Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutschlands Lage

seine entschlossene Haltung am meisten imponirt, nicht der, der am nachgiebigsten
ist, und er hat den Draht mit Se. Petersburg niemals abreißen lassen, trotz aller
Verstimmung, er hat sogar schließlich das Mißtrauen Alexanders III. entwaffnet.
Erst in der unseligen Zeit Caprivis hat man das Verhältnis fallen lassen
und durch Nachgiebigkeit gegen England, die uns niemals etwas andres ein¬
getragen hat als Schädigungen, die Beziehungen zu Nußland vollends ver¬
dorben. Das Ergebnis waren die Tage von Toulon und Kronstäbe und --
der Zarcnbesuch in Paris, der Zweibund gegen den Dreibund. Er besteht
nicht das erstemal, aber wenn er bestand, so war das immer zu Deutschlands
Schaden. Die schlimmste Demütigung Preußens, die ärgste Knechtung ganz
Deutschlands beruhte auf dem Tilsiter Frieden 1807, auf dem damals ge¬
schlossenen Einverständnis zwischen Frankreich und Rußland; erst als dies seit
1811 gelockert und endlich zerstört wurde, war die Erhebung von 1813 möglich.
Dieses Einverständnis wiederholte sich in einer weniger gefährlichen Form
nach dem Krimkriege, und erst als Graf Bismarcks Scharfblick den Fehler
Napoleons III., durch seiue doch ohnmächtige und wirkungslose Verwendung
für die aufständischen Polen 1863 Nußland schwer zu reizen, benutzte, um
durch die Konvention vom Februar 1863, gegen die alle Liberalen mit sittlicher
Entrüstung Sturm liefen, das Vertrauen Alexanders II. zu gewinnen und das
russisch-französische Einvernehmen zu sprengen, wurde die Gründung des
dentschen Reiches möglich. Jetzt stehen wir abermals derselben Kombination
gegenüber. Mag nun ein geschriebner Vertrag zwischen Rußland und Frank¬
reich bestehen oder nicht, mag er enthalten, was er will, mag er sogar ganz
friedlichen Inhalts sein, soviel steht doch fest, daß Rußlands Stellung durch
das Einvernehmen mit Frankreich viel stärker geworden ist, als sie bei einem
engern Verhältnis zu Deutschland war, schon weil Frankreichs Dienstwilligkeit
unbegrenzt, seine finanzielle Leistungsfähigkeit ungeheuer, das französische
Nationalgefühl trotz aller Parteiungen von einer imposanten Geschlossenheit
ist, die uns beschämt. Aber auch Frankreich hat unzweifelhaft einen sichern
Rückhalt gewonnen, und seine Diplomatie hat seit langer Zeit keinen so glän¬
zenden Erfolg davongetragen, als den, daß es ihr gelungen ist, den Zaren als den
ersten Beherrscher einer Großmacht seit dem Sturze des Kaisertums zum Be¬
suche von Paris und damit zur feierlichen Anerkennung der republikanischen
Regierungsform zu bewegen. Wir fürchten deshalb keineswegs Gefahr für
uns, so keck sich auch schon die chauvinistischen Stimmen dem Zaren ins Gesicht
hören lassen, aber eine wesentliche Befestigung des Zweibundes bedeutet doch
das alles, selbst wenn es nur eine moralische ist, selbst wenn man nur mit
der Steigerung des Selbstgefühls bei den Franzosen und mit dem Eindruck
rechnen wollte, den diese unerhörten Huldigungen eines ganzen großen Volkes
vor einem fremden Herrscher auf das Gemüt des jungen Zaren hervorbringen
müssen.


Deutschlands Lage

seine entschlossene Haltung am meisten imponirt, nicht der, der am nachgiebigsten
ist, und er hat den Draht mit Se. Petersburg niemals abreißen lassen, trotz aller
Verstimmung, er hat sogar schließlich das Mißtrauen Alexanders III. entwaffnet.
Erst in der unseligen Zeit Caprivis hat man das Verhältnis fallen lassen
und durch Nachgiebigkeit gegen England, die uns niemals etwas andres ein¬
getragen hat als Schädigungen, die Beziehungen zu Nußland vollends ver¬
dorben. Das Ergebnis waren die Tage von Toulon und Kronstäbe und —
der Zarcnbesuch in Paris, der Zweibund gegen den Dreibund. Er besteht
nicht das erstemal, aber wenn er bestand, so war das immer zu Deutschlands
Schaden. Die schlimmste Demütigung Preußens, die ärgste Knechtung ganz
Deutschlands beruhte auf dem Tilsiter Frieden 1807, auf dem damals ge¬
schlossenen Einverständnis zwischen Frankreich und Rußland; erst als dies seit
1811 gelockert und endlich zerstört wurde, war die Erhebung von 1813 möglich.
