine vollständig andre. Die Wildlinge
des ersten Ansturms sind großenteils entweder verdorben und gestorben oder
in der Tagespresse verschwunden, an ihre Stelle sind junge Männer aus guter
Familie, mit bedeutenden Mitteln getreten, die bei der ersten Lebensbedingung
der neuen Schule, der völligen Gleichgiltigkeit gegen das Publikum und seine
Meinung, nicht Gefahr laufen, unterzugehen, die sich unbekümmert um den litte¬
rarischen Erwerb, deu Lessing und Schiller und Tieck nicht entbehren konnten,
ihren Eingebungen und der poetischen Verkörperung der Ideen Nietzsches und
Lombrosos hingeben dürfen. Das wäre, das Talent und den künstlerischen Ernst
vorausgesetzt, ein wahrhaft idealer Zustand, und die Genies des jüngsten Sturms
und Dranges empfinden es auch so und können nicht einsehen, warum sie, da
sie die Gunst der äußern Lebenslage, in der der junge Goethe aufwuchs, ohne
Frage mitbringen, nicht, jeder in seiner Art, lauter Goethes und ein bischen
was höheres dazu vorstellen sollen. Sie verzichteten leichten Herzens auf den
Erwerb, aber nicht auf -- den Erfolg. Und sie wußten genug von den Ver¬
hältnissen unsrer Tage, von der Allmacht des Besitzes, der sklavischen Ehr¬
furcht, die in einer sonst autoritätsfeindlichen Zeit dem Gelde gezollt wird, sie
verstanden, auch wenn sie in der Einsamkeit schweizerischer Landhäuser und
tirolischer Schlösser lebten, daß die moderne Presse mit täglichen Tropfen von
Druckerschwärze jeden Stein aushöhlt und das Publikum lenkt, wie sie Lust
hat. Wer einen nennenswerten Einsatz für die Selbstherausgabe seiner Dich¬
tungen, sür Begründung moderner Zeitschriften, für die Bildung freier Bühnen
aufzuwenden hatte, konnte um den Erfolg auf Aktien werben. Von Haus aus
meinte man wohl, daß ein Stück Talent mit dem Kapital zugleich eingesetzt
werden müsse. Aber bald gedieh die Vorstellung, daß die moderne Anschauung
und die Lust, für die moderne Anschauung Geld zu opfern, schon ein gewal¬
tiges Stück Talent, wenn nicht Genie verbürgten. Jedenfalls schließt sich eine
Schule von Dichtern und Schriftstellern zusammen, bei denen die materiellen
Mittel nicht Begünstigungen des Glücks, sondern integrirende Bestandteile des
Talents und der künstlerischen Richtung sind, eine Schule, deren gemeinsame
Überzeugung es ist (was auch die einzelnen von dem Talent ihrer Genossen denken
mögen), daß Talent und Leistungsfähigkeit außerhalb der eignen Lebenslage
und Lebenshaltung nicht vorhanden sei. Sie setzen voraus, daß die Einlebung
in den Geist und Ton der naturalistischen oder der symbolischen Moderne,
die peinlich getreue Kopie des verzerrten oder geschwärzten Weltbilds, dessen
unablässige Wiederholung die litterarische Aufgabe der Gegenwart und Zukunft


Der Erfolg auf Aktien

Genüssen, von Ebers und Genossen, von Marlitt und Genossen „vertreten"
wurde. Mit Hilfe dieses total falschen Bildes der Zustände ist die Revolution
in der Litteratur gerechtfertigt worden, und selbst heute, wo die Schiefheit und
Falschheit des Bildes vollständig erwiesen ist, versucht doch die zweite und
dritte Generation der Modernen gelegentlich noch damit zu verwirren und zu
blenden. Diese Generation selbst ist eine vollständig andre. Die Wildlinge
des ersten Ansturms sind großenteils entweder verdorben und gestorben oder
in der Tagespresse verschwunden, an ihre Stelle sind junge Männer aus guter
Familie, mit bedeutenden Mitteln getreten, die bei der ersten Lebensbedingung
der neuen Schule, der völligen Gleichgiltigkeit gegen das Publikum und seine
Meinung, nicht Gefahr laufen, unterzugehen, die sich unbekümmert um den litte¬
rarischen Erwerb, deu Lessing und Schiller und Tieck nicht entbehren konnten,
ihren Eingebungen und der poetischen Verkörperung der Ideen Nietzsches und
Lombrosos hingeben dürfen. Das wäre, das Talent und den künstlerischen Ernst
vorausgesetzt, ein wahrhaft idealer Zustand, und die Genies des jüngsten Sturms
und Dranges empfinden es auch so und können nicht einsehen, warum sie, da
sie die Gunst der äußern Lebenslage, in der der junge Goethe aufwuchs, ohne
Frage mitbringen, nicht, jeder in seiner Art, lauter Goethes und ein bischen
was höheres dazu vorstellen sollen. Sie verzichteten leichten Herzens auf den
Erwerb, aber nicht auf — den Erfolg. Und sie wußten genug von den Ver¬
hältnissen unsrer Tage, von der Allmacht des Besitzes, der sklavischen Ehr¬
furcht, die in einer sonst autoritätsfeindlichen Zeit dem Gelde gezollt wird, sie
verstanden, auch wenn sie in der Einsamkeit schweizerischer Landhäuser und
tirolischer Schlösser lebten, daß die moderne Presse mit täglichen Tropfen von
Druckerschwärze jeden Stein aushöhlt und das Publikum lenkt, wie sie Lust
hat. Wer einen nennenswerten Einsatz für die Selbstherausgabe seiner Dich¬
tungen, sür Begründung moderner Zeitschriften, für die Bildung freier Bühnen
aufzuwenden hatte, konnte um den Erfolg auf Aktien werben. Von Haus aus
meinte man wohl, daß ein Stück Talent mit dem Kapital zugleich eingesetzt
werden müsse. Aber bald gedieh die Vorstellung, daß die moderne Anschauung
und die Lust, für die moderne Anschauung Geld zu opfern, schon ein gewal¬
tiges Stück Talent, wenn nicht Genie verbürgten. Jedenfalls schließt sich eine
Schule von Dichtern und Schriftstellern zusammen, bei denen die materiellen
Mittel nicht Begünstigungen des Glücks, sondern integrirende Bestandteile des
Talents und der künstlerischen Richtung sind, eine Schule, deren gemeinsame
Überzeugung es ist (was auch die einzelnen von dem Talent ihrer Genossen denken
mögen), daß Talent und Leistungsfähigkeit außerhalb der eignen Lebenslage
und Lebenshaltung nicht vorhanden sei. Sie setzen voraus, daß die Einlebung
in den Geist und Ton der naturalistischen oder der symbolischen Moderne,
die peinlich getreue Kopie des verzerrten oder geschwärzten Weltbilds, dessen
unablässige Wiederholung die litterarische Aufgabe der Gegenwart und Zukunft


