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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

kommen müssen, um ihnen die Augen zu öffnen und ihnen die Wege zu weisen,
ehe sie sich entschließen, selbst Hand anzulegen, um die reichen Schätze zu heben,
die ihr Land birgt. Und ihr Land hat geradezu alles. Was das europäische
Nußland zufällig nicht aufweisen kann, kann es sich aus seinem asiatischen
Hinterkante holen. Rußlands Boden trägt alle Getreidearten und alle Holz¬
arten, in Rußland reifen alle Früchte, auch Orangen und Citronen, in
Bessarabien, am Kaukasus und in der Krim wächst Wein, und neuerdings,
zumal nachdem man begonnen hat, den heimischen Weinstock durch Stocke von
der Mosel, vom Rhein und aus Südfrankreich zu veredeln, kann man einen
recht guten Tropfen eignen Weins in Rußland trinken; der billige russische
Wein fängt an die teuern ausländischen zu vertreiben, und das wird mehr und
mehr geschehen, wenn die Weinkultur vernünftig betrieben wird. Und noch mehr:
in Rußland baut man Reis, Thee, Tabak, Baumwolle, Hanf, Leinen, auch
Ram6 und Jute, kurz alle Nutzpflanzen. Die russische Erde giebt an Mineralen
so ziemlich alles her, was der Mensch begehrt und braucht: Gold und Silber,
Blei und Kupfer, Zinn, Zink, Nickel, Kobalt, Quecksilber, Eisen, Platina. Sie
liefert aber auch Petroleum und Miueralöle, Schwefel und Salz. Als ich darnach
fragte, welche Vieharten Rußland hervorbringe, wurde mir die Antwort:
"Alle, alle! Nur der Elefant fehlt, dafür haben wir aber die Mammut-
knocheu in den sibirischen Tundren."

Von Rohprodukten führt Nußland Getreide, Vieh, Wolle, Leinen, Holz,.
Rauchwaren, Zucker und Petroleum aus. Mit dem, was es sonst noch her¬
vorbringt, deckt es den eignen Bedarf, und unendlich vieles wird noch gar
nicht ausgenutzt. Kommt der Augenblick, wo Nußland seinen ganzen Reichtum
entdeckt, und dehut sich zugleich seine Industrie in dem Maße weiter aus, wie
in den letzten Jahrzehnten, so braucht es mir Amerika übers Wasser die Hand
zu reichen, um das kleine Europa völlig zu erdrücken.

Schon jetzt ist mir eins klar geworden: Handelsverträge mit Rußland zu
schließen ist eine gefährliche Sache. Man schließt solche Vertrüge auf eine
Reihe von Jahren: wer kann ahnen, wie in ein paar Jahren Rußlands Aus¬
fuhr beschaffen ist? Was wir produziren und verarbeiten können, ist leicht
zu übersehen. In Rußland genügt es, daß ein paar findige Köpfe irgend ein
neues brachliegendes Feld entdecken; haben sie Geld im Beutel, so können sich
leicht ein paar Paragraphen des Handelsvertrags in lächerliche Fragezeichen
verwandeln.

Für uns kann es also ein Trost sein, daß die Russen zunächst noch für
längere Zeit durch die ihnen innewohnende vis iuertme an einer vollen Aus¬
nutzung ihrer wirtschaftlichen Kraft verhindert werde". Das russische Volk
hat im allgemeinen sehr wenig wirtschaftlichen Sinn. Seine Verschwendung
von Zeit, Kraft und Material ist unglaublich. Die Zeit spielt keine Rolle.
Es ist sehr bezeichnend, daß es z. B. in Moskau fast gar keine öffentlichen


Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland

kommen müssen, um ihnen die Augen zu öffnen und ihnen die Wege zu weisen,
ehe sie sich entschließen, selbst Hand anzulegen, um die reichen Schätze zu heben,
die ihr Land birgt. Und ihr Land hat geradezu alles. Was das europäische
Nußland zufällig nicht aufweisen kann, kann es sich aus seinem asiatischen
Hinterkante holen. Rußlands Boden trägt alle Getreidearten und alle Holz¬
arten, in Rußland reifen alle Früchte, auch Orangen und Citronen, in
Bessarabien, am Kaukasus und in der Krim wächst Wein, und neuerdings,
zumal nachdem man begonnen hat, den heimischen Weinstock durch Stocke von
der Mosel, vom Rhein und aus Südfrankreich zu veredeln, kann man einen
recht guten Tropfen eignen Weins in Rußland trinken; der billige russische
Wein fängt an die teuern ausländischen zu vertreiben, und das wird mehr und
mehr geschehen, wenn die Weinkultur vernünftig betrieben wird. Und noch mehr:
in Rußland baut man Reis, Thee, Tabak, Baumwolle, Hanf, Leinen, auch
Ram6 und Jute, kurz alle Nutzpflanzen. Die russische Erde giebt an Mineralen
so ziemlich alles her, was der Mensch begehrt und braucht: Gold und Silber,
Blei und Kupfer, Zinn, Zink, Nickel, Kobalt, Quecksilber, Eisen, Platina. Sie
liefert aber auch Petroleum und Miueralöle, Schwefel und Salz. Als ich darnach
fragte, welche Vieharten Rußland hervorbringe, wurde mir die Antwort:
„Alle, alle! Nur der Elefant fehlt, dafür haben wir aber die Mammut-
knocheu in den sibirischen Tundren."