Dieses Einverständnis wiederholte sich in einer weniger gefährlichen Form
nach dem Krimkriege, und erst als Graf Bismarcks Scharfblick den Fehler
Napoleons III., durch seiue doch ohnmächtige und wirkungslose Verwendung
für die aufständischen Polen 1863 Nußland schwer zu reizen, benutzte, um
durch die Konvention vom Februar 1863, gegen die alle Liberalen mit sittlicher
Entrüstung Sturm liefen, das Vertrauen Alexanders II. zu gewinnen und das
russisch-französische Einvernehmen zu sprengen, wurde die Gründung des
dentschen Reiches möglich. Jetzt stehen wir abermals derselben Kombination
gegenüber. Mag nun ein geschriebner Vertrag zwischen Rußland und Frank¬
reich bestehen oder nicht, mag er enthalten, was er will, mag er sogar ganz
friedlichen Inhalts sein, soviel steht doch fest, daß Rußlands Stellung durch
das Einvernehmen mit Frankreich viel stärker geworden ist, als sie bei einem
engern Verhältnis zu Deutschland war, schon weil Frankreichs Dienstwilligkeit
unbegrenzt, seine finanzielle Leistungsfähigkeit ungeheuer, das französische
Nationalgefühl trotz aller Parteiungen von einer imposanten Geschlossenheit
ist, die uns beschämt. Aber auch Frankreich hat unzweifelhaft einen sichern
Rückhalt gewonnen, und seine Diplomatie hat seit langer Zeit keinen so glän¬
zenden Erfolg davongetragen, als den, daß es ihr gelungen ist, den Zaren als den
ersten Beherrscher einer Großmacht seit dem Sturze des Kaisertums zum Be¬
suche von Paris und damit zur feierlichen Anerkennung der republikanischen
Regierungsform zu bewegen. Wir fürchten deshalb keineswegs Gefahr für
uns, so keck sich auch schon die chauvinistischen Stimmen dem Zaren ins Gesicht
hören lassen, aber eine wesentliche Befestigung des Zweibundes bedeutet doch
das alles, selbst wenn es nur eine moralische ist, selbst wenn man nur mit
der Steigerung des Selbstgefühls bei den Franzosen und mit dem Eindruck
rechnen wollte, den diese unerhörten Huldigungen eines ganzen großen Volkes
vor einem fremden Herrscher auf das Gemüt des jungen Zaren hervorbringen
müssen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223699"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutschlands Lage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_350" prev="#ID_349"> seine entschlossene Haltung am meisten imponirt, nicht der, der am nachgiebigsten<lb/>
ist, und er hat den Draht mit Se. Petersburg niemals abreißen lassen, trotz aller<lb/>
Verstimmung, er hat sogar schließlich das Mißtrauen Alexanders III. entwaffnet.<lb/>
Erst in der unseligen Zeit Caprivis hat man das Verhältnis fallen lassen<lb/>
und durch Nachgiebigkeit gegen England, die uns niemals etwas andres ein¬<lb/>
getragen hat als Schädigungen, die Beziehungen zu Nußland vollends ver¬<lb/>
dorben. Das Ergebnis waren die Tage von Toulon und Kronstäbe und &#x2014;<lb/>
der Zarcnbesuch in Paris, der Zweibund gegen den Dreibund. Er besteht<lb/>
nicht das erstemal, aber wenn er bestand, so war das immer zu Deutschlands<lb/>
Schaden. Die schlimmste Demütigung Preußens, die ärgste Knechtung ganz<lb/>
Deutschlands beruhte auf dem Tilsiter Frieden 1807, auf dem damals ge¬<lb/>
schlossenen Einverständnis zwischen Frankreich und Rußland; erst als dies seit<lb/>
1811 gelockert und endlich zerstört wurde, war die Erhebung von 1813 möglich.<lb/>
Dieses Einverständnis wiederholte sich in einer weniger gefährlichen Form<lb/>
nach dem Krimkriege, und erst als Graf Bismarcks Scharfblick den Fehler<lb/>
Napoleons III., durch seiue doch ohnmächtige und wirkungslose Verwendung<lb/>
für die aufständischen Polen 1863 Nußland schwer zu reizen, benutzte, um<lb/>
durch die Konvention vom Februar 1863, gegen die alle Liberalen mit sittlicher<lb/>
Entrüstung Sturm liefen, das Vertrauen Alexanders II. zu gewinnen und das<lb/>
russisch-französische Einvernehmen zu sprengen, wurde die Gründung des<lb/>
dentschen Reiches möglich. Jetzt stehen wir abermals derselben Kombination<lb/>
gegenüber. Mag nun ein geschriebner Vertrag zwischen Rußland und Frank¬<lb/>
reich bestehen oder nicht, mag er enthalten, was er will, mag er sogar ganz<lb/>
friedlichen Inhalts sein, soviel steht doch fest, daß Rußlands Stellung durch<lb/>
das Einvernehmen mit Frankreich viel stärker geworden ist, als sie bei einem<lb/>
engern Verhältnis zu Deutschland war, schon weil Frankreichs Dienstwilligkeit<lb/>