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[0164] Der Erfolg auf Aktien Genüssen, von Ebers und Genossen, von Marlitt und Genossen „vertreten" wurde. Mit Hilfe dieses total falschen Bildes der Zustände ist die Revolution in der Litteratur gerechtfertigt worden, und selbst heute, wo die Schiefheit und Falschheit des Bildes vollständig erwiesen ist, versucht doch die zweite und dritte Generation der Modernen gelegentlich noch damit zu verwirren und zu blenden. Diese Generation selbst ist eine vollständig andre. Die Wildlinge des ersten Ansturms sind großenteils entweder verdorben und gestorben oder in der Tagespresse verschwunden, an ihre Stelle sind junge Männer aus guter Familie, mit bedeutenden Mitteln getreten, die bei der ersten Lebensbedingung der neuen Schule, der völligen Gleichgiltigkeit gegen das Publikum und seine Meinung, nicht Gefahr laufen, unterzugehen, die sich unbekümmert um den litte¬ rarischen Erwerb, deu Lessing und Schiller und Tieck nicht entbehren konnten, ihren Eingebungen und der poetischen Verkörperung der Ideen Nietzsches und Lombrosos hingeben dürfen. Das wäre, das Talent und den künstlerischen Ernst vorausgesetzt, ein wahrhaft idealer Zustand, und die Genies des jüngsten Sturms und Dranges empfinden es auch so und können nicht einsehen, warum sie, da sie die Gunst der äußern Lebenslage, in der der junge Goethe aufwuchs, ohne Frage mitbringen, nicht, jeder in seiner Art, lauter Goethes und ein bischen was höheres dazu vorstellen sollen. Sie verzichteten leichten Herzens auf den Erwerb, aber nicht auf — den Erfolg. Und sie wußten genug von den Ver¬ hältnissen unsrer Tage, von der Allmacht des Besitzes, der sklavischen Ehr¬ furcht, die in einer sonst autoritätsfeindlichen Zeit dem Gelde gezollt wird, sie verstanden, auch wenn sie in der Einsamkeit schweizerischer Landhäuser und tirolischer Schlösser lebten, daß die moderne Presse mit täglichen Tropfen von Druckerschwärze jeden Stein aushöhlt und das Publikum lenkt, wie sie Lust hat. Wer einen nennenswerten Einsatz für die Selbstherausgabe seiner Dich¬ tungen, sür Begründung moderner Zeitschriften, für die Bildung freier Bühnen aufzuwenden hatte, konnte um den Erfolg auf Aktien werben. Von Haus aus meinte man wohl, daß ein Stück Talent mit dem Kapital zugleich eingesetzt werden müsse. Aber bald gedieh die Vorstellung, daß die moderne Anschauung und die Lust, für die moderne Anschauung Geld zu opfern, schon ein gewal¬ tiges Stück Talent, wenn nicht Genie verbürgten. Jedenfalls schließt sich eine Schule von Dichtern und Schriftstellern zusammen, bei denen die materiellen Mittel nicht Begünstigungen des Glücks, sondern integrirende Bestandteile des Talents und der künstlerischen Richtung sind, eine Schule, deren gemeinsame Überzeugung es ist (was auch die einzelnen von dem Talent ihrer Genossen denken mögen), daß Talent und Leistungsfähigkeit außerhalb der eignen Lebenslage und Lebenshaltung nicht vorhanden sei. Sie setzen voraus, daß die Einlebung in den Geist und Ton der naturalistischen oder der symbolischen Moderne, die peinlich getreue Kopie des verzerrten oder geschwärzten Weltbilds, dessen unablässige Wiederholung die litterarische Aufgabe der Gegenwart und Zukunft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/164>, abgerufen am 08.01.2025.