Von Rohprodukten führt Nußland Getreide, Vieh, Wolle, Leinen, Holz,.
Rauchwaren, Zucker und Petroleum aus. Mit dem, was es sonst noch her¬
vorbringt, deckt es den eignen Bedarf, und unendlich vieles wird noch gar
nicht ausgenutzt. Kommt der Augenblick, wo Nußland seinen ganzen Reichtum
entdeckt, und dehut sich zugleich seine Industrie in dem Maße weiter aus, wie
in den letzten Jahrzehnten, so braucht es mir Amerika übers Wasser die Hand
zu reichen, um das kleine Europa völlig zu erdrücken.

Schon jetzt ist mir eins klar geworden: Handelsverträge mit Rußland zu
schließen ist eine gefährliche Sache. Man schließt solche Vertrüge auf eine
Reihe von Jahren: wer kann ahnen, wie in ein paar Jahren Rußlands Aus¬
fuhr beschaffen ist? Was wir produziren und verarbeiten können, ist leicht
zu übersehen. In Rußland genügt es, daß ein paar findige Köpfe irgend ein
neues brachliegendes Feld entdecken; haben sie Geld im Beutel, so können sich
leicht ein paar Paragraphen des Handelsvertrags in lächerliche Fragezeichen
verwandeln.

Für uns kann es also ein Trost sein, daß die Russen zunächst noch für
längere Zeit durch die ihnen innewohnende vis iuertme an einer vollen Aus¬
nutzung ihrer wirtschaftlichen Kraft verhindert werde». Das russische Volk
hat im allgemeinen sehr wenig wirtschaftlichen Sinn. Seine Verschwendung
von Zeit, Kraft und Material ist unglaublich. Die Zeit spielt keine Rolle.
Es ist sehr bezeichnend, daß es z. B. in Moskau fast gar keine öffentlichen


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[0144] Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland kommen müssen, um ihnen die Augen zu öffnen und ihnen die Wege zu weisen, ehe sie sich entschließen, selbst Hand anzulegen, um die reichen Schätze zu heben, die ihr Land birgt. Und ihr Land hat geradezu alles. Was das europäische Nußland zufällig nicht aufweisen kann, kann es sich aus seinem asiatischen Hinterkante holen. Rußlands Boden trägt alle Getreidearten und alle Holz¬ arten, in Rußland reifen alle Früchte, auch Orangen und Citronen, in Bessarabien, am Kaukasus und in der Krim wächst Wein, und neuerdings, zumal nachdem man begonnen hat, den heimischen Weinstock durch Stocke von der Mosel, vom Rhein und aus Südfrankreich zu veredeln, kann man einen recht guten Tropfen eignen Weins in Rußland trinken; der billige russische Wein fängt an die teuern ausländischen zu vertreiben, und das wird mehr und mehr geschehen, wenn die Weinkultur vernünftig betrieben wird. Und noch mehr: in Rußland baut man Reis, Thee, Tabak, Baumwolle, Hanf, Leinen, auch Ram6 und Jute, kurz alle Nutzpflanzen. Die russische Erde giebt an Mineralen so ziemlich alles her, was der Mensch begehrt und braucht: Gold und Silber, Blei und Kupfer, Zinn, Zink, Nickel, Kobalt, Quecksilber, Eisen, Platina. Sie liefert aber auch Petroleum und Miueralöle, Schwefel und Salz. Als ich darnach fragte, welche Vieharten Rußland hervorbringe, wurde mir die Antwort: „Alle, alle! Nur der Elefant fehlt, dafür haben wir aber die Mammut- knocheu in den sibirischen Tundren." Von Rohprodukten führt Nußland Getreide, Vieh, Wolle, Leinen, Holz,. Rauchwaren, Zucker und Petroleum aus. Mit dem, was es sonst noch her¬ vorbringt, deckt es den eignen Bedarf, und unendlich vieles wird noch gar nicht ausgenutzt. Kommt der Augenblick, wo Nußland seinen ganzen Reichtum entdeckt, und dehut sich zugleich seine Industrie in dem Maße weiter aus, wie in den letzten Jahrzehnten, so braucht es mir Amerika übers Wasser die Hand zu reichen, um das kleine Europa völlig zu erdrücken. Schon jetzt ist mir eins klar geworden: Handelsverträge mit Rußland zu schließen ist eine gefährliche Sache. Man schließt solche Vertrüge auf eine Reihe von Jahren: wer kann ahnen, wie in ein paar Jahren Rußlands Aus¬ fuhr beschaffen ist? Was wir produziren und verarbeiten können, ist leicht zu übersehen. In Rußland genügt es, daß ein paar findige Köpfe irgend ein neues brachliegendes Feld entdecken; haben sie Geld im Beutel, so können sich leicht ein paar Paragraphen des Handelsvertrags in lächerliche Fragezeichen verwandeln. Für uns kann es also ein Trost sein, daß die Russen zunächst noch für längere Zeit durch die ihnen innewohnende vis iuertme an einer vollen Aus¬ nutzung ihrer wirtschaftlichen Kraft verhindert werde». Das russische Volk hat im allgemeinen sehr wenig wirtschaftlichen Sinn. Seine Verschwendung von Zeit, Kraft und Material ist unglaublich. Die Zeit spielt keine Rolle. Es ist sehr bezeichnend, daß es z. B. in Moskau fast gar keine öffentlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/144>, abgerufen am 08.01.2025.