unbegrenzt, seine finanzielle Leistungsfähigkeit ungeheuer, das französische<lb/>
Nationalgefühl trotz aller Parteiungen von einer imposanten Geschlossenheit<lb/>
ist, die uns beschämt. Aber auch Frankreich hat unzweifelhaft einen sichern<lb/>
Rückhalt gewonnen, und seine Diplomatie hat seit langer Zeit keinen so glän¬<lb/>
zenden Erfolg davongetragen, als den, daß es ihr gelungen ist, den Zaren als den<lb/>
ersten Beherrscher einer Großmacht seit dem Sturze des Kaisertums zum Be¬<lb/>
suche von Paris und damit zur feierlichen Anerkennung der republikanischen<lb/>
Regierungsform zu bewegen. Wir fürchten deshalb keineswegs Gefahr für<lb/>
uns, so keck sich auch schon die chauvinistischen Stimmen dem Zaren ins Gesicht<lb/>
hören lassen, aber eine wesentliche Befestigung des Zweibundes bedeutet doch<lb/>
das alles, selbst wenn es nur eine moralische ist, selbst wenn man nur mit<lb/>
der Steigerung des Selbstgefühls bei den Franzosen und mit dem Eindruck<lb/>
rechnen wollte, den diese unerhörten Huldigungen eines ganzen großen Volkes<lb/>
vor einem fremden Herrscher auf das Gemüt des jungen Zaren hervorbringen<lb/>
müssen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] Deutschlands Lage seine entschlossene Haltung am meisten imponirt, nicht der, der am nachgiebigsten ist, und er hat den Draht mit Se. Petersburg niemals abreißen lassen, trotz aller Verstimmung, er hat sogar schließlich das Mißtrauen Alexanders III. entwaffnet. Erst in der unseligen Zeit Caprivis hat man das Verhältnis fallen lassen und durch Nachgiebigkeit gegen England, die uns niemals etwas andres ein¬ getragen hat als Schädigungen, die Beziehungen zu Nußland vollends ver¬ dorben. Das Ergebnis waren die Tage von Toulon und Kronstäbe und — der Zarcnbesuch in Paris, der Zweibund gegen den Dreibund. Er besteht nicht das erstemal, aber wenn er bestand, so war das immer zu Deutschlands Schaden. Die schlimmste Demütigung Preußens, die ärgste Knechtung ganz Deutschlands beruhte auf dem Tilsiter Frieden 1807, auf dem damals ge¬ schlossenen Einverständnis zwischen Frankreich und Rußland; erst als dies seit 1811 gelockert und endlich zerstört wurde, war die Erhebung von 1813 möglich. Dieses Einverständnis wiederholte sich in einer weniger gefährlichen Form nach dem Krimkriege, und erst als Graf Bismarcks Scharfblick den Fehler Napoleons III., durch seiue doch ohnmächtige und wirkungslose Verwendung für die aufständischen Polen 1863 Nußland schwer zu reizen, benutzte, um durch die Konvention vom Februar 1863, gegen die alle Liberalen mit sittlicher Entrüstung Sturm liefen, das Vertrauen Alexanders II. zu gewinnen und das russisch-französische Einvernehmen zu sprengen, wurde die Gründung des dentschen Reiches möglich. Jetzt stehen wir abermals derselben Kombination gegenüber. Mag nun ein geschriebner Vertrag zwischen Rußland und Frank¬ reich bestehen oder nicht, mag er enthalten, was er will, mag er sogar ganz friedlichen Inhalts sein, soviel steht doch fest, daß Rußlands Stellung durch das Einvernehmen mit Frankreich viel stärker geworden ist, als sie bei einem engern Verhältnis zu Deutschland war, schon weil Frankreichs Dienstwilligkeit unbegrenzt, seine finanzielle Leistungsfähigkeit ungeheuer, das französische Nationalgefühl trotz aller Parteiungen von einer imposanten Geschlossenheit ist, die uns beschämt. Aber auch Frankreich hat unzweifelhaft einen sichern Rückhalt gewonnen, und seine Diplomatie hat seit langer Zeit keinen so glän¬ zenden Erfolg davongetragen, als den, daß es ihr gelungen ist, den Zaren als den ersten Beherrscher einer Großmacht seit dem Sturze des Kaisertums zum Be¬ suche von Paris und damit zur feierlichen Anerkennung der republikanischen Regierungsform zu bewegen. Wir fürchten deshalb keineswegs Gefahr für uns, so keck sich auch schon die chauvinistischen Stimmen dem Zaren ins Gesicht hören lassen, aber eine wesentliche Befestigung des Zweibundes bedeutet doch das alles, selbst wenn es nur eine moralische ist, selbst wenn man nur mit der Steigerung des Selbstgefühls bei den Franzosen und mit dem Eindruck rechnen wollte, den diese unerhörten Huldigungen eines ganzen großen Volkes vor einem fremden Herrscher auf das Gemüt des jungen Zaren hervorbringen müssen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/115>, abgerufen am 08.01.2025.